Das neue Richard Wagner Museum in Bayreuth – ein Mix der Jahrhunderte
Gabriela Jurosz-Landa
1876 schenkte König Ludwig II. von Bayern Richard Wagner ein Zuhause und erlöste den Meister so von dessen Nomadenleben. Zusammen mit dem Festspielhaus gönnte der königliche Mäzen seinem Lieblingskomponisten auch das private Domizil, die ‚Villa Wahnfried‘, in der Wagner von da an lebte und von der er sich erhoffte seinem „Wähnen Friede zu bereiten“. Nach Wagners Tod 1883 bewohnten seine Nachkommen das Haus auf weitere dreiundachtzig Jahre – auch nach dem Wiederaufbau infolge der Nachkriegszerstörungen durch amerikanische Streitkräfte. Das zu mehr als seiner Hälfte in Schutt und Asche verwandelte Haus wurde nachfolgend wiedererbaut. Zum hundertjährigen Jubiläum 1976 wurde die Villa Wagner zu einem Museum umgewandelt, das jetzt erneut saniert und erweitert wurde und sich, nach fünfjährigem Bangen und Wähnen, am 26. Juli 2015 seiner Neueröffnung erfreute.
Die Kunst, ein Museum überzeugend zu realisieren, liegt gekonntermaßen darin, die verbliebenen Artefakte gelebter Geschichte für den Besucher erneut zum Leben zu erwecken. Begeht man nach der Wiedereröffnung die für viele Wagnerliebhaber heiligen Hallen des Meisters Wohnhauses, muss man sich fragen, ob bei all dem drängenden Vorhaben, Authentizität zu bewahren, der Schuss nicht nach hinten losging
Copyright: Gabriela Jurosz-Landa
Was sollen da etwa die gefühllos unter käseglockenartige „Reagenzgläsern“ jeglichem Kontext entzogenen Brillengläser und Schreibfeder des Meisters? Diese Darstellung ruft in einem Musikmuseum eher ein Ambiente von Bürokratie und Wissenschaftsverliebtheit hervor. Ebenso unverständlich ist die umständliche Vorsicht, nachgebautes Mobiliar nicht mit originalem zu verwechseln und es so unter weissen Hussen verschwinden zu lassen.
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Es scheint, hier wurde Bühnen- mit Museumsarbeit verwechselt. Erstere kann sublim experimentieren, letztere jedoch schuldet seinem Besucher deutliche Klarstellung und Aufklärung neben der Erhaltung der ursprünglichen Aura des Ortes. Dies jedenfalls dort, wo die Sache danach verlangt. Die Sache ist hier des Komponisten mit Familie alltägliche Wohnsituation, die man teils verpasst hat, authentisch wiederzugeben. Daran ändert auch das in Cosimas Empfangszimmer positionierte Klavier mit samt Lisztbezug wenig. Im Obergeschoss überlebte die ursprüngliche Ausstellung, die museumsüblich persönliche und Werksartefakte hinter Glas verschwinden lässt. Wie in den meisten Museen rettet sich das Auge mit einem Blick durch das Fenster in den Garten, um emotionalen Bezug von der kontextlos ausgestellten Dokumentation zu Wagners Reisejahren, internationaler Aufführungsplakate, Büsten Mathilde von Wesendoncks und Schopenhauers, einer Kopie des Gralskelchs von 1882, zu finden. Die Präsentation von Partituren, Briefen, Bekleidungs- und Alltagsgegenständen Richards und Cosimas ist in den Zwischengeschossen vernünftiger gestaltet. Trotz der simplen Aufreihung der Wagnerutensilien unterstützt hier, wie auch in weiteren Teilen der Gebäude-Untergeschosse, Entzug von Tageslicht die Konzentration auf die eigentlichen Gegenstände.
Eine enorme Wirkung gelang dem Architekturbüro HG Merz und dem Berliner Architekten Volker Staab gerade mit der Neukonzipierung des Untergeschosses. Man hat es treffend „Schatzkammer“ benannt. Anstatt Räumen mit überfüllten Vitrinen, in denen einst real gebrauchte Gegenstände ihre Besonderheit verlieren, betritt der Besucher hier eine Rauminstallation mit wenigen ausgewählten Gegenständen, die räumlich wie ein Altar arrangiert des Beschauers Gedankenwelt öffnen. Im Zentrum tritt er der Originalpartitur des Hörerlieblingswerkes „Tristan und Isolde“ gegenüber, flankiert von der „Dresdner Bibliothek“ sowie Handschriften und Originalpartituren auf der anderen Seite. Eine Büste Wagners sieht ihm aus dem anschließenden offenen Raum entgegen, als sei es der Meister selbst, der einem gegenübersteht.
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Wie in einem Labyrinth, in dem ihn bald eine neue Überraschung erwartet, folgt der Besucher dem Weg in den weiteren kleinen Raum. Ein großformatiges, multimediales Buch ist gralsgleich in dessen Mitte positioniert. Es ist dunkel, nur das Buch ist erleuchtet und schwebt förmlich schwerelos im Raum. Sich nähernd, kann der Besucher seine gewünschte Oper interaktiv durch Berührung der Buchindikation wählen und ertönen lassen. Er kann einzelne Instrumente aus dem Überblick über das Orchester isolieren und einzeln hören. Hier endlich befindet er sich alleine mit Wagners Werk. Dank dieser gelungenen Ausstellungselemente ist die Meditation des Werkes und Lebens Wagners erst möglich. Dank der Architektur der Neorenaissance-Halle und des Wohnraumes mit Klavier und großzügigem Gartenblick hat die Villa ihr Flair der Zeit und des Künstlers Geistes sowie des Familienlebens nicht verloren.
Im Untergeschoss ist auch das in den vierziger Jahren von Winifred Wagner gegründete Richard-Wagner-Archiv zu finden, das der Interessierte auf Anfrage einsehen kann.
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In dem neu errichteten Bau, auf einem, nach Wagners Zeit erworbenen Teilgrundstück, haben Erfassen und Ausdruck von Wagners Mythos ihre Fortsetzung. Seine romantische Seite kommt dafür etwas kurz. In diesem Gebäude werden einmal mehr Bedeutungs- und Wirkungstiefe nach Art des Komponisten sowie zeitlich abstrakte Unendlichkeit interpretiert. Des Meisters Mystifizierungskunst, die – jedenfalls in post-Wagner Interpretationen – jede Note und jedes Bild durchdringt, wurde hier von dem Architekten Volker Staab, wie bereits im Untergeschoss der Villa, in die Gegenwart übersetzt. Der sich rechts neben der Villa nach hinten in den Gartenbereich erstreckende dunkelfarbige Rechtecksbau ersetzt hier die ehemaligen Büsche, die nun nach Fertigstellung dem größten Kritiker nicht länger fehlen dürften. Das Gebäude ist im Internationalen Stil konzipiert, der wenn auch heute weltweit schon wieder zu abgenutzt, da häufig reproduziert, gerne angewandt wird, da er eine zeitliche Brücke zur Gegenwart schlägt. Der Besucher kann zwischen der Romantik der Wahnfriedvilla mit Garten und Grab des Wagnerehepaares und dem neuen, dem gegenwärtigen Architekturgeschmack entsprechenden Museumsgebäudes, hin-und-herschwelgen. Hier taucht er von der Eingangshalle erneut ins Untergeschoss und damit in Wagnertiefe. Dort umhüllt ihn sogleich das mystische Dunkel
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Das Modell des Festspielhauses scheint aus diesem Dunkel geboren zu werden und wie aus Nibelung emporzusteigen. Zusammen mit einer überstülpenden Glasvitrine bildet es visuell ein Objekt, in dem sich zwei Welten vereinen. Transparenz und Glätte des Glases divergieren mit der Kompaktheit des, den starren roten Ziegelkubus repräsentierenden Festspielhausmodells und bewirken so eine dramatische Dynamik. Nach außen verhilft das Glasmaterial dank seiner Modernität der Kommunikation mit einem alleinigen zweiten Element dieses Vorraumes, eines Panels mit geruhlich wechselnden Schwarz-Weiss-Großfotografien, auf denen man lebendig wirkende Premierenbesucher aus den vergangenen Jahrzehnten beobachten kann.
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Im folgenden Raum vergegenwärtigt dem Besucher, nicht weniger wirkungsvoll als in der Metropolitan Opera n New York, eine „Ahnengalerie“ aller im Festspielhaus tätig gewesener Dirigenten das enorme Potential der Musikinterpretation in Bayreuth. Dezent in die Schaffensphase der einzelnen Festspielleiter eingeordnet, kann jeder Dirigent in seinem Hinterglasporträt vom Beschauer einzeln kontempliert werden.
Um einige Schritte weiter präsentieren Vitrinen die Originalkostüme aus diversen Aufführungen, wie etwa das Venuskleid, das Gwyneth Jones 1972 im Tannhäuser zur Zeit Wolfgang Wagners trug.
Die ehemals im Untergeschoss der Villa untergebrachten Bühnenbildmodelle wirkten dort mystisch und ihrem Alter – manche von 1882 – entsprechend. Im neuen Museumsbau mehr konzeptuell aus der Wahnfried-Umgebung herausgelöst (wo sie auch nicht gefertigt wurden) und in Dreierblöcken angeordnet, haben sie von dieser Mystik nichts verloren und wirken in dieser Übereinanderschachtelung zudem modern.
Die berühmte Bayreuther Bühnentechnik ist in dieser Ausstellung etwas knapp repräsentiert. Dieses Manko ruft nach einer guten Sonderausstellung, etwa in dem dafür gedachten Obergeschoss.
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Eine Treppe führt dorthin hinauf ans Tageslicht. Auf den museumsüblichen Panelen präsentiert hier im Erdgeschoss Projektleiterin und Hauptkuratorin Dr. Verena Naegele von der Schweizer ‚artes-Projekte‘, unter dem Titel „Wahnfried oder Ärgersheim“ eine Ausstellung zur Geschichte der Villa Wahnfried. Zusammen mit einigen Originalobjekten, wie des Meisters Kompositionsklaviers von 1867 – als Leihgabe der Stadt Leipzig – lassen die Ausstellungsmacher auch die Bedeutung des Haushundes nicht zu kurz kommen. Ein ausgesprochenes Juwel ist hier Giuseppe Becces Stummfilm, produziert von Oscar Messter, in dem Richard Wagner um das Festspielhaus und die Villa spaziert.
Auf der linken Seite der Villa wurde erstmals das Siegfried-Wagner-Haus zugänglich gemacht. Siegfried kommt auch hier wie üblich zu kurz. Abgesehen von der zeitgemäßen Wanddekoration ist wenig Wagnerisches übrig geblieben. Bis in die 70ger Jahre lebte hier Siegfrieds Witwe Winifred, die Hitler für ihre Kinder zu „Onkel Wolf“ werden ließ und dazu verhalf, Wagners Werk für viele Juden heute unzugänglich zu machen. In Video-Abspielungen wird in ihren ehemaligen Wohlräumen Antisemitismus-Geschichte in Perspektive gesetzt. Es wird deutlich gemacht, dass Richard Wagner zur Zeit des Naziwahns längst verstorben war – ein historischer Fakt, den sich viele ausländische Bürger, deren Kenntnis deutscher Geschichte nicht zur Allgemeinbildung gehört, sowie von der Massenwissenschaft, die Richard Wagner dem guten deutschen Selbstkomplex gerecht jahrzehntelang als Antisemitist dargestellt hat, nicht immer vor Augen führen können. Wagners Antisemitismus war kein anderer als der vieler Europäer in der Vorkriegszeit, in der man ethnisch enger zusammenlebte und Konflikte noch verbal ausgedrückt wurden. Die heutige Demokratisierung, aber auch ungesunde Tabuisierung verbalen Ausdrucks unbequemer Inhalte verursachte erst der Nazi-Extremismus. Im der medialen Aufarbeitung wird erstmals darauf aufmerksam gemacht, dass Winifred Wagner Engländerin war, die zusammen mit Chamberlain ethnischer Säuberung innerhalb des Nazikultes verfallen war.
Bauherrin und Eigentümerin des Museums ist die Stadt Bayreuth, die das Museum zusammen mit der Richard-Wagner-Stiftung eröffnete. Maßgeblich finanziert wurde das 20-Millionen-Euro-Projekt von Bund und Freistaat Bayern sowie der Oberfrankenstiftung, der Bayerischen Landtagsstiftung, der Landesstelle für nichtstaatliche Museen und der Stadt Bayreuth. Ob der langjährige Direktor Dr. Sven Friedrich bleibt, ist derzeit vielerseits fraglich.
Viele der museumstypischen Langeweile-treibenden Methoden wurden mit technisch-architektornischer Raffinesse umgewandelt. Fehlende Wand- und ungenügende Audiotexte in Englisch, die dem großteils internationalen Publikum gerecht werden würden, sowie das etwas zu kurz gekommene Musikerlebnis werden hoffentlich noch ergänzt. Rollstuhlfahrer möchte man in diesem Museum auch nicht sein. Insgesamt jedoch lässt sich bemerken: wer die vorherige Villa Wahnfried kannte, kann von dem neuen Museum nur positiv überrascht sein.
Gabriela Jurosz-Landa