„Die Musik verjüngen“
Man muss sich einfach etwas trauen: Die Nordwestdeutsche Philharmonie gibt sich selbstbewusst, wenn sie ihr Publikum aus dem Kanon des Etablierten in musikalisches Neuland „abholen“ will. Die Publikumsbegeisterung bei unkonventionell programmierten Konzerten gibt den Musikern und ihrem innovationsfreudigen Intendanten Andreas Kuntze regelmäßig Recht. Der jüngste Coup aus Ostwestfalen ist die CD-Einspielung eines Schlagzeugkonzerts des jungen Israelis Avner Dorman. Die fabelhaften Solisten auf Drumset, Mallets und mehr heißen Dan Townsend und Aron Leijendeckers und kommen aus den eigenen Reihen. Jetzt liegt eine CD-Einspielung mit Referenzcharakter vor. Stefan Pieper sprach mit den beiden Schlagwerkern aus Großbritannien und den Niederlanden über Bühnpräsenz und die Notwendigkeit, sein eigenes Ding zu machen.
Wie haben Sie die Live-Aufführung und CD-Produktion dieser Musik erlebt?
Aron Leijendeckers: Der Intendant hatte den Mut, uns als Solisten-Duo dieses Konzert spielen zu lassen. Es ist ein großes Geschenk, dass wir das machen durften. Ich bekomme auch nicht jeden Tag so eine CD geschenkt von mir selbst (lacht) Aber es ist ein riesiger Aufwand, diese Musik zu erarbeiten. Vor der Aufnahme haben wir fünf Konzerte mit der Nordwestdeutschen Philharmonie gespielt. Die waren Kritiken überragend gut. Aber es gab noch keine wirklich gute Aufnahme von diesem Konzert aus dem Jahr 2006.
Was hat Sie besonders heraus gefordert?
Aron Leijendeckers: Es war extrem harte Arbeit, diese Musik zu lernen. Wir haben schon manchmal etwas geflucht dabei. Oft denkst Du, das ist jetzt wirklich unspielbar. Ich denke man hört, dass wir die CD in großen Takes und langen Bögen eingespielt haben. Wir hätten die Stücke nicht besser einstudieren können und das Orchester war echt motiviert. Auch Dorman selber war extrem begeistert. Es ist eine große Ehre für uns, dieses Stück zu spielen, zumal es relativ wenig gespielt wird. Viele trauen sich gar nicht daran.
Dan Townsend: Aber es gab wirklich Momente, da hab ich gedacht, das wirst Du nie lernen. Man übt in einem Tempo, das ist noch so langsam und man soll doch schneller werden. Da ist zum Beispiel eine Reihe von fünf Sechzehntel und man hat schon vergessen, was als nächstes kommt. Es ist so wahnsinnig und man wird manchmal aggressiv. Wir haben uns auch manchmal angeschrien (lacht).
Aron Leijendeckers: Man kämpft. Irgendwann geht es. Auch wenn ich meinen Sommerurlaub dafür aufgegeben habe. Irgendwann macht es klick und dann geht es.
So ein langer Vorlauf ist im Profibetrieb alles andere als alltäglich, oder?
Dan Townsend: Geiger spielen oft Stücke, die sie einfach drauf haben.Wir müssen jedes Mal komplett neue Werke lernen – da ist der Arbeitsaufwand viel größer.
Aron Leijendeckers: Für dieses Werk braucht man mit täglichem Üben ein halbes Jahr bis es aufführungsreif ist.
Dan Townsend: Es ist sehr viel Organisation mit dem Schlagzeug. Man muss das Notenlesen neu lernen, weil jede einzelne Noten immer einem Instrumenten zugeordnet ist.
Aron Leijendeckers: Und die Noten drauf zu haben, heißt noch lange nicht, die Musik komplett verstanden zu haben.
Was für musikalische Einflüsse kommen in diesem Konzert zusammen?
Dan Townsend: Da treffen pentatonische Elemente auf orientalische Einflüsse. Spices, Perfumes und Toxins können schöne und tödliche Wirkungen haben. Gewürze, Drogen. Das war Avner Dormans Grundidee. Die unterschiedlich gefärbten Elemente stehen für diese Ambivalenz.
Aron Leijendeckers: Avner Dorman wollte die israelische Jugend darstellen und das Lebensgefühl ausdrücken. Er hat übrigens auch einige Stücke für Grubinger geschrieben.
Dan Townsend: Avner Dorman ist stark durch das Musikleben in Amerika geprägt. Da ist vieles deutlich jugendlicher als hier in Europa, wo der Klassikbetrieb von älteren Generationen und sehr viel Tradition geprägt wird.
Das Konzert hat durchaus diesen Charakter, dass rigide Grenzen zwischen „U und E“ Musik aufgehoben sind.
Dan Townsend: Es hat so einen Crossover-Aspekt, wie er auch von Martin Grubinger oder Evelyn Glennie populär gemacht wurde. Viele Impulse kommen hier aus Amerika, wenn es um die Verjüngung der Musik geht. Avner Dormans Schlagzeugkonzert zeigt, wie schön es ist, wenn moderne Musik mal nicht so fremd klingt. Viele zeitgenössische Kompositionen sind zu schwer für den Zuhörer. Dieses Konzert hier ist extrem eingängig. Man erreicht hier das Publikum durch Gefühle.
Brauchte es eine gewisse Überzeugungsarbeit, um das Orchester für diese ungewöhnliche Sache zu gewinnen?
Dan Townsend: Es brauchte einige Zeit, um das Orchester zu überzeugen. Da war Aron der große Überreder.
Aron Leijendeckers: Viele hatten immer noch die Vorstellung, Schlagzeug kann kein Soloinstrument sein.
Dan Townsend: Man musste schon mit Traditionen brechen hier. Bei der Konzertplanung ist so ein Schlagzeugkonzert zuerst mal ein Risiko. Normalerweise verlässt sich das Management viel lieber darauf, dass der Saal voll wird, wenn eine Brahms-Sinfonie gespielt wird.
Wie waren die Publikumsreaktionen?
Dan Townsend: Die haben geschrien, ganz anders als sonst. Normalerweise erwartet man keine Reaktionen bei klassischer Musik. Viele ältere Hörer kamen schließlich mit Begeisterung aus dem Konzert heraus und waren bekehrt. In der Zeitungskritik stand übrigens hinterher, dass das Publikum durchaus jünger war als sonst. Schön war auch die Reaktion der Kollegen. Die standen alle Schlange, um uns zu umarmen. Es tut gut, aus den eigenen Reihen Anerkennung zu bekommen.
Aron Leijendeckers: Einige haben sofort neue Karten für weitere Konzerte gekauft. Es gab auch viele, die hinterher bereuten, dass sie ihre Kinder nicht mitgenommen hatten.
Wie fühlt sich überhaupt die Rolle als Schlagzeug-Solist an?
Dan Townsend: Das schöne an unserem Beruf ist, dass wir auch optisch zeigen, was wir können. Es geht nicht nur darum, es zu spielen, sondern auch zu präsentieren. Also gewissermaßen auch ein Showman zu sein und nicht nur ein Musiker. Mit Schlagzeug ist das wesentlich einfacher als mit der Violine. Es kam auch gut an, das wir gelächelt haben. Wenn wir etwas gut finden, sind wir der Meinung, dies auch zu zeigen. Das ist anders als in klassischen Konzerten, die oft sehr ernst sind. Wir möchten gerne mithelfen, solche erstarrten Gewohnheiten über den Haufen schmeißen.
Spielen Sie alles auswendig?
Aron Leijendeckers: Wir müssen ohnehin alles auswendig spielen, wir haben da gar keine Wahl. Mit so vielen Instrumenten können wir ja nicht noch blättern.
Dan Townsend: Deswegen brauchen wir ja auch ein halbes Jahr Einarbeitungszeit, damit alles läuft.
Wer auswendig spielt, hat eine ganz andere Live-Präsenz als jemand, der sich hinter dem Notenständer versteckt. Vertieft das Auswendig-Spiel Ihrer Meinung nach auch den Bezug zur Musik?
Aron Leijendeckers: Natürlich! Das hat eine ganz andere Tiefe. Ich bin der Meinung, das hört man auch.
Dan Townsend: Man macht sich dadurch keine Gedanken mehr, wo bin ich jetzt. Heute frage ich mich erstaunt, wie konnte ich diese Musik einmal nicht auswendig spielen. Irgendwann ist alles so tief im Bewusstsein, dass es automatisiert ist.
Man kann die Leute nur ermutigen, etwas eigenes mit Wiedererkennungsfaktor zu schaffen. Sie sind da auf einem ganz guten Weg im Moment, oder?
Dan Townsend: Kreativ sein ist das wichtigste! Bei einem Kammerkonzert zu einem Tag der offenen Tür wurden ich und ein paar Kollegen gefragt, ob wir etwas eigenes machen konnten. Da haben wir eine Percussionvorführung allein auf den Tischen gemacht, weil wir kein großes Instrumentarium schleppen wollten. Das Publikum war total begeistert. Dadurch ist der Stein ins Rollen gekommen. Aron ist später hinzugekommen. Allmählich wurde das Publikum auf uns aufmerksam.
Was sind Ihre nächsten Projekte?
Dan Townsend: Heute Abend gehen wir erst mal gemeinsam Fußball spielen.(lacht) Und im Dezember spielen wir ein Duo-Konzert in Holland.
Stefan Pieper
Kösliner Str. 22
45770 Marl