Das Musikinstrumentenmuseum Markneukirchen
Eine Kathedrale des Klangs im sächsischen Vogtland

Geigenausstellung: Foto: Larissa Gawritschenko
In einer Händlervilla aus dem Jahr 1784, dort wo einst protestantische Geigenbauer aus dem Böhmischen vor der Rekatholisierung Zuflucht suchten, steht heute ein Tempel der akustischen Schöpfungskraft: Das Musikinstrumentenmuseum Markneukirchen. Seit 1883 bewahrt es nicht nur Holz, Metall und Darm, sondern die materielle Seele der Musik selbst.
Wer durch die Räume wandelt, begibt sich nicht auf eine chronologische Reise – nein, diese Ausstellung folgt einer anderen Logik. Systematisch, fast taxonomisch ordnet sie die Welt der Töne: Streichinstrumente hier, Blechblasinstrumente dort, als sei das Museum weniger ein historisches Archiv, denn ein anatomisches Theater der Klänge. 1400 Instrumente drängen sich in den Räumen, die dichteste Ausstellung Europas, ein Horror Vacui des guten Geschmacks, der hier jedoch zum Prinzip erhoben wird.

Geigenwerkstatt. Foto: Larissa Gawritschenko
Im ersten Raum empfängt einen die Geigenbau-Werkstatt um 1900, rekonstruiert mit jener Akribie, die verrät: Hier hat sich seither wenig verändert. Die Kaffeemaschine fehlt noch, aber Ahornholz und Fichte, Hobel und Lack – sie trotzen der Zeit. Markneukirchen, einst die drittgrößte Steuerzahlerin im Königreich Sachsen nach Leipzig und Dresden, obwohl sechzig Mal kleiner, verdankte ihren Reichtum dieser Handwerkskunst. 40 bis 70 Prozent des weltweiten Orchesterinstrumentenbedarfs – welch eine Zahl, welch eine Verantwortung!
Und dann die Kuriositäten: eine Geige aus Keramik aus der Lausitz, eine Riesengeige im Gerber-Hans-Haus, die größte der Welt, neben einer Riesentuba. Im Weltmusik-Garten, von April bis Oktober geöffnet (im Winter hält auch die Musik Winterschlaf), dürfen Besucher selbst Hand anlegen: vom Akkordeon-Haus bis zum Tipi, von der Afrika-Lehmhütte zum Asien-Pavillon.
Die Geschichte beginnt um 1650, unmittelbar nach dem Westfälischen Frieden. Aus Luby, nur acht Kilometer entfernt im Böhmischen, kamen sie: protestantische Familien, Geigenbauer unter ihnen, die der habsburgischen Rekatholisierung entflohen. Sie ließen sich nieder in diesem Landstrich, wo Ahorn und Fichte in den umliegenden Wäldern wuchsen – jene beiden Hölzer, die neben Ebenholz die Seele jeder Violine bilden. 1677 gründete sich die Instrumentenbauerinnung, die älteste noch existierende im deutschsprachigen Raum. Ein Siegel der Kontinuität.
Was folgte, war eine beinahe organische Expansion des Handwerks. Zu den Streichinstrumentenbauern gesellten sich nach wenigen Jahrzehnten die Holzblasinstrumentenbauer, später die Blechbläser. Ein Nukleus entstand, ein Zentrum, dessen Gravitationskraft bis heute wirkt. Die Leipziger Messe wurde zum Umschlagplatz, über die Handelswegenetze flossen die Instrumente in die Welt hinaus. Markneukirchen wurde zum Synonym für Qualität, für jenen spezifischen Klang, der zwischen Erzgebirge und Vogtland seine Heimat fand.
Der Reichtum war nicht zu übersehen. Wer heute durch die Stadt spaziert – verschont vom Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs –, der liest in den Fassaden der Jahrhundertwendehäuser vom goldenen Zeitalter des Musikinstrumentenhandels. Prachtvolle Villen, breite Fenster, Stuckornamente: alles Zeugen eines Wohlstands, der sich aus Rohrblättern und Bogenstangen, aus Zargen und Schallbechern speiste.
Doch das Museum ist mehr als nur ein Denkmal lokaler Prosperität. Es ist ein Kosmos. Neben den mitteleuropäischen Meisterwerken versammelt es eine umfangreiche Sammlung außereuropäischer Instrumente aus Afrika, Asien, Südamerika. Bereits 1887, 1888 begann man, den Blick zu weiten, sich zu fragen: Was spielen andere Kulturen? Welche Klangwelten existieren jenseits der Orgel und der Oboe? Diese frühe Neugier, dieser ethnologische Impuls, macht das Haus zu einem Ort des Dialogs zwischen den Kontinenten.

Kim Grote. Foto: Larissa Gawritschenko
Museumsleiter Kim Grote und seine Kollegin Antje Schuster, seit 2022 im Haus, führen die Besucher durch diese Klanglandschaft mit jener Mischung aus Sachkenntnis und Leidenschaft, die nur entsteht, wo Berufung auf Institution trifft. Man spürt: Hier wird nicht nur bewahrt, hier wird verstanden. Hier wird die Frage gestellt, was ein Instrument überhaupt ist – ein Werkzeug? Ein Kunstwerk? Eine kulturelle Chiffre?
Was Kim Grote und Antje Schuster hier bewahren, ist mehr als eine Sammlung. Es ist das Gedächtnis einer Stadt, die aus religiöser Verfolgung eine Weltindustrie schmiedete, die aus böhmischem Holz und sächsischem Geschäftssinn einen Klangkörper formte, der bis heute nachhallt. Ein Museum, das nicht die Geschichte der Musik erzählt, sondern ihre Grammatik offenlegt – Instrument für Instrument, Raum für Raum. Ein Ort, an dem man begreift: Musik beginnt nicht beim Komponisten, sondern beim Handwerker, der das Holz schnitzt, den Lack aufträgt, die Saite spannt. Und in Markneukirchen, diesem verschlafenen Städtchen im oberen Vogtland, begann sie vor fast 375 Jahren.
Mehr als 4.000 Musikinstrumente umfasst die Sammlung heute, 250 davon Zeugnisse außereuropäischer Musikkulturen. Über zwanzig Ausstellungsräume warten darauf, durchwandert zu werden – man sollte mindestens eine Stunde mitbringen, besser mehr. Denn dies ist kein Ort des flüchtigen Konsums, sondern einer der Kontemplation. Das Personal steht bereit, nicht nur für Auskünfte, sondern auch für Vorführungen: Auf Wunsch werden Instrumente zum Klingen gebracht, unabhängig davon, ob man eine Führung gebucht hat oder nicht. Ein demokratisches Versprechen, das selten geworden ist in Zeiten der Eventisierung von Kultur.
Wer kommt, sollte sich Zeit nehmen. Zeit, um vor einer Miniaturgeige zu verweilen, um die Patina auf einer Tuba zu studieren, um zu verstehen, dass jedes dieser Objekte nicht nur ein Ding ist, sondern ein Versprechen: das Versprechen auf Klang, auf Harmonie, auf jenen flüchtigen Moment, in dem Materie zu Musik wird. Altes neu erleben – das ist hier keine Marketingformel, sondern Programm. In Markneukirchen wird Geschichte nicht museal erstarrt, sondern bleibt lebendig, atmend, klingend. Ein Besuch lohnt sich, nicht nur für Musikliebhaber, sondern für jeden, der wissen möchte, wie aus Holz und Metall, aus Handwerk und Vision, aus Verfolgung und Beharrlichkeit eine Weltkultur entstehen kann.
https://museum-markneukirchen.de/
Larissa Gawritschenko und Thomas Janda

