DECCA: Hommage an „The 5 Countertenors“
Goldgrube vokaler Barockmusik mit Mynenko, Sabata, Cencic, Sabadus und Yi
Was am Cover wieder einmal wie ein blöder Marketinggag (3, 5, 10 oder wer weiß wie viele Tenöre) klingt und ohne näher hinzusehen auch eine Restl-Verwertung von Altbekanntem sein könnte, erweist sich bei näherer Betrachtung und Hinhören als faszinierender beauty contest einiger der wohl bedeutendsten barocken Goldkehlchen unserer Zeit. Und nicht nur das: Das dramaturgisch wohl eher ad libitum, als nach einem überlegten Konzept zusammengestellte Arienpotpourri enthält fünf Weltersteinspielungen und Interpretationen durchwegs auf hohem Niveau. Durch die Mitwirkung der von Technik, Tonumfang, Klang, Charakter, Reifegrad und dramatischer Ausdruckskraft so unterschiedlichen Sänger kann man eine kurzweilige Stunde barocker Virtuosität erleben, die durchwegs ungetrübte Freude bereitet.
Jeder der fünf Countertenöre hat Gelegenheit, in jeweils zwei Opernraritäten zu versuchen, eine spezielle akustische Visitenkarte abzugeben, was allen ohne Einschränkung gelingt. Und wem gebührt nun der goldenen Apfel? Ich hätte da vier heiße Anwärter, aber werde mich hüten, einen trojanischen Krieg anzufachen, man weiß ja schließlich, wie empfindlich Tenöre sind.
Also im Detail: Valer Sabadus verfügt über eine klanglich herrlich ausgewogene Stimme, reiche vokale Farben und ein obertonreiches, dafür vibratoarmes Organ. Sein Vortrag der Arien „Spezza Io stral piagato“ aus Niccolo Jommellis Oper Tiro Manlio sowie „Non so frenare il piante“ aus der unbekannten Gluck Oper Demetrio ist stilistisch untadelig, von Eleganz und Noblesse geprägt.
Dem gegenüber ist der Gesang Xavier Sabatas in der wunderschönen Arie aus der Oper Ifigenia in Aulide von Nicola Porpora ungezügelter und emotionaler. Diese Arie ist der Favorit aus dem Album in der Wertung durch das französische Opernmagazin Diapason d‘Or in der Aprilausgabe der Zeitschrift. Seine Stimme trägt aber auch das nötige Samt und die Träne für das lange Legato der Arie „Otton, Otton..Voi che udite il mio lamento“ aus Händels Oper Agrippina in sich. Faszinierend.
Max Emanuel Cencic, bezaubert den Zuhörer mit einer Rarität von Bertoni, und zwar die Arie „Addio o miei sospiri aus der Oper Tancredi. Meisterlich, wie Cencic alle Facetten vokaler Klangrede zu kristallisieren vermag. Von üppig fließendem Legato bis furios metallener Koloratur steht Cencic alles an vokalen Ausdrucksmitteln zur Verfügung. Balsamisch auch die lyrische Arie „A questa bianca mano“ des Baldassare Galuppi. Konkurrenzlos.
Der junge Russe Yuriy Mynenko ist für mich die „Edda Moser der Countertenöre“ (das ist ein großes Kompliment). So dramatisch aufgeladen, vom Stimmumfang beeindruckend und mit profunder Tiefe „geröhrt“ hört man Barockmusik heutzutage selten, zumal in unseren künstlerisch doch eher sterilen Zeiten. Mir gefallen seine mit Passion hingefetzten Arien aus Händels Oper Serse („Crude furie degl‘orridi abissi“) und Johann Christian Bachs Temistocle („Ch‘io parta?“) ganz besonders gut. Was für ein Talent! Auf die weitere Entwicklung dieses Ausnahmesängers darf man gespannt sein.
Der Sopranist Vince Yi kann da von den üppigen Klangvaleurs und stimmlichen Finessen her mit den anderen vier nicht ganz mithalten. Die sehr höhenlastige, lyrische Stimme hat aber auch seinen eigenen Reiz. Sein Vortrag der Raritäten „Ti parli in seno amore“ aus Mysliveceks Oper Farnace und Johann Adolf Hasses Piramo et Tisbe (“Ah, non e ver, ben mio“) ist erfrischend jugendlich, technisch perfekt, aber vom Timbre her doch etwas gewöhnungsbedürftig.
Der wahre Luxus der Aufnahme besteht aber darin, das die jungen Herren vom Ensemble Armonia Atenea unter Georges Petrou begleitet werden. Petrou hat sich in relativ kurzer Zeit zu einem der spannendsten Interpreten barocker und klassischer Musik entwickelt. Seine Einspielungen der Opern Alessandro von Händel und Siroe von Hasse (beide für DECCA und mit Max Emanuel Cencic) wurden zu Recht mit allen möglichen Preisen überhäuft. Und so gelingen Petrou auch hier rein instrumental faszinierende Wiedergaben, differenziert und mit hoher Innenspannung musiziert. Ein wahrer Perlenfischer im Wundermeer barocken Fahrwassers. Wenn die Marketingabteilung von DECCA auf der Höhe der hier dargebotenen Musik gewesen wäre, hätte man sich auch ebenso an einem ansprechenden, unverdächtigen und originelleren Titel freuen können.
Dr. Ingobert Waltenberger