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DESSAU: Kurt Weill-Fest – VON BABELSBERG NACH HOLLYWOOD – Frank Strobel dirigiert Filmmusik

28.02.2016 | Konzert/Liederabende

DESSAU / KURT WEILL FEST: VON BABELSBERG NACH HOLLYWOOD – Frank Strobel dirigiert Filmmusik am 27.2.2016 (Werner Häußner)

Die Zeit ist noch nicht lange her, da konnte man eine Komposition mit einem Begriff abwerten, der ihrem Renommée treffsicher den Garaus machte: „Filmmusik“. Damit etwa wurden Opern von Erich Wolfgang Korngold, wie „Das Wunder der Heliane“ oder „Violanta“, zu wenig seriösen Produkten eines Komponisten herabgestuft, dem man – pointiert gesprochen – vorwarf, die „hohe“ Kunst an die Niederungen der Unterhaltungsindustrie verkauft zu haben. Arbeit für den Film und Erschaffung seriöser musikalischer Werke: Das ging für die hehre Trennung des Ernsthaften und des Unterhaltenden unmöglich zusammen. Wer seine Künstlerseele einmal an die grellbunte Kintoppwelt verhökert hatte, war in den erhabenen Gefilden des künstlerisch Wertvollen mit einem Makel gezeichnet.

Solch ein Vorurteil speist sich aus der Frühzeit des Kinos, als hastig arrangierte Schlager, Salonmusik oder atmosphärisch passend eingerichtete und komponierte Kinomusik-Motive die bewegten Bilder begleiteten. Und es vergisst, dass sich kreative musikalische Geister schon von Anfang an für das neue Medium und seine Möglichkeit, mit Musik zu interagieren, interessierten. Zu diesen Pionieren gehörten nicht nur ausgesprochene Spezialisten wie der 1881 in Lonigo (Vicenza) geborene Giuseppe Becce, der 1913 für den ersten Richard-Wagner-Film eine eigene Begleitmusik geschrieben hat. Sondern auch anerkannte Komponisten wie Arthur Honegger oder Erik Satie. Richard Strauss ließ 1925 für einen „Rosenkavalier“-Film Musik aus seiner Oper umarbeiten. 2006, achtzig Jahre nach der Uraufführung in der Sächsischen Staatsoper Dresden, spielte sie die Sächsische Staatskapelle unter Leitung von Frank Strobel zur Wiederaufführung des rekonstruierten cineastischen Meisterwerks.

Frank Strobel erforscht seit Jahrzehnten Quellen und Praxis der Filmmusik. Das Kurt Weill Fest in Dessau profitierte nun von seiner Leidenschaft für das oft verkannte Genre: Mit der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz stellte er im Anhaltischen Theater Arrangements aus Musik vor, die für Filme aus der legendären Kinostadt Babelsberg bei Potsdam und später aus der „Traumfabrik“ Hollywood geschaffen wurden. Sie stammen von Komponisten wie Werner Richard Heymann oder Walter Jurmann, die das Reich verlassen haben oder verlassen mussten, als die braunen Machthaber die Juden vertrieben und die „Entarteten“ hinausekelten. Ein kultureller Aderlass, den Deutschland und Österreich lange Zeit nicht verkraftet haben.

Dass die Arrangements – darunter seit Jahrzehnten nicht mehr gespielte Originale aus der Entstehungszeit der Filme – überhaupt verfügbar wurden, ist Strobels Forschergeist und seinen guten Kontakten zu verdanken. Ausdrücklich dankte er den Nachfahren und Witwen der Filmkomponisten, dass sie Material aus Nachlässen zugänglich gemacht haben. Zwei Jahre Vorarbeit stecken in dem Projekt des Kurt Weill Festes. Und nach dem Konzert ist zu resümieren: Es hat sich gelohnt.

Denn abgesehen von unsterblichen Melodien – wer kennt nicht Heymanns „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück“ – macht die Staatsphilharmonie in großer Besetzung auch fasslich, wie qualitätvoll, harmonisch versiert und instrumentationstechnisch gekonnt die Kompositionen angelegt sind. Etwa „Der Maschinenmensch“, ein komplexes Porträt aus der Musik von Gottfried Huppertz zur Fritz Langs „Metropolis“. Oder ein Stück, von dem man Routine erwarten würde: eine „Sérénade passionnée“ von Werner Richard Heymann, die „leidenschaftliche Szenen“ in Stummfilmen untermalen sollte. Fassliche Melodien, eine sinnliche Chromatik und die süffig-schwärmerische Orchestration rufen entsprechende Szenen geradezu vors geistige Auge. Ein Zeichen, dass die Musik selbst „darstellerische“ Qualitäten hat.

In der Ouvertüre zu Ernest Golds mit dem Oscar ausgezeichneter Musik zu Otto Premingers Film „Exodus“ (1960) erreicht der Klang monumentale Ausmaße: Nicht nur das weltberühmte Motiv, auch die üppige Farbigkeit mit ihren für die „Breitwand“-Filme aus Hollywood typischen klanglich abgesetzten Klanggruppen, mit ihren orientalisierenden Anspielungen und mit ihrer schwärmerischen Phrasierung sind kennzeichnend für das überwältigende Erlebnis-Kino, das Erich Wolfgang Korngold eine Generation vorher in „Robin Hood“ musikalisch prägte. Für den Technicolor-Film mit Errol Flynn und Olivia de Havilland schrieb Korngold eine der besten Filmmusiken der Geschichte, die ihm 1939 einen Oscar eingebracht hat. Der „March of the Merry Men“, wie ihn das Orchester aus Ludwigshafen spielt, ist ein pralles Stück darstellungswilliger Musik.

Keine Frage, dass Frank Strobel das Idiom solcher Filmromantik souverän beherrscht. Er lässt spüren, wie sorgfältig die Komponisten zu Werke gingen: Die harmonische Tiefenstaffelung klingt nie kompakt verfettet, sondern bleibt plastisch-voluminös. Der Rhythmus ist locker, die Phrasierung auf einen weiten Atem gelegt, wenn es um glühende Leidenschaften geht, von denen Filme dieser Art nun einmal leben. Und der Mut zu kraftvollen Farben mündet nicht in dickflüssigen Auftrag: Pinselstrich und Pigmente bleiben sichtbar. So wird ein Meisterwerk wie die Suite aus Musik von Franz Waxman zu „Sunset Boulevard“ (1950) zu einem Paradebeispiel emotional aufgeladener Musik. Gekonnt spielt sie mit eigentlich abgegriffenen Klischees, von unheimlichen Tremoli über düstere Chromatik bis zur orientalischen Atmosphäre von Richard Strauss‘ „Salome“. Und vor dem inneren Auge sieht man, wie Gloria Swanson sich allmählich in den Fängen ihres Wahns in die mörderische Tetrarchentochter verwandelt. Großes Kino!

Das Kurt Weill Fest steht in diesem Jahr unter dem Thema „Krenek, Weill & die Moderne“. Anlass ist der 25. Todestag Ernst Kreneks. Der Wiener, der nach dem „Anschluss“ in die USA emigrierte, hat sich rege für moderne Medien interessiert. Seine Tagebücher beweisen, dass er ein passionierter Kinogänger gewesen ist. Eine eigene Filmmusik hat er zwar nicht hinterlassen, aber er half schon 1922 dem nur wenig älteren UFA-Kapellmeister Leo Spies bei der Filmmusik zu Friedrich Murnaus „Phantom“ nach Gerhart Hauptmann.

Allerdings hat sich Ernst Krenek in zahlreichen Artikeln mit dem Genre Filmmusik beschäftigt. Das neue Medium Fernsehen schien ihm sehr geeignet, „neue Dimensionen in den musikdramatischen Raum“ einzuführen. „Auf jeden Fall sind die Möglichkeiten des Mediums großartig und aufregend“, schrieb Krenek 1968 in einem Aufsatz „Musiktheater – Fernsehen – Film“. Er selbst schuf zwischen 1961 und 1974 drei Fernsehopern. Besonders in der ersten, „Ausgerechnet und Verspielt“, experimentiert Krenek mit den Möglichkeiten des Fernsehens und setzt seine theoretischen Erkenntnisse in die Praxis um.

 Das Konzert „Von Babelsberg nach Hollywood“ mit Frank Strobel und der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz wird wiederholt am 31. Mai im Capitol Mannheim, am 3. Juni in der Fruchthalle Kaiserslautern und am 10. Juli open air in Ludwigshafen. Info: www.staatsphilharmonie.de

 

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