Das 100jährige Bauhaus tanzt!
Von Ursula Wiegand
In diesem Jahr feiert Deutschland „100 Jahre Bauhaus“, hatte doch Walter Gropius am 12. April 1919 in Weimar das Staatliche Bauhaus in den Räumen der vorherigen Kunstschule gegründet. Damit begann das neue Denken und Entwerfen.
Weimar, Haus am Horn von Georg Muche, 1923. Foto Ursula Wiegand
Die dortige Bauhaus-Ausstellung im Jahr 1923 vermittelte einen ersten Eindruck, doch das Neue, vor allem das schmucklose Haus am Horn, stieß in Weimar auf Kritik. Drangsaliert von stark rechtskonservativen Kreisen zog Gropius mit den Lehrkräften, den Bauhausmeistern, 1925 nach Dessau.
Bauhaus Dessau von Walter Gropius, 1928-29, Foto Ursula Wiegand
Hier wurde das von Walter Gropius geplante Bauhaus errichtet, eine bald weltbekannte Ikone der modernen Architektur. Nur 14 Jahre – bis 1933 – bestand das Bauhaus, erreichte jedoch in dieser ungemein kurzen Zeitspanne ein starkes internationales Echo. Daher werden zum hundertjährigen Jubiläum neben vielen deutschen Gästen auch zahlreiche Besucher/innen aus dem Ausland erwartet.
Und wieder wird gebaut. Doch nicht in erster Linie wegen der Gäste, sondern aus Platzgründen. Die umfänglichen Bauhaus-Sammlungen wurden bisher nur teilweise und nicht unter optimalen Bedingungen gezeigt. Nun sollen sie vollständiger und nach heutigem Standard präsentiert werden. Das neue bauhaus museum weimar wird am 5./6. April d. J. eröffnet, das ebenfalls neue Bauhaus Museum Dessau am 8. September 2019.
Bauhaus-Archiv Berlin, Blick über den Landwehrkanal, Foto Ursula Wiegand
Anders in Berlin. Das Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung, das die weltweit größte Bauhaus-Sammlung besitzt, wird gerade aufwändig restauriert und erhält einen modernen Erweiterungsbau. Bis zur Wiedereröffnung dürften noch mindestens zwei Jahre vergehen.
Dennoch kooperieren diese drei Bauhaus-Städte intensiv miteinander und haben ein umfangreiches und vielfältiges Programm entwickelt. 700 Veranstaltungen quer durch Deutschland wird es geben. Neben dem Bauen widmet man sich auch den weiteren Aspekten der experimentierfreudigen Bauhaus-Bewegung: der Musik, der Malerei und dem Tanz.
Beim Bauhaus-Eröffnungsfestival vom 16. – 24. Januar in Berlin – in der ehemaligen Akademie der Künste im Hansaviertel – spielte das Tanzen und seine Entwicklung in den letzten hundert Jahren eine besondere Rolle. Die Spannweite reichte von der jetzigen Uraufführung „Das Totale Tanz Theater 360°- Eine Virtual Reality Installation für Mensch und Maschine“ bis zurück zum „Triadischen Ballett“ vom Maler und Bauhauskünstler Oskar Schlemmer, das 1922 in Stuttgart uraufgeführt wurde.
Logo 100 Jahre Bauhaus in der Akademie der Künste, Foto Ursula Wiegand
In Scharen kamen die Besucherinnen und Besucher zu diesem Eröffnungsfestival, auch viele Familien mit Kindern. Vor der schwarzen Rotunde, in der „Das Totale Tanz Theater“ täglich von 10-20 Uhr fortlaufend gezeigt wurde, bildeten sich oft lange Schlangen. Das Tanzgeschehen, das sich schon draußen auf der schwarzen Rotunde abzeichnete, weckte sogleich das Interesse.
Was war/ist die Botschaft? „Das Totale Tanz Theater“ fragt, so hieß es, nach der Rolle der Menschen im technisierten Zeitalter und zwischen den sie umgebenden Maschinen. Vor hundert Jahren hätten sich bereits die Bauhäusler solche Fragen gestellt. Nun aber ist der Blick auch auf die künstliche Intelligenz gerichtet.
Das Totale Tanz Theater, Tanzmaschine Key Visual © Interactive Media Foundation
Der US-Tänzer und Choreograph Richard Siegal hat aus solchen Überlegungen ein Virtuality-Tanz-Erlebnis geformt, aber nicht mit roboterähnlichen Fantasiegeschöpfen. Seine Arbeit wurde vorab von Margarida Neto, Claudia Ortiz Arraiza, Corey Scott-Gilbert und Diego Tortelli tatsächlich getanzt. Wegen der virtuellen Verfremdung und den hinter Masken versteckten Gesichtern waren sie jedoch nicht zu erkennen. Zur Musik von Lorenzo Bianchi-Hoesch entwickelte sich jedoch eine faszinierende Performance.
Jeweils vier Besucher/innen betraten die Rotunde und erhielten besondere Brillen, die sie in einen imaginären Raum katapultierten und dort hinauf- und hinunterfahren ließen. Die Kostüme der Tanzenden, geschaffen von Dirk Hoffmann und Nico Alexander Taniyama, ließen sich per Knopfdruck wählen. Meine Gruppe wirkte kriegerisch und archaisch, manchmal kam ein Tanzender direkt auf mich, andere flogen anscheinend über meinen Kopf hinweg, so dass ich mich unwillkürlich duckte.
Alsbald tat sich eine schattenhafte, schwebend romantische Szenerie auf. Insgesamt eine spannende Erfahrung. Viel zu schnell waren die 15 Minuten für jede Gruppe vergangen. Aus und vorbei? Nein. Im September, bei der Eröffnung des Bauhaus Museums Dessau, wird diese virtuelle Performance erneut zu sehen sein.
Auch die Jugend machte beim Eröffnungsfestival mit, soll die doch die Bauhaus-Ideen weitertragen. Gemeinsam mit Schüler/innen der Bertolt-Brecht-Oberschule in Berlin-Spandau hatte die Tanzchoreografin Jo Parkes eine investigative Performance entwickelt. Nachgespürt wurde der Arbeit und dem Leben der Bauhaus-Künstler kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Real und ohne Verfremdung ging das vor sich. Weit weg ist das inhaltlich ohnehin nicht. Damals herrschte Wohnungsnot, jetzt ist es in Berlin erneut der Fall.
Bauhaus and me © Bauhaus-Archiv Berlin, Foto Catrin Schmitt
Alle Jugendlichen hatten größere oder kleinere Kartons als Baustein. Sie legten sich neben ihn, setzten sich auf ihn, trugen ihn herum, bauten gemeinsam einen Turm, doch der stürzte wieder zusammen. Eine eher ruhige, gut durchdachte Choreografie. Drei Monate hätten sie geübt, so hieß es. „Nein, es war ein halbes Jahr, drei Stunden einmal pro Woche. Recht anspruchsvoll sei das gewesen“, antwortete ein Mädchen auf meine Frage. Gut haben sie ihr Thema begriffen, und gut haben sie umgesetzt.
Als Höhepunkt schließlich das Triadische Ballett von Oskar Schlemmer, eine Symbiose von Tanz und bildender Kunst. Eigentlich eine Sensation, die jedoch schnell verpuffte.
Gerhard Bohner (1936 – 1992), Tänzer an der Deutschen Oper Berlin, später auch Choreograph, sorgte 1977 im Auftrag der Berliner Akademie der Künste für eine Rekonstruktion und Neufassung dieses Balletts. Erst dadurch wurde Oscar Schlemmers Werk, ein handlungsloses Kostümballett, nun nach der neuen Musik von Hans Joachim Hespos getanzt, zum Welterfolg. Durch Bohner und seine Tänzer/innen erlebte es von 1977 bis 1989 insgesamt 85 Aufführungen in Europa, Nordamerika und Asien.
Das Triadische Ballett, schwarze Reihe, Alisa Bartels, Alexander Bennett, Nicholas Losada, Foto Wilfried Hösl
Eine weitere Neuinszenierung schufen 2014 Ivan Liška & Colleen Scott, die als Solisten auf jener Welttournee in fast allen Vorstellungen getanzt hatten. Es war eine Kooperation der Akademie der Künste, Berlin, mit der Bayerischen Staatsoper München. Übrigens unter Verwendung der von der Akademie der Künste gut gehüteten Kostüme.
Diese zweite Neufassung des Triadischen Balletts wurde nun der perfekte Start für „100 Jahre Bauhaus“ beim Eröffnungsfestival in Berlin. Die jungen Tänzerinnen und Tänzer vom Bayerischen Staatsballett II haben das Publikum mit diesem ungewöhnlichen Ballett – eingeteilt in eine gelbe, eine rosa und eine schwarze Reihe – vollauf begeistert.
Das Triadische Ballett, gelbe Reihe, Nagisa Hatano, Foto Wilfried Hösl
Wie schwierig das Tanzen in den vom Maler Oskar Schlemmer entwickelten Kostümen sein muss, war schon in der Ausstellung „Kunst.Figur.Kostüm“ zu ahnen, in der die rekonstruierten Bekleidungsstücke gezeigt wurden. Doch die fitten jungen Tänzerinnen und Tänzer ließen diese oft gar nicht leichten und wenig Bewegungsfreiheit lassenden Kostüme dennoch spielerisch leicht wirken. Elegant drehte sich Nagisa Hatano in dem gewichtigen großen Rock.
Noch weniger konnten sich Alexander Bennett und Nicholas Losada in den güldenen Kugeln bewegen, doch zusammen mit der von silbrigen Spiralen umgebenen Alisa Bartels gehört gerade dieses Bild (siehe oben) zu den weltweit bekanntesten.
Das Triadische Ballett, schwarze Reihe, Alexander Bennett, Nicholas Losada, Foto Wilfried Hösl
Gewöhnungsbedürftig für beide – wiederum Alexander Bennett und Nicholas Losada – waren und sind sicherlich die Scheiben, die sie quer vom Schritt bis über den Kopf tragen und damit auch noch kämpferisch agieren müssen. Eher „easy“ war es vermutlich für Marta Navarrete Villalba im roten Trikot mit den bunten, hoffentlich luftigen Kugeln am Rock und für den munteren Clown, getanzt von Nicholas Losada.
Das Triadische Ballett, rosa Reihe, Sebastian Goffin, Marta Navarrete Villalba, Foto Wilfried Hösl
Doch charmant oder auch schelmisch bewegten sich alle trotz dieser sonderbaren Garderobe. Gewiss, eine durchgehende Handlung besitzt das Triadische Ballett wirklich nicht, aber die Tänzerinnen und Tänzer machten dennoch etwas daraus. Sie flirteten und tanzten miteinander, neckten oder erschreckten einander. So wie im wahren Leben. Mit großer Aufmerksamkeit verfolgte das Publikum alle Varianten.
Welch ein schöner, außergewöhnlicher und für viele sicherlich unvergesslicher Abend! Doch der bleibt keine Eintagsfliege. „Die jungen Leute aus Bayern“ gehen ebenfalls auf Tournee und tanzen das Triadische Ballett u.a. im Mai in Potsdam und in Dresden.
Ursula Wiegand