DESSAU: DER VOGELHÄNDLER von Carl Zeller
29.10.2023 (Werner Häußner)
Ania Vegry (Kurfürstin Marie) und Thomas Paul (Adam) mit dem Opernchor des Anhaltischen Staatstheaters Dessau. Copyright: Claudia Heysel
Mit den Operetten ist es immer so eine Sache: Die alten Inszenierungstraditionen sind vergessen oder funktionieren nicht mehr. Was man sieht, wenn an einem Musiktheater überhaupt noch Operette angeboten wird, bewegt sich meist irgendwo zwischen Extremen. Das eine ist die hinterfragungslose Nacherzählung in bunten Bildern und Möchtegern-Kostümopulenz, angehübscht mit abgestandenen, schlecht pointierten Witzeleien. Auf der anderen Seite droht ein verbissener Wille zu Neuerfindung mit allen Mitteln der Überformung, gezwungener Aktualisierung, frisch verschlimmbesserten Dialogen und schlecht pointierter, noch abgestandenerer Comedy. Polemik beiseite: Der ironische Blick auf Menschen und Gesellschaft, der die Operette auszeichnet, die Lust am eingestreuten Sentiment, die freche Anarchie und die leise Melancholie, das kalkulierte Überzeichnen plumper Klischees und die Utopie, das Leben möge in unmöglichen Situation dennoch gelingen – alles das ist selten, aber wenn’s funktioniert, macht es unglaublich Spaß.
In Dessau war der Spaß begrenzt: Johannes Weigand lässt Carl Zellers „Vogelhändler“ sein „Grüßt euch Gott, alle miteinander“ schmettern und bedient mit Bühne und Kostümen aus dem Fundus, zusammengestellt von Christopher Melching, die Schaulust des Publikums, das den riesigen Raum des Anhaltischen Staatstheaters ausnahmsweise einmal bis zum letzten Platz füllt. Fesche Tiroler treffen auf mondäne Hofstaat-Roben, im Hintergrund grüßt ein deutscher Wald und später Säulen ohne Kapitelle und eine gewaltige Treppe, gekrönt von gräzisierenden Statuen. Schön anzuschauen, eine nette Kulisse, durchaus auch funktional, aber nicht übers Dekor hinausweisend.
So geht’s auch mit der Inszenierung: Der Chor soll synchrone Bewegungen vollführen. Tut er aber so wenig wie er einsatzsauber singt. Auch beim aufgerauten Frauenchor hätte Sebastian Kennerknecht gerne noch polieren können. Solisten treten auf und ab, wie es in der Operetten-Dutzendware an den Stadttheatern der siebziger Jahre erbarmungswürdiger Brauch war. Keiner der Protagonisten wächst über die Basis-Klischees hinaus: Thomas Paul, immerhin mit einem alpenländischen Akzent operierend, bleibt ein stimmlich steifleinerner Naturbursch, der wenigstens nach differenzierter Dynamik strebt. Ania Vegry müht sich redlich um einen vollen, schönen Sopranklang, aber die Stimme ist groß, unflexibel und vibratosatt, hat nicht den feinen, beweglichen Glanz und die rhetorische Agilität für eine Operettendiva. „Als geblüht der Kirschenbaum“ wird so nicht zum ebenmäßig gesungenen Erinnerungs-Intermezzo. Dass auf der Bühne rosa Kirschblüten blühen, ist lediglich ein kitschiger Verdoppelungseffekt.
Carl Zeller hat in seinen „Vogelhändler“ wunderbar beobachtete Schranzen eingebaut; Charaktere, die der praktizierende Jurist sicherlich bei Hofe und im Amte in der Realität von 1890 beobachten konnte und die unabhängig vom Zeitgeist noch heute wirken. Baron Weps etwa, der kurfürstliche Wildmeister, könnte mit seiner Gier, seinem straffen Pragmatismus und seinem flexiblen Umgang mit der Legalität als zeitgenössische Figur durchgehen. Barış Yavuz tendiert jedoch dazu, mit wuchtiger Stimme einen drolligen Slapstick-Komödianten zu imitieren, ohne dass es recht gelänge. Die Ambivalenz solcher Figuren zwischen amüsant und gefährlich bleibt so auf der Strecke.
Freilich wirkt der Flachwitz, so auch beim Professorenpaar Süffle und Würmchen: Alexander Nikolić und Michael Tews intonieren das geniale Couplet vom „Prodekan“ mehr schlecht als recht, fisteln sich durch die Noten und fahren zum Schluss mit einem Stehpult durch die Gegend – einsamer Höhepunkt eines Humors, dem das Bemühen zuzuschreiben schon zu viel der Ehre wäre. Wie David Ameln seine Rolle als höchst anpassungsfähiger Graf Stanislaus ausgefüllt hätte, war nicht zu erkennen – er war krank und konnte nur markieren. Auch das ein Symptom der Operettenkrise: Vor einer Generation noch wäre es problemlos möglich gewesen, einen Stanislaus von einem Nachbartheater als Einspringer zu holen.
Christel Ortmann füllt die vorgestanzten Pointen der „komischen Alten“ als Hofdame mit passendem Aplomb aus, auch Kostadin Argirov ist als Dorfschulze Schneck ein wackerer Darsteller. Ein Lichtblick: Bogna Bernagiewicz als Christel im netten Kleidchen in pastellgemilderten Postfarben Gelb und Blau, mit leuchtend klarer Stimme und natürlichem Spielwitz. Wolfgang Kluge entlockt als im besten Sinn routinierter Könner der Anhaltischen Philharmonie die schmeichelnden Melodien, baut das Finale von den „Rosen in Tirol“ beinahe wie ein italienisches Concertato auf und achtet auf warme, duftige Streicher und lichte Holzbläser. Da hört man gerne zu und vergisst das adrette Elend auf der Bühne.
Werner Häußner