Dresden / Kreuzkirche: „WEIHNACHTSORATORIUM Teil II“ – 11.1.2025
Es mag jetzt ungewöhnlich erscheinen, nach Weihnachten noch ein Weihnachtsoratorium zu hören (durch den Kommerz wurde die Weihnachtszeit inzwischen „vorverlegt“), aber Johann Sebastian Bach hatte ursprünglich für seinen sechsteiligen Kantatenzyklus die Zeit zwischen 1. Weihnachtsfeiertag und Epiphanias (6.1.) vorgesehenen Aufführungszeit, die beim Dresdner Kreuzchor wenigstens zur Hälfte eingehalten wird, eine Tradition, die auf den früheren Kreuzkantor Rudolf Mauersberger zurückgeht, der den Chor einst zur Weltgeltung führte. Die ersten drei Kantaten werden, dem Publikum entgegenkommend, beim Kreuzchor schon vor, aber möglichst nahe an Weihnachten aufgeführt, die anderen drei nach Weihnachten. Kenner wissen das zu schätzen und füllten die Kirche auch am Sonnabend nach Epiphanias bis in den letzten Winkel.
Schon mit den ersten Takten, die die Dresdner Philharmonie mit ihrer warmen Tongebung anstimmte, und dem Einsetzen des von Kreuzkantor Martin Lehmann präzise bis ins Detail vorbereiteten Kreuzchores entstand eine feierliche Atmosphäre. Chor und Orchester bildeten wie stets eine klangliche Einheit und die sichere Basis, auf der auch die Solisten aufbauen konnten.
Für die, im Gegensatz zum ersten Teil des „Weihnachtsoratoriums“ im zweiten Teil wesentlich umfangreichere Sopranpartie brachte die junge Sopranistin Rinat Moriah ihre Erfahrungen eines breit gefächerten Repertoires lyrischer und Koloratursopran-Rollen sowie ihre Erfahrungen, mit bekannten Orchestern unter bedeutenden Dirigenten mit und gestaltete die anspruchsvollen Arien und Rezitative mit wohlklingender Stimme und klaren, schönen Koloraturen. In der berühmten „Echo-Arie“ sang ein kleiner Kruzianer die Echos aus räumlicher Ferne sehr sicher und im genau richtigen Maß. Die Altpartie hatte Susanne Langner übernommen, die am Salzburger Mozarteum studierte und mehrere Wettbewerbe, darunter den Bachwettbewerb in Leipzig und den Pfitzner-Preis der Stadt Weiden gewann. Der gebürtige Isländer Benedikt Kristjánson studierte unter anderem in Berlin und ist Publikumspreisträger des Leipziger Bachwettbewerbes. Er gestaltete die Tenorpartie mühelos und mit fröhlichem Herzen. Alle drei verfügen über eine klare, klangvolle Stimme, Stilgefühl und gute Diktion, konnten aber den großen Kirchenraum mit seiner trockenen Akustik stimmlich nur bedingt füllen.
Der auf dem Gebiet des Oratoriengesanges sehr erfahrene Bassist Tobias Berndt, der auch die akustischen Verhältnisse der Dresdner Kreuzkirche schon seit seiner Jugendzeit als Kruzianer und später durch zahlreiche Auftritte als Solist an dieser Stelle bestens kennt, über stimmliche Qualitäten und großartiges stilgerechtes Gestaltungsvermögen verfügt, unter anderem auch im konzertanten „Ring“ von Richard Wagner unter Marek Janowski mitwirkte und den Wettbewerb Das Lied – International Song Competition in Berlin und den Brahmswettbewerb in Pörtschach gewann, brachte das nötige stimmliche Volumen und die ideale „Dosierung“ für diesen Klangraum mit, so dass in Verbindung mit seiner guten Gesangstechnik und Textbehandlung kein Ton und kein Wort verloren ging und durch seine gute inhaltliche Gestaltung kein Wunsch offenblieb.
Die Musiker der Dresdner Philharmonie mit ihrer äußerst zuverlässigen und besonders klangschönen Continuogruppe aus Kontrabass, Violoncello, Fagott, Laute, Orgel und Cembalo, die durch die gesamte Aufführung nicht vordergründig und doch, den guten Ton angebend, führte, waren maßgeblich an der guten Aufführung beteiligt. Der wunderbare Klang der beiden Oboen und die drei sehr sauberen und klangschönen Trompeten setzten klangvolle Akzente.
Bei Bach ist – wie in der Barockzeit üblich – die Instrumentierung nicht zwingend vorgegeben. Da können zum Beispiel die Instrumente der Continuogruppe variieren, wie hier, wo die Hinzunahme der Laute mit ihren lieblichen Klängen bei aller Großartigkeit des Oratoriums eine besondere Intimität vermittelt. Obwohl man bestimmte gewohnte, wirkungsvolle Klangwirkungen nicht missen möchte, die auf Bach zurückgehen oder auch aus späteren Bearbeitungen stammen, gibt es immer wieder Überraschungen und neue Klangwirkungen. Bach selbst ist doch sehr großzügig mit der Instrumentierung umgegangen, vermutlich oft auch, um aus der Not eine Tugend zu machen, und mit den zur Verfügung stehenden Musikern und ihren Instrumenten noch die beste Klangwirkung zu erzielen. Er transformierte, was heute kurios erscheinen mag, sogar Antonio Vivaldis Violinkonzerte auf die Orgel.
Lehman entschied sich wie auch schon im vergangenen Jahr – entgegen früherer Aufführungspraktiken – den innigen Choral „Ich steh an deiner Krippen hier“ in der sechsten Kantate nur vom Chor a capella singen zu lassen, wodurch die Innigkeit des Ausdrucks noch verstärkt und die derzeitigen Qualitäten des Chors sehr deutlich hervortraten. Allgemein war der Chor gut in Form, klang frisch und entspannt. Der Stress durch die zahlreichen Veranstaltungen zwischen Weihnaschten und Neujahr lag hinter den jungen Sängern, und sie konnten die anspruchsvollen Intentionen ihres Kreuzkantors mit aller Intensität in die Praxis umsetzen.
Bachs Musik nimmt immer wieder gefangen, ganz gleich, zu welcher (Jahres-)Zeit man sie hört. Ich erinnere mich an ein Bachfest in Leipzig, als im Juli bei strahlendem Sonnenschein und entsprechenden Außentemperaturen Bachs „Weihnachtsoratorium“ aufgeführt wurde. Die Aufführung zog aber so in ihren Bann, dass man alles ringsum vergaß.
Auch wenn sich die Zeiten geändert haben und die Aufführungen von Bachs „Weihnachtsoratorium“ eine Zeitverschiebung erlebt haben, konnte man sich doch auch „verspätet“ in den zweiten Teil vertiefen und sich an seine ursprüngliche Bestimmung erinnern.
Ingrid Gerk