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DEN MENSCHEN SO FERN

07.09.2015 | FILM/TV, KRITIKEN

FilmCover Den Menschen so fern~1

Ab 11. September 2015 in den österreichischen Kinos
DEN MENSCHEN SO FERN
Loin des hommes / Frankreich / 2014
Drehbuch und Regie: David Oelhoffen
Mit: Viggo Mortensen, Reda Kateb u.a.

Es gibt ganz besondere Filme, von denen man hofft, dass ihnen nicht nur Festival-Ruhm zuteil wird, sondern dass auch ein breiteres Publikum sie sehen will. Trotz aller Sprödigkeit und Traurigkeit. Weil auf schlichteste Art und Weise eine große Geschichte erzählt wird. Bloß – auf die reißerische Bezeichnung eines „Algerien-Westerns“ sollte man bei „Den Menschen so fern“ nicht hereinfallen. Das ist diese Verfilmung einer Kurzgeschichte von Albert Camus („Der Gast“ von 1957) ganz bestimmt nicht.

Wahrscheinlich wollen die Franzosen dieses traurige Kapitel ihrer Geschichte selbst vergessen. Damals, Mitte der fünfziger Jahre, als Algerien, seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fest in ihrem Besitz, ein Kolonialland, in dem viele Franzosen lebten und es als ihre Heimat betrachteten, verloren zu gehen drohte (und dann 1962 auch die Unabhängigkeit erlangte). Die Geschichte blendet zurück ins Jahr 1954, als der Unabhängigkeitskrieg begann, und lotet, so sehr er auch im real Menschlichen verhaftet bleibt, auch die politischen Positionen aus.

Der Lehrer Daru führt irgendwo im Nirgendwo eine kleine Schule, wo er algerischen Kindern französische Bildung beibringt – nicht, um sie zu indoktrinieren, sondern um ihnen den Blick zu öffnen. Daru ist eine grandiose Rolle für Viggo Mortensen, nicht nur, weil er das Französische mit aller Selbstverständlichkeit spricht, sondern weil er Introvertiertheit nicht als Masche benützt, vielmehr als Charakteristikum dieses Mannes einsetzt, der keine Kinder hat, „nur Schüler“, der auch nirgends dazu gehört – später erfährt man, dass er von Eltern aus Andalusien stammt, von den Franzosen verachtet wie die Araber, von den Arabern einfach nur einer der Franzosen. Doch gehört er zu diesem Land, wo seine Eltern lebten, starben und begraben sind, und als die Unabhängigkeits-Unruhen ausbrechen, wird er sich entscheiden müssen.

Film/ Den Menschen so fern

Zuerst werfen ihm die wütenden Farmer (und sie erscheinen auf ihren Pferden, mit ihren Gewehren wirklich wie die bösen Weißen im Western) ein Problem hin: Sie haben andauernd Angriffe abzuwehren und keine Zeit, einen arabischen Bauern namens Mohammed, der seinen Cousin getötet hat, nach Tinguit zur Hinrichtung zu bringen. Man beauftragt den Lehrer, dies durchzuführen – basta.

Dieser Mohammed ist ein blutiges, schmutziges Bündel Mensch, als man ihn zu Daru bringt, der ihn mit aller Menschenwürde behandelt und auf der von den anderen erzwungenen gemeinsamen Reise eine Beziehung zu ihm aufbaut.

Das „Road-Movie“ durch die Berg- und Wüstenlandschaft Algeriens öffnet in faszinierenden Bildern eine Welt gewaltiger Natur, in welcher der Mensch ganz klein wird, aber, wenn er darin zu leben versteht, eine Heimat hat.

Die beiden geraten in Gefechte zwischen Franzosen und Arabern, wo Camus die Schandtaten seiner Landsleute nicht verschwieg – hier erschießt ein Battalion französischer Soldaten arabische Aufständische, die sich bereits ergeben haben, eine schwere Verletzung jeglichen Kriegsrechts und jeder Humanitas, die hier ohnedies nichts zu suchen hat.

Es gibt Szenen, die wirklich berühren, wenn Mohamed (Reda Kateb ist besonders überzeugend, weil er kein Klischee des „schönen Arabers“ bedient, sondern der einfache Mann ist, den Camus gemeint hat) sich Daru öffnet, diesem auch erzählt, dass er nie eine Frau hatte (worauf Daru noch einen Umweg über ein Bordell macht und ihm dieses Erlebnis schenkt), und klar macht, dass er aus Ehre gemordet hat, dass es seine Ehre aber ebenso verlangt, sich der Strafe zu stellen.

Der von Regisseur David Oelhoffen hinreißend erzählte Film, der nur in den brutalen Kampfszenen begreiflicherweise aus seiner Ruhe gerät, wird wirklich spannend, wenn Daru Mohammed, den er selbstverständlich nicht ausliefern will (egal, wie die Konsequenzen für ihn aussehen), dazu zu überreden sucht, zu den Nomaden zu gehen und dort vor den französischen Besatzern unterzutauchen. Dass er selbst, der die Araber gut kennt, nicht auf Seiten der Kolonialmacht stehen kann, ist klar. Wohin sein Weg führen wird, das lässt Camus so offen wie der Film, der so ruhig über die Leinwand zieht und den Besucher – neben grenzenloser Bewunderung über die Machart – in einem Wirbelwind von Gedanken und Gefühlen zurück lässt.

Renate Wagner

 

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