Das Berghotel Schatzalp. Foto: Yannick Andrea/ Davos-Festival
DAVOS (Verschiedene Spielorte): DAVOS FESTIVAL
von 10. – 14.8.2020
Auch in der Schweiz hat das böse Virus unter den Musikfestivals Massaker angerichtet. Die berühmtesten von ihnen – Gstaad, Verbier, Luzern – haben ziemlich frühzeitig alle abgesagt.
Also blieb es den kleineren, wendigeren und mutigeren vorbehalten, in diesem Seuchensommer die Ehre der „live“ gespielten klassischen Musik aufrecht zu erhalten und dafür auch – völlig verdient – mehr mediale Aufmerksamkeit als sonst einzuheimsen.
Eines davon ist das DAVOS FESTIVAL. Ja, Davos hat nicht nur den Weltwirtschaftsgipfel, das Vorbild für Thomas Manns „Zauberberg“-Hotel und das Kirchner-Museum vorzuweisen, sondern eben auch diese zweiwöchigen Musikfestspiele.
Eine der Hauptattraktionen dieses seit 1986 bestehenden Events sind ihre sehr speziellen, teils wunderschönen Veranstaltungsorte. Nun gut, der Konzertsaal im Hotel Schweizerhof ist eher normal und nichts Besonderes. Aber ein Besuch in dem auf einer Anhöhe über Davos gelegene und mit einer eigenen Seilbahn erreichbare Jugendstilhotel Schatzalp (eben jenes, das Thomas Mann als Vorbild für sein Zauberberg-Sanatorium diente) wäre allein schon eine Reise hierher wert.
Alpendorf Monstein. Foto: Yannick Andrea / Davos-Festival
Beeindruckend auch die Kirche im bezaubernden Monstein, einem „naturbelassenen“, alle Schweizer Tourismusklischees perfekt bedienenden Alpendorf mit Holzchalets, Gamsgeweihen und Kuhglocken in allen Grössen…
Im Kirchner-Museum. Foto: Yannick Andrea/ Davos-Festival
Weiters wird gespielt in der St.Johann – Kirche, dem Kirchner-Museum (der deutsche expressionistische Maler hat in Davos 40 Jahre seines Lebens verbracht und liegt hier auch auf dem Waldfriedhof begraben), dem (Weltwirtschaftsforum – erprobten) Kongresszentrum und in der Schalterhalle des Bahnhofs.

Dorfspaziergang am Anlass «Orientierungssinn» am Freitag 7. August 2020 am DAVOS FESTIVAL 2020, vom 31. Juli – 15. August 2020. Thema «Von Sinnen». Foto: Davos-Festival/Yannick Andrea
Ausserdem gibt es Brunchkonzerte am Schwarzsee, musikalische Wanderungen nach Bärentritt, Valdanna und Wiesen, „Offenes Singen“ im Café KaffeeKlatsch und sogar eine gläserne „Box“ im Stadtpark, in der ein einzelner Pianist einem einzigen Zuhörer dessen musikalische Wünsche erfüllt. Kunstluxus pur.
Die gläserne Box. Foto: Yannick Andrea/ Davos-Festival
Seit einer Jahr ist der 31jährige Organist und Dirigent Marco Amherd künstlerischer Leiter des Davos Festivals. Und das Programm, das er heuer – trotz Virus – unter dem Motto VON SINNEN gestaltet hat, ist schlicht und einfach atemberaubend. Es ist das möglicherweise intelligenteste, dramaturgisch stringenteste, vielfältigste, ungewöhnlichste Programm, das in der europäischen Festivalszene (und nicht nur in Covid-Zeiten) zu finden ist.
Der Unterzeichnete, der ja nicht gerade wenig Musik gehört hat in seinem Leben, gesteht zu seiner Schande, dass er ca. 80 % der hier aufgeführten Kompositionen vorher nicht gekannt und auch einen Grossteil der hier präsentierten Komponisten nicht.
Oder sind Ihnen Namen wie Thierry Escaich, Daniel Schnyder, Valentin Villard, Xaver Guggenbühler, Julien François Zbinden, Hans Huber, Iris Szeghy, Hansruedi Willisegger, Helena Winkelmann, Hans-Jürg Sommer, Giorgi Makhoshvili, Teppo Hauta-Aho, Miloslav Gajdoš, Emil Tabakob, Giovanni Antonio Pandolfi Mealli, Franz Danzi, Frank Martin, Bernd Franke, Lisa Streich, Antoine Forqueray, Franz Strauss, Jean Absil, Jean-Yves Daniel-Lesur, Jacques Castérède, Wolfgang Schlüter, Nebojsa Jovan Zivkovic, William Kraft, Francisco Loreto, Lera Auerbach, Hugo Distler, Friedrich T. Fröhlich, Franz Tischhauser oder Clara Iannotta total geläufig ?
Bzw. kennen Sie selbst von so berühmten Komponisten wie Leos Janácek, Paul Hindemith und Erich Korngold deren Stücke „Im Nebel“, „Trauermusik für Violoncello und Streichorchester“ und „Liebesbriefchen“ in-und auswendig? Oder – um in ein „leichteres“ Genre zu wechseln – Georg Kreislers wunderbares „Was willst du noch mehr?“…?
Marco Amherds Davos Festival ist eine einzige spannende Entdeckungsreise zu unbekannten Kompositionen, Komponisten und Orten.
Ein Abschlusscoup des genialen Jünglings war die Projektion von Buster Keatons schwarz-weiss Stummfilms „The Navigator“ in der reformierten Stadtkirche St.Johann – untermalt von Improvisationen auf der dortigen Orgel. Was auf den ersten Blick total absurd, grotesk und nahezu blasphemisch erschien, erwies sich an Ort und Stelle als totaler Hit. Diese strange Kombination passte ungeheuer gut zusammen und bildete einer äusserst vergnüglichen Ausklang des Festivals.
Also auf nach Davos, auch im Jahre 2021…!
Robert Quitta, Davos