Andrea Lucchesini mit Franz Schubert bei audite erschienen
Freiheit der harmonischen Entwicklung
Der italienische Pianist Andrea Lucchesini legt neue Schubert-CD bei audite vor
Andrea Lucchesini studierte bei der legendären Pianistin Maria Tipo in Florenz. Die Wiedergabe der beiden späten Klaviersonaten Nr. 18 und 19 von Franz Schubert besticht aufgrund einer reifen Anschlagskunst und nie nachlassenden klanglichen Intensität. Den lange ausschwingenden Klängen der 18. Sonate in G-Dur D 894 wird Andrea Lucchesini mit Präzision gerecht, während seine Wiedergabe der 19. Sonate in c-Moll D 958 aufgrund der Nähe zu Beethovens Klavierstil überzeugt. Die Form der Fantasie wird bei der Sonate Nr. 18 in G-Dur nie vernachlässigt, Lucchesini lotet gleichsam die letzten Geheimnisse dieser subtilen Musik minuziös aus. Lyrisch und weiträumig kommen die harmonischen Bewegungen daher, manchmal erinnern sie an geheimnisvolle Wellen, die der Pianist suggestiv auslotet. Ruhig und getragen fesselt hier das Hauptthema, die dynamische Balance gerät nie aus dem Gleichgewicht, erreicht ungeahnte Höhen. Mystisch wirkt dann der h-Moll-Einsatz, dessen Klangzauber den Zuhörer ungemein fesselt. Sehr gefühlvoll stellt Lucchesini das Seitenthema dar. Sphärenhaft wirkt zudem das dritte und nur aus vier Noten bestehende Thema, alles sinkt in ruhevolle Momente zurück. Sehr dramatisch verläuft bei dieser Wiedergabe die Durchführung in g-Moll, führt zu einem heftigen Höhepunkt in c-Moll. Die Erinnerung gipfelt mystisch in einer Coda. Berührend ist Andrea Lucchesinis Wiedergabe des zweiten Andante-Satzes mit seinem aufbegehrenden Charakter zwischen Dur und Moll. Im dritten Satz behauptet sich ein energisches Menuett, das Lucchesini markant betont. Im H-Dur-Trio gefällt der Klangzauber der angehaltenen Quinten. Zu einem Höhepunkt gerät bei dieser Interpretation der Schlusssatz, dessen fortlaufende Achtelbewegung der Pianist fast akribisch beschwört. Der c-Moll-Charakter wird von Lucchesini mit leidenschaftlichen Bass-Oktaven wirkungsvoll beschrieben. In einer Coda erweitert sich nochmals das harmonische Geschehen, dessen erfrischenden Charakter Andrea Lucchesini ausgezeichnet erfasst. Dass die Sonate Nr. 19 in c-Moll D 958 von Schubert tatsächlich eine erstaunliche Nähe zu Ludwig van Beethoven besitzt, macht Andrea Lucchesini bei seiner Interpretation einmal mehr deutlich. Vor allem der harte motivische Rhythmus wird hier hervorragend herausgearbeitet. Und auch der empordrängende Charakter lässt keine Wünsche offen. Die wilden chromatischen Läufe mit ihren heftigen Auf- und Abwärtsbewegungen überwältigen den Zuhörer – und die abschließende Coda wirkt umso geheimnisvoller und düsterer. Ausgesprochen schlicht spielt Lucchesini den zweiten Andante-Satz, während er dem dritten Satz glücklicherweise den altväterlichen Habitus nimmt und stattdessen sphärenhafte Leichtigkeit verleiht. Dass der Tanzcharakter hier von c-Moll nach C-Dur wechselt, ist deutlich herauszuhören. Auch die Quintensprünge des zweiten Themas wirken keineswegs übertrieben, auch wenn die Klangqualität zuweilen noch transparenter sein könnte. Die Freiheit der harmonischen Entwicklung erhält hier jedenfalls imponierende Kraft und Klarheit.
Alexander Walther