Bariton Thomas Weinhappel im Gespräch
Thomas Weinhappel vor der Alexander-Newski-Kathedrale in Sofia. Copyright: Weinhappel
Im Juni 2024 ist es wieder so weit: Sofia, Bulgarien, lädt erneut zum Richard-Wagner-Festival ein. Unter der künstlerischen Leitung von Prof. Plamen Kartaloff stehen dieses Mal der komplette „Ring“ sowie eine Neuproduktion des „Lohengrin“ auf dem Programm. Das Ensemble besteht traditionell überwiegend aus bulgarischen Künstlern. Beim „Lohengrin“ wird jedoch der Österreicher Thomas Weinhappel alternierend die Rolle des Telramund übernehmen und damit sein Rollendebüt feiern. Der charismatische Bariton hat in den letzten Monaten durch seine außergewöhnlichen Darbietungen besondere Aufmerksamkeit erregt. In verschiedenen Wagner-Konzerten brillierte Weinhappel nicht nur mit seiner stimmlichen Souveränität, sondern beeindruckte auch durch seine sprachlich intensive Gestaltung – ein seltenes Erlebnis in der heutigen Musikwelt. Unser Redakteur, Dirk Schauß, hatte die Gelegenheit, mit Thomas Weinhappel zu sprechen.
DS: Lieber Herr Weinhappel, nach erfolgreichen Jahren als lyrischer Bariton sind Sie nun beim Heldenbariton angekommen. Wagner bedeutet Ihnen sehr viel. Und in den letzten Monaten haben Ihre Wagner-Abende große Beachtung gefunden. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
TW: Mein Weg zu Wagner begann kurz vor Corona. Ich war sofort Feuer und Flamme und habe meinen ersten Gehversuch, den Holländer, geradezu inhaliert! Dann hat es sich zufällig im Januar 2020 ergeben, dass ich Stefan Mickisch kurz und ganz privat vorsingen durfte. Ich bin sofort ins kalte Wasser gesprungen, ich wollte es wissen, ob ich dafür tauge. ‘Ja, das ist Ihr Weg!’, sagte er mir und das bestärkte mich so sehr, dass ich mir eine Rolle nach der anderen aneignete. Während der Corona-Lockdown-Zeiten, hatte ich auch endlich die Zeit dafür, mich ausführlich mit dem Text zu beschäftigen, Sekundärliteratur zu lesen und sehr viel auf YouTube zu hören. Dass sich Stefan Mickisch nicht geirrt hatte, bestätigte im September 2021 die Kritik, als ich beim Klassik Open Air »Götterklang trifft Donaugold« in Tulln für den erkrankten Günther Groissböck als Wotan in allerletzter Minute einspringen durfte. Ein zweiter Sprung ins kalte Wasser, der hoch honoriert wurde, da die Kritik tatsächlich von einem „neuen Wotan“ und „der großen Überraschung des Abends“ sprach. Nach dieser Feuertaufe in Tulln Ende 2021 mit meinem allerersten Wotan und den beiden Wagnerabenden 2022 (mit Klavier am 30.3. und dem Orchester Camerata Carnuntum am 25.5.), wo ich nun bereits Teile aus dem Holländer, Telramund, Amfortas, Wolfram und Donner präsentieren konnte, war es für mich klar, dass ich mein lyrisches Fach, mit dem ich immerhin die beiden höchsten tschechischen Staatspreise (Thalia und Libuska) für meinen damaligen Hamlet gewonnen habe, gegen das dramatische Fach eintauschen werde. Lyrische Komponenten vergesse ich aber natürlich nicht, denn auch Wagners Texte verlangen diese Qualität. Und ich habe mich gefreut, diese Qualitäten beim Posa im Don Carlo wieder vermehrt einsetzen zu können, den ich glücklicherweise sehr erfolgreich im Sommer 2023 an der Oper Klosterneuburg singen durfte. Von da an war mir klar, dass sowohl Wagner als auch Verdi in Zukunft meine ständigen Begleiter sein werden.
DS: Nun erfüllt sich für Sie ein ganz großer Traum! Endlich Wagner auf der Bühne! Und der Einstieg erfolgt gleich mit einer in Fachkreisen bezeichneten „Killerpartie“: der Telramund im „Lohengrin“, in einer Neuproduktion im fernen bulgarischen Sofia. Wie kam es dazu?
Thomas Weinhappel neben dem „Lohengrin“-Plakat in Sofia. Copyright: Weinhappel
TW: Um Wagner auf der Bühne singen zu dürfen, bedurfte es einiger Umwege, die ich aber nicht missen möchte. Diese Umwege über Konzerte, die ich als selbständiger Veranstalter in Paris, Peking und Wien organisiert habe, boten dem Publikum die Möglichkeit, mich jetzt als dramatischen Bariton kennenzulernen und gaben mir die Gelegenheit, mich vorzustellen und bei jedem Abend dazuzulernen. Auch die immer wiederkehrende Frage von Intendanten und Dirigenten (deren Beantwortung leider manchmal für das Zustandekommen eines Engagements Ausschlag gebend ist), ob man die Rolle bereits auf der Bühne gesungen habe, konnte ich durch meine konzertanten Abende wenigstens mit „teilweise“ beantworten und glücklicherweise viele positive Pressestimmen vorweisen. „Der neue Göttervater heißt Thomas“ wurde da beispielsweise Anfang 2024 in der Wiener Presse getitelt. Dass bei derartigem Lob dann der Glücksfall eintritt und ich in die Lohengrin – Produktion des Sofioter Wagner Festivals noch während der Probenzeit einspringen konnte, verdanke ich zum einen meinem Mentor Falk Struckmann, der mir sehr viel wertvolles technisches Wissen vermittelt hat und zum anderen vielen Experten aus der Presse, die mich wahrscheinlich mancherorts erwähnt haben. Nun kam das Vorsingen für den Telramund und ich bin sehr glücklich, diese Rolle, die ja als eine der schwierigsten des Wagnerfaches gilt, hier endlich auf der Bühne und nicht nur im Konzert – aber natürlich weiterhin auch dort – darstellen zu dürfen. Prof. Kartaloff hat mich nach dem Vorsingen hier nicht gefragt, ob ich die Rolle bereits auf der Bühne gesungen habe, er wollte meine Meinung über Wagner hören: jede Wagnerrolle, so sagte ich ihm, ist für mich immer ein Erlebnis aus hunderten Facetten und je öfter ich diese Musik singe, um so klarer werden mir die 1000 Zusammenhänge, um so deutlicher und intensiver erkenne ich, worauf es ankommt! Während einer Produktion wie hier in Sofia ergeben sich dann in der Zusammenarbeit mit dem Dirigenten und dem Regisseur weitere erhellende Augenblicke und dann tritt schon während der Proben dieser Moment ein, wo man weiß, warum man diesen Beruf gewählt hat, weil er nämlich der allerschönste von allen ist, man sich selbst ständig weiterentwickeln, noch mehr aus dem Text herausholen kann, weil man ihn noch besser versteht und so dem Publikum das weitergeben kann!
DS: An dieser Stelle wünsche ich Ihnen ganz viel Erfolg für das Rollendebüt und viele Folge-Engagements! Wie geht es mit Ihnen weiter? Welche Partien sind geplant?
TW: Meine weiteren Pläne umfassen sehr aufregende Rollen: Gleich nach dem Telramund in Sofia wartet der Kaspar auf mich bei den Festspielen in Eutin in der Regie von Regisseur Anthony Pilavachi und dem musikalischen Leiter Leslie Suganandarajah. Die gewaltige Seebühne am Großen Eutiner See ist ein Publikumsmagnet im kulturellen Leben Schleswig-Holsteins und es ist eine Auszeichnung, gerade hier, wo Weber geboren ist, sein Werk singen zu dürfen. Ich freue mich auf die 9 Vorstellungen bis Mitte August und die Premiere ist am 19. Juli! Hier im hohen Norden Deutschlands habe ich 2022/23 den Kaspar als meine damals erste Rolle im dramatischen Fach schon einmal gesungen und es war auch damals in Bremerhaven in der Regie von Wolfgang Nägele mit Dirigent Davide Perniceni eine herrliche Aufgabe, die ich – laut Kritik – sehr gut gemeistert habe. Unmittelbar danach folgt am 10. September 2024 ein Wagnerabend in Wien im Bank Austria Salon mit meiner sehr geschätzten Kollegin Almerija Delic vom Staatstheater Nürnberg mit der ich die 1. Szene aus dem 2. Aufzug der Walküre (Wotan / Fricka) und natürlich die 1. Szene des 2. Aufzugs des Lohengrin (Telramund / Ortrud) sowie Soli aus dem Parsifal singen werde. Almerija ist meiner Meinung nach eine Idealbesetzung für diese Rollen und hat – so wie ich selbst auch – erst kurz vor Corona zu Wagner gefunden. Anfang 2025 beginnen die Proben am Stadttheater Baden bei Wien für die Tosca mit Natalja Ushakova in der Titelrolle und Eric Reddet als Cavaradossi in der Regie von Dr. Michael Lakner und Michael Zehetner am Pult. Ich werde dort meinen ersten Scarpia singen und freue mich sehr darauf. Dr. Lakner stand und steht für eine ausgezeichnete Personenführung und rundum durchdachte Inszenierungen, die fern vom Regietheater dem Publikum einen werktreuen Zugang zur Oper und uns Sängerinnen und Sängern viel Spielraum für die eigene Interpretation der Rollen ermöglichen. Das gibt mir die Chance, diesen Charakter bis in die Tiefe auszuloten. Wie bei Wagner kommt es mir auch bei Puccini sehr auf den Text an, denn ich bin überzeugt, dass es der Text und dessen schauspielerische Gestaltung ist, der die Musik erst ganz zur Geltung bringt. Premiere werden wir am 22. Februar 2025 feiern.
DS: Welche Vorbilder haben Sie? Hören Sie sich andere Sänger an, um sich zu inspirieren? Was sind Ihre Überzeugungen als Sänger? Gibt es eine Art Credo, also Leitspruch?
TW: Um mit dem Credo zu beginnen – ja, das gibt es. Es stammt von Michael Haneke, der bei der Produktion seines in Cannes mehrfach ausgezeichneten Filmes »Die Klavierspielerin«, in dem ich vor vielen Jahren als ganz junger Sänger Teile aus der Winterreise sang, von mir sagte: »Thomas kann aus Rollen Menschen machen.« Das war damals und ist noch heute ein riesiges Lob und ich versuche, dieses Talent einzusetzen.
Ich strebe wirklich immer an, dass das Publikum das Rundherum vergisst, den Menschen sieht (und hört), den ich verkörpere. Immer wenn ich das schaffe, immer wenn es wahrhaftig ist, was ich auf der Bühne produziere, dann springt der Funke über auf das Publikum, das dann mit mir mitfühlt und das macht mich maßlos glücklich. Dementsprechend habe ich mir große Kollegen ausgesucht, die ebenso aus Rollen Menschen machen. Ich höre mir auf YouTube gerne ihre Interpretationen an und achte dabei speziell auf die Kleinigkeiten, die verraten am meisten und inspirieren mich dadurch. Donald McIntyre, Sherrill Milnes, Theo Adam und mein Mentor Falk Struckmann sind große Vorbilder für mich.
DS: Welche Unterschiede im Arbeitsprozess erleben Sie in Sofia im Vergleich zu anderen Bühnen? Wie ist die Stimmung im Ensemble?
TW: Die Stimmung im Ensemble ist hervorragend. Da sind kollegiale Könner ohne jede arrogante Attitüde, ohne jedes Konkurrenzdenken am Werk. Obwohl ich der einzige Gast, der einzige Ausländer in der Lohengrin-Produktion bin, haben mich alle – inklusive der administrativen Crew – vom Fleck weg – herzlich aufgenommen, helfen (vor allem bei Sprachschwierigkeiten, denn ich kann kein Bulgarisch) und geben mir das Gefühl, Teil einer großen Familie zu sein, die nur ein Ziel hat: Lohengrin, so wie Wagner ihn gedichtet und komponiert hat, werkgetreu und bis ins letzte Detail ausgefeilt dem Publikum nahezubringen.
Dazu trägt natürlich Prof. Plamen Kartaloff ganz enorm bei. Er selbst unterrichtet an der Akademie in Sofia Schauspiel und so ist es für ihn selbstverständlich, in die Psychologie jeder Rolle einzutauchen. Dafür ist – neben der Musik – der Text maßgebend, denn gerade bei Wagner, der ja seine Werke alle selbst auch gedichtet hat, müssen wir ganz besonders auf den Text achten. Prof. Kartaloff, der ein bewundernswerter Wagnerkenner ist, schafft es, uns aus dem Text heraus eine Basis zu vermitteln, auf der aufbauend wir die Rollen gestalten können und ich bin ihm dafür sehr dankbar. Darüber hinaus kennt er aber auch die Bedeutung und Aussagekraft der Musik, zeigt uns, wo Wagner bestimmte Akzente gesetzt hat und was er damit beabsichtigt hat. Diese Art Regie zu führen ist nicht nur hochinteressant, sondern für Sängerinnen und Sänger sehr entgegenkommend, denn er verbindet immer Musik, Schauspiel und seine Ideen zu einem Ganzen, dem wir überaus leicht – und mit viel Enthusiasmus – folgen können.
Dazu trägt hier auch die große Anna Tomowa-Sintow bei, die mit allen Sängern einzeln arbeitet und uns weiteres wertvolles Wissen vermittelt. Aus all diesen Gründen würde ich mich freuen, wenn ich in den kommenden Jahren wieder Gelegenheit bekommen könnte, in Sofia zu arbeiten.
DS: Lieber Herr Weinhappel, das sind spannende Einblicke! Herzlichen Dank für das offene und sympathische Gespräch. Ihnen wünsche ich ein erfolgreiches Debüt in Sofia mit vielen positiven Auswirkungen.
Dirk Schauß führte das Gespräch im Mai 2024.
Photos © Thomas Weinhappel