Daniele Abbado: Auf der Bühne kann alles zur Wirklichkeit werden!
Zur Staatsopern-Premiere „Il Trovatore“ von Giuseppe Verdi
(Februar 2017 / Renate Publig)
(Daniele Abbado © 24Emilia.com)
Die Erkältungswelle hat auch vor dem Team um die Staatsopern-Premiere von Il Trovatore nicht haltgemacht. Trotz Krankheit nahm sich Regisseur Daniele Abbado Zeit für ein Telefoninterview, um über seine Ideen zu Verdis hochkomplexer Oper Auskunft zu geben. „Wenn man in so einer musikalischen Familie aufwächst, ist es ganz selbstverständlich, dass man Interesse am Theater entwickelt“, sagt der 1958 in Mailand geborene Künstler. Und dass Daniele Abbado, der Sohn von Claudio, aus einer musikalischen Familie stammt (Bruder Roberto ist Dirigent), spürt man in seinen Inszenierungen: Marco Armiliato, der Dirigent der Neuproduktion gerät ins Schwärmen, mit wie viel Gefühl Abbado die Oper „musikalisch“ und vor allem sängerfreundlich in Szene setzt.
Herr Abbado, willkommen zurück in Wien! Vor vier Jahren inszenierten Sie bereits Don Carlo an der Wiener Staatsoper, Ihre Inszenierung war meiner Meinung nach von Transparenz und Klarheit geprägt, gleichzeitig gelang es Ihnen eindrucksvoll, die psychologische Spannung zwischen den Protagonisten zu zeigen. Ist das Ihr Markenzeichen?
Für mich ist es wichtig, eine Inszenierung in einer klaren Sprache auf die Bühne zu bringen, die gleichzeitig dem Zuschauer genügend Freiraum lässt, um eigene Bilder zu kreieren. Transparenz ermöglicht dem Zuseher, auch einen eigenen Zugang, eine eigene Interpretation des Werks zu entwickeln.
Mit Il Trovatore inszenieren Sie hier nun die nächste Verdioper. In Don Carlo geht es um Abhängigkeiten, um das Gefühl, ausgeliefert zu sein – gibt es für Sie ein Schlüsselwort für Il Trovatore?
Die Handlung von Il Trovatore ist normalerweise als höchst kompliziert verschrien. Um der Handlung nicht nur folgen zu können, sondern um sich in die Geschichte hineinkippen zu lassen und die Hauptfiguren mit all ihren dramatischen Emotionen sie zu verstehen, ist für mich „Hass“ das Schlüsselwort. Ein Hass, der in einer sehr frühen Vergangenheit wurzelt; Hass zwischen den Brüdern, denen ihre Verwandtschaft nicht bewusst ist. Es ist wie im Bürgerkrieg, wenn zwei verschiedene Parteien der gleichen Bevölkerung zu kämpfen beginnen; wenn sie sich bis zum bitteren Ende bekriegen müssen, bis einer oder sogar beide sterben. In Trovatore geht es um Hass, um Krieg zwischen zwei Fronten des gleichen Volkes.
Die Handlung von Il Trovatore ist von Dramatik geprägt, wenn die Protagonisten einander mit Härte und Grausamkeit begegnen. Verdi kreiert andererseits auch in dieser Oper Personen mit vielen Facetten, was die Oper und die Rollen letzten Endes so interessant macht. Wie würden Sie die der vier Hauptpartien beschrieben?
In dieser Oper gibt es keine Helden; viele meinen, Manrico wäre das Opfer in dieser Oper, schließlich lässt er am Ende sein Leben. Doch in Wahrheit sind alle vier Personen in gewisser Weise Opfer, von Beginn an! Sie sind Opfer der Geschichte, ihrer eigenen Handlungen, der Beziehung zu anderen Figuren. Was diese vier Partien von den Figuren in anderen Opern von Verdi stark unterscheidet ist, dass sie überhaupt nicht bzw. nicht selbstreflektierend über die Vergangenheit nachdenken. In La Traviata macht sich Violetta Gedanken über ihr Leben, wenn sie „È strano“ singt. Unmittelbar vor Trovatore komponierte Verdi Rigoletto, der ständig über sein Leben reflektiert! In Il Trovatore beobachten wir das genaue Gegenteil. Die Handlung rast vom Anfang bis zum Schluss dahin, ohne dass einer der Charaktere eine Chance hat, die Geschehnisse zu stoppen. Auch wenn sich relativ bald zeigt, auf welche Katastrophe die Geschichte zusteuert, kann sie niemand verhindern, weder der Graf, noch Azucena, noch Leonora, auch nicht Manrico.
(Claudio Abbado? Nein, auf dem Foto ist tatsächlich Daniele zu sehen. © Rudy Amisano)
Verdi hatte ursprünglich Azucena viel stärker im Fokus als Leonora. Ist Azucena für Sie grausam, verrückt oder einfach „nur“ eine tragische Figur?
Ein bisschen von allem, es ist unmöglich, diese Figur in nur wenigen Worten zu beschreiben. Als Mutter hat sie etwas von Rigoletto, sie zog Manrico groß und beschützte ihn erst. Doch in ihr stecken posttraumatische Erinnerungen. Meinem Gefühl nach ist sie von zwei Versionen der schrecklichen Geschichte überzeugt: Davon, dass sie ihren eigenen Sohn verbrannt, und dann wieder hofft sie, dass es doch der Bruder vom Conte di Luna war, den ins Feuer warf. Sie glaubt an die Version, von der sie im Augenblick spricht. Sie weiß – und sie weiß nicht, und das treibt sie zu ihren gegensätzlichen Handlungen, einerseits ihren Sohn zu beschützen, andererseits ihre Mutter zu rächen und ihre „Schuld“ zu begleichen – und Manrico dem Bruder, dem Tod auszuliefern.
Azucena ist definitiv das Zentrum der Oper, ihr handeln hat Auswirkungen auf alle anderen Personen. Sie ist abergläubisch, hat Angst – lauter Zustände, denen wir heute noch begegnen. Trovatore hat also einerseits eine verrückte Handlung, andererseits eine hochmoderne!
Die Frage nach der Glaubwürdigkeit stellt sich ohnehin nicht, letztlich geht es nicht darum, wie realistisch die Handlung einer Oper ist, sondern um die Kunst, wie die Geschichte in Musik umgesetzt wurde.
Danke, das unterschreibe ich sofort!
Generell ist das das Wunderbare an Bühnenwerken, ganz gleich ob Oper oder Theater: Man findet sehr oft Geschehnisse, die im echten Leben komplett unglaubwürdig wären. Doch auf der Bühne werden sie plötzlich völlig „normal“. Leonoras Charakter zum Beispiel, sie ist so engelsgleich, solche Personen findet man wohl kaum in der Realität. Doch durch die Musik ist ihre Figur unglaublich „greifbar“ herausgearbeitet. Wenn die Leonora gut gesungen und gut gespielt wird – und Anna gelingt das hervorragend! –, ist sie auf der Bühne plötzlich glaubwürdig, man hinterfragt sie nicht. Auf der Bühne kann alles zur Wirklichkeit werden!
A propos Bühne: Können Sie uns verraten, wie das Bühnenbild aussehen wird?
Ich transferiere die Handlung in die Zeit des Spanischen Bürgerkriegs, 1933 bis 1936. Es gibt ein einziges Bühnenbild, in dem sich alles abspielt. Ob es sich um ein verlassenes Hotel oder eine Kirche, ist nicht wirklich erkenntlich, doch der Platz ist sehr groß, sehr warm, ein Ort, an dem sich Menschen verstecken können. An diesem Ort beginnt die Oper, Ferrando wird gebeten, die „wahre Geschichte“ zu erzählen. Im Laufe der Handlung wird das Bühnenbild durch ein paar kleine, aber sehr wichtige Dinge verändert, es ist jedoch stets der gleiche Ort.
Auch der Chor agiert als Parteien einer Bevölkerung: Das spanische Volk, aber ebenso die Partisanen, die wir anstelle der ursprünglichen Zigeuner gewählt haben, damit die Geschichte in den Bürgerkrieg passt. Wir sehen jene Menschen, die die Republik Spanien verteidigt haben, und andererseits jene auf der anderen Seite die Militärjunta von Conte di Luna, die optisch der Armee von General Franco ähneln.
Ein weiteres Element ist Religion, hier die katholische Kirche – wir haben eine Prozession integriert, „La Madonna di Almonte“, eine äußerst heftige Prozession, die tatsächlich alle sieben Jahre in Andalusien stattfindet. Beide Seiten der Bevölkerung streiten um den Besitz der kleinen Statue, die sich immer wieder durch die Handlung zieht.
So haben wir eine Situation geschaffen, die verständlich macht, warum die Brüder bis zum bitteren Ende kämpfen. Etwas ist falsch gelaufen, doch wir kennen die Urgeschichte nicht. Wir wissen zum Beispiel nicht, was zwischen dem Vater der beiden und der Mutter von Azucena vorfiel. Ob es bei ihrem Tod „nur“ um Aberglaube ging oder um etwas Schlimmeres …
Ich gehe davon aus, dass Sie über die Besetzung einer Neuproduktion bereits im Vorfeld informiert sind. Beeinflusst die Besetzung Ihre Interpretation?
Das ist manchmal der Fall! Zu wissen, dass Anna Netrebko die Leonora singt, und Luciana D’Intino, mit der ich vor vier Jahren in Don Carlo zusammenarbeitete, die Azucena, war für meine Sichtweise auf die beiden Frauenrollen sehr hilfreich und hat mich beeinflusst. Wenn ich mit der Besetzung sehr einverstanden bin – wie es bei diesen Sängern der Fall ist! – lasse ich mich gerne von meinen Darstellern inspirieren. Es ist wichtig, eine gute Beziehung zu den Sängern aufzubauen, für eine gute Stimmung während der Proben zu sorgen, und wenn man einander seit Jahren kennt, hat das Vorteile.
Manchmal beklagen sich Sänger darüber, dass Regisseure zu strikt in ihren Ideen sind, denn besonders, wenn Künstler eine Partie bereits in mehreren Inszenierungen gesungen haben, entwickeln sie ihre eigene Meinung zu einer Rolle. Wie gehen Sie damit um?
Glücklicherweise hatte ich diese Probleme ganz selten, denn ich tausche mich gerne mit den Darstellern über meine, aber auch über ihre Ideen aus. Letzten Endes müssen sie die Inszenierung auf die Bühne bringen! Das einzige, was ich nicht leiden kann, sind oberflächliche Sänger, die sich nicht die Mühe machen, über ihre Rollen nachzudenken. Oder die keine Zeit für Proben aufwenden möchten, sondern am liebsten in eine Produktion einsteigen und „nur“ singen, ohne tiefgehende Darstellung. Wenn Sänger gerne Proben und Zeit investieren, wenn sie über ihre Ideen diskutieren möchten, bin ich sofort zu haben, denn dann erst wird es interessant. Gemeinsame Lösungen kreieren, vielleicht etwas Simpleres, etwas Reineres zu finden. Bei Don Carlo hatten wir eine fantastische Probenzeit. Wir feilten sehr lange und sehr ausführlich an den Details, und manches versuchten wir auf zwei, drei verschiedene Arten, bis wir uns für einen Weg entschieden. Diese konstruktive und intensive Zusammenarbeit belebt die Proben, es schweißt zusammen, man spürt bei den Aufführungen diesen Teamgeist.
Wie gehen die Probenarbeiten bei dieser Produktion voran?
Diese Produktion ist sehr speziell, wir kämpfen alle gegen die Grippewelle. Fast alle hat es irgendwann erwischt, und ich hoffe, dass wir bei der großen Probe morgen vollzählig sind! Diesmal müssen wir während der letzten zehn Tage alle Puzzleteile zusammenfügen. Eine große Herausforderung, aber diese Sängerriege ist so erfahren und so intensiv in der Sache, in ihren Rollen drin, dass ich mir keine Sorgen mache über die Premiere.
Sind für die nächsten Saisonen weitere Produktionen von Ihnen geplant?
Nicht im Moment. Oder sagen wir, nichts, worüber ich schon sprechen könnte! Doch ich arbeite sehr gerne hier an der Staatsoper, das Team ist fantastisch, und hier singen so viele großartige junge SängerInnen.
Danke für das Gespräch und ein herzliches „In bocca al lupo“ für die Premiere!
Das Gespräch führte Renate Publig im Januar 2017 während der Probenzeit