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DAS MÄRCHEN DER MÄRCHEN

23.08.2015 | FILM/TV, KRITIKEN

FilmCover Märchen der Märchen~1

Ab 28. August 2015 in den österreichischen Kinos
DAS MÄRCHEN DER MÄRCHEN
Il racconto dei racconti / Italien / 2015
Drehbuch und Regie: Matteo Garrone
Mit: Salma Hayek, Vincent Cassel, Toby Jones, John C. Reilly u.a.

Da sage noch einer, Märchen seien „märchenhaft“ im Sinn von schön, romantisch, bezaubernd, zuckersüß und klebrig, kurz, so wie deutscher Fernsehschlatz sie uns im übertragenen Sinn zeigt. Märchen sind, das wissen wir auch von den Gebrüdern Grimm, abgründig. Auch wenn man in der Märchenwelt noch tiefer in die Zeit zurückgeht, bis ins 17. Jahrhundert, zu den Geschichten des vordringlich in Italien bekannten Giambattista Basile – na wui!

Da gibt es nicht nur Monster, die in das tägliche Leben eingreifen (ein Erbe der Antike), da sind die Lüste und Begierden der Menschen monströs – die Königin, die sich so sehr ein Kind wünscht, dass sie das Herz eines Untiers isst und ihren Gatten opfert, der König, der so wild auf jede Frau ist, dass er dies ohne Rücksicht durchsetzt und Katastrophen herbeibeschwört, ein anderer König, der in seinem Wissenschaftsdrang einen Riesenfloh heranzüchtet und solcherart dann auch seine Tochter opfert, die er einem Oger gibt… starker Tobak.

Regisseur Matteo Garrone, bekannt geworden durch seinen mutigen Film „Gomorrha“ (in dem er sich auf die Spuren der Camorra setzte), tritt hier in eine Fantasy-Welt ein, die es an Grauen mit unserer Welt aufnehmen kann – nur dass sie in optisch-ästhetische Märchenschönheit getaucht ist, in Schauplätzen und Kostümen, Exzentrik nie ausgespart.

Tatsächlich werden drei Geschichten nebeneinander erzählt, nicht nacheinander, sondern verschränkt, ohne dass sie mit einander etwas zu tun hätten – nur ganz am Ende, bei einer Hochzeit, kommen dann alle Könige zusammen. Immer wieder merkt man, dass die Geschichten weder zusammen gehören noch zusammen halten, und das wird dramaturgisch gelegentlich etwas wacklig, aber immer, wenn man in einen neuen Handlungsstrang einsteigt, ist man gefesselt, auch weil die Darsteller – die berühmten und weniger berühmten – funkelnde Überzeugungskraft einbringen.

Die erste Geschichte handelt von der Königin von Longtrellis, der Salma Hayek märchenhafte Schönheit und erschreckende Entschlossenheit verleiht. Ihr knieweicher Mann (John C. Reilly) ist schließlich bereit, ein Monster zu töten und stirbt dabei. Sie isst das Herz des Tieres (eine gruselige Szene) und bekommt innerhalb eines Tages ein Kind, ebenso wie die Magd, die das Herz in der Küche gekocht hat. Die beiden Söhne (Christian und Jonah Lees, eineiige Zwillinge von starker Ausstrahlung) werden zum Unmut der Königin die besten Freunde. Sie trennt sie mit Gewalt, doch Königssohn Elias folgt seinem Freund Jonah, als dieser in Bedrängnis gerät, und rettet ihn, bevor er ihn in einem „normalen“ Leben zurücklässt. Die fast hysterische Bindung der Königin an ihren Sohn, den sie nicht zum eigenen Leben freigibt, ist das dominierende Thema dieses Märchens.

Wenn es um den König von Strongcliff geht (Vincent Cassel strahlt die Verderbtheit aus den Augen), dann bietet der Regisseur die längste Zeit eine Version von La dolce Vita, bis die Geschichte eine gewissermaßen noch perversere Wendung nimmt. Der König hört hinter verschlossener Tür eine wunderschöne Frauenstimme und nimmt an, dass sich eine wunderschöne Frau dahinter verbirgt. Es sind aber zwei alte, faltige Schwestern, die da wohnen und nicht wissen, wie sie sich dem Begehren entziehen sollen. Diese Geschichte um Schönheitswahn und Schönheitszwang ist grauenvoll und springt uns in ihrer Aktualität ins Gesicht (nicht nur, wenn man wieder einen Filmstar mit aufgequollener Miene sieht, der keinen Muskel mehr bewegen kann). Vielleicht sollte man die schaurigen Pointen gar nicht erzählen, es ist jedenfalls ein Bild von unvergesslicher Tragik, wenn eine der Schwestern am Ende blutüberströmt „gehäutet“ einherwankt, weil sie meinte, auf diese Art wieder junge, glatte Haut zu bekommen…

Auch von einprägsamer Schauerqualität ist Story drei (die übrigens zum Teil in und um das herrliche, achteckige Castelmonte in Apulien spielt): Ein völlig in sich und seine Spleens versponnener König von Highhills (der skurrile Toby Jones) füttert hinter verschlossenen Türen einen Floh, bis er groß ist wie ein Riesenhund oder ein Schwein – und stirbt. Daneben ein entschlossenes Töchterchen namens Violet (Bebe Cave), das unbedingt ins Leben will – und sei es um den Preis einer Verheiratung. Wie es im Märchen (und manchmal auch im Leben) so ist, wird dergleichen an Bedingungen geknüpft, und so kommt keiner der hübschen jungen Männer zum Zug, die Violet gefallen, sondern sie muss sich dem Zwang des rücksichtslosen Vaters fügen, der sie einem Oger gibt – einen schaurigen Riesen, der sie in eine Berghöhle verschleppt, bis vielleicht in Form einer Gauklertruppe Rettung naht… und auch da fließt Blut und herrscht echtes Grauen. Eine Geschichte über Egozentrik und was Eltern ihren Kindern antun.

Und warum soll man sich das als Kinobesucher antun? Weil es, wie Märchen meist, Geschichten mit tieferer Wahrheit sind, wunderschön erzählt, eine Fantasy-World, in die man hineingeht wie in einen dunklen Wald, um erleichtert wieder herauszufinden – und zu wissen: Man hat was erlebt.

Renate Wagner

 

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