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DARMSTADT: TURANDOT – inszeniert vom designierten Bayreuth-Ring-Regisseur VALENTIN SCHWARZ
7.9.2019 (Werner Häußner)
Ehrlich gesagt: Für eine „Turandot“ wäre ich eigentlich nicht nach Darmstadt gefahren. Zu oft inszeniert, zu oft ungenügend gesungen. Auch der Regisseur, der 30 Jahre alte Österreicher Valentin Schwarz, versprach – nach einem vielfach als missglückt kritisierten „Ballo in maschera“ in Darmstadt – nicht unbedingt einen Regie-Coup.
Doch dann änderte sich die Lage, und Puccinis tiefenpsychologisch fundiertes China-Märchen rückte in den Fokus der nationalen Kritik: Katharina Wagner holte den Gewinner des „Ring Award Graz“ 2017 aus der Ecke der unauffälligen Jung-Regisseure, indem sie ihn mit der Regie für den neuen Bayreuther „Ring“ 2020 betraute. Auf einmal wurde seine „Turandot“ zum Hingucker und – nun ja – zum Anlass, sich nach Darmstadt aufzumachen.
Fazit vorab: So recht gelohnt hat es sich nicht, obwohl Schwarz mit der Idee, die traumatisierte Prinzessin als „abgespaltene, negative Seite von Calafs Persönlichkeit“ zu interpretieren, einen durchaus anregenden Aspekt im Sujet entdeckt. Dazu passt, dass er sich für das Fragment entscheidet, das Arturo Toscanini bei der Uraufführung am Teatro alla Scala in Mailand dirigierte – also ohne die nachkomponierten Finali von Franco Alfano oder Luciano Berio. Damit rücken der sonst eher eindimensional wirkende „Eroberer“ Calaf und die rätselhafte Figur der Liu in den Vordergrund. Ihr Sterben, von Turandot mit einem Säbel provoziert, scheint Calaf das innere Auge zu öffnen. Das hochsymbolische Schlussbild der Ausstattung von Andrea Cozzi – der mit Schwarz gemeinsam den Ring Award gewonnen hat – lässt Turandot hoch erhaben und entfernt erstarren, während der Regen über leblose Leichen im Hintergrund rauscht und die regungslose Masse von Chor und Statisterie auf den Stufen der raumfüllenden Treppe kauert.
So beziehungsreich gedacht das sein mag: Es erschließt nicht, worum es Schwarz in seinem Konzept eigentlich geht. Was geschieht mit Calaf, der am Ende lapidar aus der Szenerie verschwindet? Wozu führt ihn die Regie als Künstler ein, der auf der Vorderbühne, mit einem kleinbürgerlichen Wohn-Eckchen mit Sessel und Stehlampe, die Wand mit Zeichnungen tapeziert? Der an einem bühnengroßen Kunstwerk arbeitet, das wie ein gebannter Traum, eine Fantasmagorie aus Bildfragmenten und Symbolen wirkt, hinter dem sich allmählich und bedrohlich die Gestalten abzeichnen, die später, als sich der Künstler in sein Bild begibt, dreidimensional und körperlich präsent werden.
Zudem, und deswegen heißt die Oper auch „Turandot“, ist die Titelfigur viel zu eigenständig gedacht, um sich auf eine psychische Funktion reduzieren zu lassen. Sie ist keineswegs nur Objekt, sondern Kraftzentrum des Geschehens, und das macht die Faszination für den Mann aus, der in der Lösung der Rätsel mehr Einfühlungsvermögen und seelische Sensibilität zeigt, als ihm viele Interpreten zugestehen. In der Führung der Personen zeigt sich Schwarz gespalten: Manchmal merkwürdig unentschlossen, lässt er Turandot entschieden und deutlich agieren, ob sie Calaf mit der Bewegung ihrer Hand über seinem Gesicht die Augen blendet oder ihm – in Lederkluft unter weiß wallendem, gespenstischem Gewand – mit ihrem Schoß geradezu signalisiert, was die Lösung des dritten Rätsels sei: Turandot selbst. Zu einem konzisen Entwurf fügen sich solche Details freilich nicht, auch nicht, wenn sie sich, im Rätsel-Wettbewerb geschlagen, auf ihren Besieger wirft: Der finale Kuss wird vorgezogen.
Heiko Steuernagels diffuses, trübes Licht lässt die fantasievollen Kostüme Pascal Seibickes nicht recht zur Geltung kommen; unterstützt eher die Atmosphäre des Irrealen und des Alptraums. Für ein scharfes Profil der Figuren ist das nicht gerade förderlich. Was geschieht, bleibt dem Auge oft verborgen, aber Schwarz sorgt auch nicht dafür, dass sich aus der Ahnung der Gedanke kristallisieren kann.
Mit scharfem Zugriff packt dagegen Giuseppe Finzi mit dem Staatsorchester Darmstadt die Partitur Puccinis an: Das ist Musik auf Messers Schneide, glashart und geschliffen im Rhythmus, zugespitzt in der Dominanz der Bläser, außerordentlich differenziert in klaren klanglichen Zuordnungen. Die Magie der Stellen, an denen sich Puccini den reibungsseligen Valeurs Debussys nähert, an denen er quasi impressionistisch fließende Farben ineinander mischt, ist nicht immer gelungen: Beim Erscheinen des Mondes im ersten Akt lässt Finzi die Kälte spüren und die Musik glitzern; rund um das Zugstück „Nessun dorma“ aber bleiben die Streicher unterbelichtet und Details unbetont. Man mag den Saft, den Puccini etwa unter den Solo-Nummern der Liu fließen lässt, als kitschig bezeichnen – aber die emotionale Hochspannung seiner Bögen ist unerreicht. Auch dem zollt Finzi zu wenig Tribut.
Der große, auf dem Atem geführte und sicher durchgestützte Bogen ist auch das Problem der Liu von Katharina Persicke. Sie gestaltet sehr bewusst, reiht einen schön geformten Ton an den anderen, aber es scheint, als verliere sie vor lauter Kontrolle eben jene blühende Phrasierung, die Puccinis Melodien so bezaubernd macht. Soojin Moon hat mit der Titelpartie immer wieder zu kämpfen: Satt gesicherte Töne stehen neben verunglückenden Intervallen, vor allem, wenn es in die Tiefe geht. Ein leuchtender Hochton sorgt für den Verlust des Tonkerns in der Mittellage. Das Fehlen des dramatischen Nachdrucks, den die Partie braucht, wird auch nicht durch eine stetige Tonbildung ausgeglichen.
Aldo di Toro ist aus Verdis „Vȇpres Siciliennes (Würzburg 2018) in guter Erinnerung und wohl in „Lucia di Lammermoor“ (Perth 2017) besser aufgehoben als in „Otello“ (Magdeburg 2018) und jetzt als Calaf. In den lyrischen Momenten zeigen sich alle seine Timbre- und Tonqualitäten, in den hochdramatischen Exzessen wirkt er angestrengt. Johannes Seokhoon Moon lässt sich als Timur nicht aus schlank geführter, gelassener Ruhe in der Stimme bringen. Das Trio der Minister, von Pascal Seibicke in effektvolle, blutrot leuchtende, apart geschnittene China-Gewänder gesteckt, hängt als lebensgroße Marionetten auf der Bühne; Julian Orlishausen als fundierter Ping, David Lee als aufblitzender Pang und Michael Pegher als zurückhaltender Pong haben wenig Chancen, ihre Partien szenisch auszudeuten, können dafür aber stimmlich umso differenzierter arbeiten.
Lawrence Jordan gibt dem Altoum das passende, greisenhaft glimmende Timbre. Der Chor, von Sören Eckhoff einstudiert, darf China-Klischees aufrufen, wenn er mit Reisbauernhütchen agieren muss, klingt im dritten Akt aus dem Off zu direkt, erfüllt aber auf offener Bühne seine Rolle mit unanfechtbarer Opulenz. Die nächste Arbeit des Teams Valentin Schwarz/Andrea Cozzi ist ab 28. Februar 2020 an der Dresdner Staatsoperette in einem anderen, noch viel schwierigerem Genre zu sehen – dann steht Jacques Offenbachs „Die Banditen“ an.
Werner Häußner