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David MOORE – Erster Solist des Stuttgarter Balletts

„You should get what you need, you should give what you can“

17.04.2018 | Tänzer

Im Portrait: DAVID MOORE 

Erster Solist des Stuttgarter Balletts

„You should get what you need, you should give what you can“


David Moore  – privat. Copyright: Roman Novitzky

 

So geradlinig wie sein bisheriges Tänzer-Leben verlaufen ist, so klar, bewusst und gewissenhaft erarbeitet wirken seine Rollen-Verkörperungen, so ehrlich, sensibel und im positiven Sinn unaufdringlich sind seine Auftritte. Bei David Moores Aufstieg bis zum Ersten Solisten kam ohne Zweifel jeder Repertoire-Schritt zum richtigen Zeitpunkt seiner Entwicklung.

 

Von Rugby zum Tanz

 Die drei Jahre ältere Schwester ging in die Ballettschule und brachte immer wieder Tanz-Videos aller Couleur nach Hause und weckte damit das erste Interesse des jungen David. Er folgte ihrem Vorschlag es doch auch damit zu probieren und ging im Rugby-Trikot, das bis dahin eine seiner sportlichen Leidenschaften gewesen war, mit zur Unterrichtsstunde in der Angela Rowe Ballet School seiner Heimatstadt Ipswich nahe der Südostküste Großbritanniens. Die Eltern, selbst keine Tänzer oder künstlerisch tätig, aber sehr wohl empfänglich dafür, unterstützten von Anfang an seine erwachten Ambitionen. Seine Fortschritte  waren so groß, dass ihm Freunde empfahlen, doch an die Royal Ballet School zu gehen. So wechselte er nach zwei Jahren im Jahr 2000 nach White Lodge, einem Jagdschloss in Richmond nahe London, wo die Lower School mit den ersten 5 Schuljahren der berühmten Royal Ballet School untergebracht ist. Und schließlich für die beiden Akademie-Jahre an die Upper School nahe Covent Garden, wo er 2007 seinen Abschluss machte. Noch während dieser Zeit bekam er Gelegenheit mit dem Royal Ballett auf Tournee zu gehen. Natürlich war die Zukunft auf eine Übernahme in die berühmte Compagnie ausgerichtet, doch David spürte den Drang nach einem Tapetenwechsel, Erfahrungen mit anderen tänzerischen Einflüssen zu sammeln und dafür sein Heimatland zu verlassen. Die Tatsache, dass es beim Royal Ballet zu diesem Zeitpunkt gar keine freie Stelle für ihn gab, stimmte ihn deshalb auch gar nicht traurig.

 

Das Stuttgarter Ballett vermittelte ein gutes Gefühl

Für diverse Vortanzen streckte er seine Fühler bis nach Amerika aus, bewarb sich beim Boston Ballet und beim ABT in New York, aber auch bei zwei nahe liegenderen Compagnien, die ihm empfohlen wurden: Het Nationalballett in Amsterdam und das Stuttgarter Ballett. Beide hatten ihm Verträge angeboten, doch die gute Atmosphäre und Energie, die die interessiert wirkenden Tänzer in Stuttgart vermittelten, entging ihm nicht. Zudem haben William Moore und Alexander Jones, die zwei Jahre über ihm die Royal Ballet School besuchten und inzwischen in Stuttgart engagiert waren, soviel überzeugende Werbung für das dortige Ensemble gemacht, dass die Entscheidung für die schwäbische Ballett-Stadt fiel, obwohl er damals noch gar keine Erfahrung hatte, um so eine Entscheidung zu treffen. Letztlich bleibt doch nichts anderes als alles zu geben, was man hat, Chancen zu nützen und erst mal 2 Jahre abzuwarten, ob sich alles so entwickelt, meint der auch im Gespräch so aufrichtig und konzentriert wie auf der Bühne wirkende Tänzer.

 

Zuerst als Choreograph aufgefallen

Interessanterweise trat David Moore trotz erster solistischer Einsätze in Crankos Handlungsklassikern „Romeo und Julia“, „Schwanensee“ und „The Lady and the fool“, die ihm 2010 die Beförderung zum Halbsolisten erbrachten, dem Publikum erst deutlicher in Erscheinung, als er sich ab diesem Jahr und in den drei folgenden im Rahmen der Noverre-Abende als Choreograph mit einem guten Sinn für Paar-Beziehungen bewiesen hat. Vielleicht hatten die ersten schöpferischen Versuche während seiner Ausbildung eine gute Basis dafür gelegt. Durch Vermittlung bekam er 2014 sogar einen Auftrag, für ein Konzert der Original Strauß-Capelle Wien eine Choreographie zu entwerfen – selbstredend zu Musik des berühmten Walzer-Königs. Auch wenn die Zeit der Vorbereitung und Proben dafür sehr begrenzt und im Prinzip zu knapp ist, betrachtet er die Warte des Choreographen als überaus lehrreich für sich als Tänzer. Man erhält viel Respekt von den ausgewählten Kollegen und bekommt durch das gemeinsame Kreieren neue Einblicke in den Prozess der Entwicklung von Bewegungen.

 

Die große Chance „Krabat“

Der ehemalige Haus-Choreograph Demis Volpi brachte den Aufstieg David Moores entscheidend in Gang, als er den bis dahin eher unauffällig gebliebenen Tänzer 2013 für die Titelrolle seines ersten abendfüllenden Balletts „Krabat“ ausersehen hatte. Ihn und keinen anderen wollte er für diesen Waisenjungen haben, der in einer Mühle in die Fänge eines magischen Meisters gerät und erst im Laufe seiner Gesellenzeit durch einen inneren Kampf mit sich selbst seine Persönlichkeit entfaltet. Zwar hätte er damals nicht an Parallelen einer isolierten Gemeinschaft seiner Ausbildungszeit im Internat und der Situation Krabats konkret gedacht, aber darauf angesprochen, bestätigt er, dadurch sicher unbewusst einen Zugang zur Rolle gefunden zu haben, die er durch Lesen des zugrunde liegenden Romans von Otfried Preußler gründlich für sich vorbereitet hatte. Am schwierigsten erschien ihm zunächst der Umfang der Rolle, der Anspruch fast den ganzen Abend über auf der Bühne zu stehen, Unübersehbar ist allerdings die Tatsache, dass David genau wie Krabat mit dieser ersten Hauptrolle seines Lebens seinen Charakter zusehends geöffnet hatte und im Zeitraum bis zur letzten Aufführungsserie im Frühjahr 2017 noch deutlich entwickeln konnte. Vor allem die Ängste und die selbst nach dem erlösenden Tod des Meisters noch in ihm steckende Aufgewühltheit brachte er ergreifend über die Rampe. Ob er die Partie bei eventuell weiteren Neueinstudierungen (der große Publikumserfolg legt es nahe) wieder übernehmen würde, kann er jetzt noch nicht entscheiden, aber es besteht durchaus die Möglichkeit, dass er sich bis dahin dem Waisenjungen entwachsen fühlt und besser zum Meister aufsteigen wird.

 

Mit dem Adel an die Spitze

Brachte „Krabat“ die Ernennung zum Solisten (sowie die Nominierung für den Theaterpreis „Faust“), so folgte der endgültige Schritt in die vorderste Liga ein gutes Jahr später, im Juli 2014 mit Wirksamkeit ab der Saison 2014/15. Diesmal mit einer der bedeutenden klassischen Partien, dem Herzog Albrecht in „Giselle“. Wohl war er davor noch als Cassio in Neumeiers „Othello“ und als Lucentio in Crankos „Der Widerspenstigen Zähmung“ in Erscheinung getreten, und hatte als letzterer erstmals seine klare Attitude und Kavalierstechnik im Partnern auffallend demonstrieren können, doch mit dem Giselle durch seine Untreue ins Verderben stürzenden Adelsspross öffnete sich in ihm der entscheidende Knopf zu einer vollumfänglich würdigen ,weil tänzerisch und emotional ineinander fließenden Gestaltung. Gerade weil er damit alle Erwartungen übertroffen hatte, ist es umso bedauerlicher, dass es bislang nur bei dieser einen Vorstellung geblieben ist. Auch wenn die Partie seiner Meinung nach mit einigen in der heutigen Zeit albern wirkenden Aktionen (z.B. das Abpflücken der Blüten) verbunden ist, war sie für ihn eine lohnende Herausforderung, weil es hier im Gegensatz zum mehr mit der Gemeinschaft verwachsenen Krabat eine Einzelperson mit prinzenhafter und stolzer Erscheinung aus sich heraus zu wirken lassen gilt.


David Moore – klassisch  (in „Giselle“ mit Miriam Kacerova). Copyright: Stuttgarter Ballett

Breites Repertoire

Weitere wichtige Parts folgten nun kontinuierlich: mit leisem Humor eroberte er sich den Leonce in Christian Spucks Lustspiel-Adaption „Leonce und Lena“, wo der Choreograph für eine entspannte Atmosphäre bei den Proben gesorgt und dadurch den sonstigen Druck gelockert habe, erwähnt der Tänzer dazu. Sein Lenski-Debut in „Onegin“ fand während einer Tournee in Thailand statt, den Stuttgartern präsentierte er den romantisch veranlagten Dichter im Februar 2015, verletzte sich aber leider bei einer der Vorstellungen, mußte pausieren und kehrte doch in der selben Spielzeit wieder für neue Rollen zurück: Allan Gray in Neumeiers  „Endstation Sehnsucht“, wo er den sexuellen Zwiespalt zwischen Ehefrau und Freund in wenigen markanten Gesten auf den Punkt brachte, die Titelgestalt in Volpis „Die Geschichte des Soldaten“ und Prinz Desiré, als der er auch von seiner formidablen Partnerin Hyo-Jung Kang profitierte. Allesamt Portraits, die von Moores sorgsamer und genauer Reflektion im Umgang mit Novitäten geprägt sind.

Dummerweise machte ihm jetzt eine länger zurück liegende Verletzung zu schaffen, die in Verbindung mit der gerade wieder ausgeheilten eine längere Zwangspause mit Operation erforderlich machte. Die Auszeit brachte ihn zum Nachdenken: abgesehen davon, dass er das Tanzen schmerzlich vermisste, wurde ihm bewusst, besser auf seine Gesundheit aufpassen und nicht gleich in vollen Zügen, sondern Schritt für Schritt wieder aufbauen zu müssen. Und das tat er dann auch im Frühjahr 2016 langsam mit der Wiederaufnahme kleinerer Aufgaben, bis mit dem Jochanaan in „Salome“ wieder ein Rollendebut bevorstand. Erneut hatte ihn Demis Volpi für einen Abendfüller ausgewählt. Dem spirituellen, bisweilen aggressiven Charakter des Propheten, den David mit viel Willensstärke, aber auch kontrastierend sanften Zügen ausfüllte, folgte ein Jahr später die von Volpi als Personifikation des Dyonisischen in seine Inszenierung von Brittens „Tod in Venedig“ eingefügte Tänzerrolle des Apollo, als der David entsprechend in Szene gesetzt und im wahrsten Sinne des Wortes mit nobler Haltung und vorbildlicher Technik glänzte. Die Anmerkung, ob er so etwas wie eine Art Muse für den hochbegabten Choreographen darstelle, bestätigt David im gewissen Sinn, es ist eine Frage des gegenseitigen Verständnisses, des Überzeugens und Vertrauens, und dies alles ist zwischen ihnen beiden gegeben. Darüber hinaus fühlt er sich geehrt, Teil regelmäßiger neuer Kreationen zu sein, auch weil damit ein persönlich zugeschnittener Schaffensprozess verbunden ist.

Die jüngsten Rollenerarbeitungen galten wieder unverwüstlichen Klassikern: im Dezember 2016 einspringenderweise kurzfristiger als geplant der Basilio in „Don Quijote“, im Mai 2017 verwandelte er sich dann erstmals in Romeo und im vergangenen Dezember in Prinz Siegfried in „Schwanensee“: mit der von ihm gewohnten Einfühlsamkeit und eher stillen statt überschwänglichen Emphase, getragen von spürbarem Willen und aus den spontanen Empfindungen heraus zu klarer Linie geformt. Man könne Cranko nicht genug danken, was er mit dem Aufbau des Stuttgarter Balletts, der tiefen Verschmelzung seiner Charaktere mit Musik und Choreographie für die gesamte Tanzwelt geschaffen hat!


David Moore – modern (in „Die Geschichte vom Soldaten“ mit Alicia Amatriain). Copyright: Stuttgarter Ballett

Blicke in die Zukunft und ein Plädoyer für Stuttgart

Nach zehn Jahren beim Stuttgarter Ballett zieht David Moore ein schmeichelhaftes und ganz ehrlich formuliertes Fazit: jedes Mal, wenn er von Gastspielstädten wieder hierher zurück kommt, wird ihm bewusst, welch richtige Entscheidung er damals nach dem Ausbildungsabschluss getroffen hat. Beim Royal Ballet hätte er niemals so viel lernen und sich so breit gespannt entwickeln können wie hier, wo er weiterhin den Zusammenhalt des Ensembles und die Stärke und Zuverlässigkeit der Kollegen lobt. Darüber hinaus bietet Stuttgart als relativ kleine Metropole alles, was man von einer Großstadt erwarten kann und doch genügend Raum zur Ruhe und Erholung.

Wo in den letzten Jahren viele Kollegen aus der führenden Position aus verschiedensten Gründen weg gegangen sind, sieht David im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Direktionswechsel keinen Grund für eine Ortsveränderung, zumal die Spielplan-Visionen des Nachfolgers Tamas Detrich viele neue Impulse und Handschriften zur Bereicherung des Repertoires versprechen. Unter frischem Wind versteht er auch, nicht immer die gleichen Rollen wiederzukäuen, sich vielmehr neue, der Altersreife entsprechende Parts zu erarbeiten, an deren Wunsch-Spitze Armand in „Kameliendame“ und die Titelrolle in „Onegin“ stehen. So wird der Lebenslauf von David Moore weiterhin geradlinig und doch spannend verlaufen, begleitet von der Hoffnung, dass er Stuttgart erhalten bleibt, so lange er tanzen kann!

 Udo Klebes

 

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