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DAGMAR SCHELLENBERGER: „Ich bin so wahnsinnig gern im Burgenland!“

23.03.2013 | Sänger


Dagmar Schellenberger im Radio-Café zu einer ihr gewidmeten „Opernwerkstatt“
Im Publikum auch Georg Mittendrein, während dessen Intendanz in Plauen-Zwickau sie die „Tannhäuser“-Elisabeth gesungen hat (Fotos: Renate Wagner)

In der „Opernwerkstatt“ des ORF im Radio-Kulturhaus:

DAGMAR SCHELLENBERGER

„Ich bin so wahnsinnig gern im Burgenland!“

Die Kammersängerin (es ist ein deutscher Titel, der österreichische folgt sicher irgendwann) Dagmar Schellenberger hat ihre durchaus beeindruckende Opernkarriere jenseits von Wien und Österreich gemacht. In das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit trat sie hierzulande erst, als man sie im Juli 2012 als Nachfolgerin von Harald Serafin in der Rolle der Intendantin der Seefestspiele Mörbisch präsentierte. Näher kennen lernen konnte man sie nun im Gespräch mit Michael Blees bei einer „Opernwerkstatt“ des ORF im Radio-Café: Worin das „innovative“ Konzept bestand, mit dem sie immerhin 34 Mitbewerber (viele davon mit starkem Österreich-Bezug und sicher ebenso starker Lobby) aushebelte, erfuhr man auch bei dieser Gelegenheit zwar wieder nicht: Aber man lernte eine starke, selbstbewusste Persönlichkeit kennen, die sich darzustellen versteht und „ihr“ neues Mörbisch mit Verve verkauft.

Von Renate Wagner

Dagmar Schellenberger ist noch jung – wenn sie am 8. Juni voll in den Vorbereitungen zu ihrer ersten Mörbisch-Premiere, dem „Bettelstudenten“, stecken wird, feiert sie erst ihren 55. Geburtstag. Mit ihrer Sängerinnen-Karriere hat sie zwar noch nicht abgeschlossen, einigen ihrer Schüler, die sie Professur an der Universität der Künste Berlin betreut hat, wird sie auch weiterhin mit Rat und Tat zur Seite stehen, aber sie lässt keinen Zweifel daran, dass Mörbisch als „24 Stunden am Tag“-Job derzeit und künftig im Mittelpunkt ihres Arbeitslebens steht.

Der von Michael Blees moderierte „Opernwerkstatt“-Abend wurde von zwei Video-Einspielungen eingerahmt: Zuerst die „Gräfin Mariza“, 2004 in Mörbisch, damals hat sie die Seebühne kennen und lieben gelernt. Hätte ihr damals allerdings jemand prophezeit, dass sie dieses Festival einmal leiten würde, sie hätte ihm erklärt, er habe wohl ein schweres Alkoholproblem… Am Ende stand dann die Hanna Glawari, die „Lustige Witwe“-Aufführung aus Zürich unter Franz Welser-Möst: Die Operetten-Kompetenz der Dagmar Schellenberger war damit bewiesen, zumal sie leidenschaftlich eine Lanze für diese in Deutschland (aber nicht in Österreich!) gern unterschätzte und etwas unterrepräsentierte Kunstform brach. Ihr Urteil, dass man einem Sänger nichts Schwierigeres abverlangen kann als eine große Operettenrolle, hat man von anderen Kollegen auch schon gehört.


Einst und jetzt: Serafin und Schellenberger 2004 in der „Gräfin Mariza“

Wie sie nach Mörbisch kam, lautete die erste Frage. Harald Serafin war ja bekannt dafür, höchst kurzfristig zu disponieren:

„Ich war damals an der Scala und sang die Blanche in den ‚Karmeliterinnen’ unter Riccardo Muti. Als Serafin wegen der Gräfin Mariza anrief, dachte ich, er frage für irgendwann in ein paar Jahren an, aber er meinte: nein, in diesem Sommer. Ich dachte, das könne sich unter keinen Umständen ausgehen, ich hatte im Mai noch im ‚Rosenkavalier’ Premiere, aber dann reizte mich die Aufgabe so, ich bin ein solcher Mariza- und Csardasfürstin-Fan, dass ich zusagte, obwohl ich mehr als einmal zwischen Marschallin und Mörbisch-Proben hin- und herflog. Man kann ohne weiteres Strauss und Operette nebeneinander singen, man hat dieselbe Technik und grundsätzlich dieselbe Einstellung zur jeweiligen Rolle. Ich bin durch die harte Schule der Komischen Oper in Berlin gegangen, wo man als junge Sängerin oft in einer Woche in vier völlig verschiedenen Partien auf der Bühne stehen musste. Das war natürlich nicht ohne Risiko, aber wenn man es überstand, schaffte man später vieles. Ja, und dann sang ich 2004 die Mariza auf dieser unglaublichen Seebühne, und ich erlebte die Atmosphäre, dieses begeisterungsfähige Publikum, hatte gelernt, mich auf diesem 3600 Quadratmeter-Riesenareal zu bewegen (eine Aufführung in Mörbisch geht nicht zuletzt in die Beine!) – und genoss einfach die Faszinaton des Ganzen.“

Der Moderator brachte das Gespräch auf die Vielfalt der Rollen, die Dagmar Schellenberger in ihrem Leben interpretiert hat:

„Ich war nie eine Spezialistin und wollte auch nie ‚in ein Kastl gesteckt’ werden. Natürlich habe ich sehr viel Mozart gesungen – die Pamina rund 230 mal, ebenso die Susanne und dann die Gräfin, die Susanne bei Kupfer in der Komischen Oper, alles auf Deutsch, die Gräfin dann in der Staatsoper in Theo Adams barocker Inszenierung auf Italienisch… Ich habe auch die Donna Anna und dann die Donna Elvira, die Fiordiligi gesungen. Mozart ist für einen Sänger die beste Schule und Technik-Kontrolle. Wir hatten in den Zeiten der DDR – die Wiedervereinigung war das Beste, was Deutschland passieren konnte, und für mich und meine Karriere kam sie auch gerade richtig – den Luxus, wirklich lange probieren zu können, ich hatte etwa ein Vierteljahr für meine Susanne, da kann man eine Rolle schon in Ruhe einstudieren und in den kleinen Finger bekommen. Ich gehöre zu jenen Sängern, die ihre Zeit brauchen, um eine Partie zu verinnerlichen – aber dann kann man sie für alle Interpretationen abrufen. Ich fürchte, heutzutage werden Rollen nicht gut genug studiert, weil der Zeitfaktor so eng geworden ist. Aber ich war natürlich in Notfällen auch imstande, eine Rolle in fünf Tagen zu lernen – das war damals die „Capriccio“-Gräfin, aber das war nur möglich, weil ich die Art, wie Strauss eine Stimme führt, längst durch Marschallin und Arabella verinnerlicht hatte.“

Wie steht Dagmar Schellenberger zum Neinsagen?

„Es sind schon verrückte Angebote gekommen, und ich habe manchmal nein gesagt. So, als Konwitschny mich – ich war damals 26 – als Marie in der ‚Verkauften Braut’ wollte und ich fühlte, dass das zu diesem Zeitpunkt zu viel für mich gewesen wäre. In Italien hat man mich nach der Senta gefragt, aber ich wusste, das bin ich nicht, das werde ich nie sein – ich war immer ein lyrischer Sopran, der höchstens ins jugendliche Fach hineingeschaut hat. Deshalb habe ich es bei Wagner auch mit Evchen und Elisabeth – die habe ich in Plauen-Zwickau in der Intendanz des Österreichers Georg Mittendrein gesungen – bewenden lassen und mit einer konzertanten Elsa. Und auch die Fidelio-Leonore habe ich trotz Angeboten nicht angerührt.“

An akustischen Beispielen brachte diese Opern-Werkstatt die Figaro-Gräfin, die konzertante Elsa, aber auch Beispiele aus dem „Raritäten“-Repertoire von Dagmar Schellenberger, Arien aus „Heilige Linde“ von Siegfried Wagner (eine posthume Uraufführung konzertant 2001 in Köln) oder „Die toten Augen“ von d’Albert, aber auch ein Beispiel für ihren Händel (Cleopatra aus „Guilio Cesare“), schließlich auch noch ein „Lied“ von Robert Stolz (das einer schlichten Operettenarie nicht unähnlich war) – die „Verwertbarkeit“ einer Partie hat Dagmar Schellenberger offenbar nie davon abgehalten, sich eine Rarität vorzunehmen. Zuletzt hat sie die Katja Kabanova für die Deutsche Oper am Rhein interpretiert, da war es die tschechische Sprache, die ihr das Leben beim Studieren der Partie schwer machte…

Es gibt viel zu erzählen aus einem gut 30 Jahre währenden Opernleben, verrückte Einspringer-Kapriolen (mittags in einem Berliner Restaurant, abends als Rosalinde in Paris auf der Bühne, unter der Dusche hervorgeholt, um eine Stunde später die Antonia vom Bühnenrand zu singen, in einer ihr teilweise unbekannten Fassung, einfach prima vista aus dem Klavierauszug…), Restriktionen aus der DDR-Zeit (sie durfte immer wieder einmal im Westen gastieren, da man ihre kleine Tochter im Osten festhielt und so wusste, dass sie auf jeden Fall wiederkommen würde), ihre Erlebnisse als Lehrerin, eine Tätigkeit, die eine große Rolle für sie spielte.

Und ein zentrales Erlebnis vor vier Jahren in Hongkong. Dort hatte sie mit Alban-Berg-Liedern so unglaublichen Erfolg, dass sie sich – die Blumen, ihr „Jubelgemüse“, wie sie es nennt, unter dem Arm – überlegte, dass sie völlig zufrieden wäre, wenn dies das Ende ihrer Sängerkarriere gewesen wäre, man muss nicht noch 15 Jahre weitermachen, sie war mit ihrer künstlerischen Biographie im Reinen.

„Dieser Beruf ist kein Zuckerschlecken, man bewegt sich in sehr dünner Luft, man muss immer ein Höchstmaß an Disziplin aufbringen, man wird angefeindet – und ich habe alles gehabt, ich muss nichts mehr hinterherlaufen.“

Damit sie aber ihrer Familie nicht durch die Hyperaktivität der ungenützten Energien auf die Nerven fiele, erwog Dagmar Schellenberger – die seit 2004 erst als Lustige Witwe, dann immer wieder als Zuschauerin nach Mörbisch zurückgekommen war – der Idee einer Intendanz näherzutreten, die man, wie sie sagt, 2010 ganz intensiv an sie herangetragen habe. Wie sie es geschafft hat, weiß man (wie gesagt) nicht wirklich, aber Tatsache ist: Von diesem Sommer an leitet sie Mörbisch, und der „Bettelstudent“-Prospekt von 2013 (mit einer hierzulande kaum bekannten Besetzung) kündigt für 2014 schon „Anatevka“ an. Dagmar Schellenberger hat selbst auch „West Side Story“ und „Kiss me Kate“ gesungen, offenbar ist ihr auch Musical ein Anliegen.

Vieles neu macht die Schellenberger, nicht alles wird den „bequemen“ Mörbisch-Fans, die lieber am Bildschirm dabei waren, statt die lange Fahrt auf sich zu nehmen, gefallen: Die Fernsehübertragung der Premiere wird es nicht mehr geben, ein kleiner Seitenhieb landet auch bei den schwindenden Besucherzahlen des Vorgängers. Da will sie gegensteuern, zum Live-Besuch animieren, verspricht für den „Bettelstudenten“ vier Bühnenbilder, tolle Sänger und Renato Zanella für die Choreographie. Vor allem aber finden derzeit Bauarbeiten statt, um vor Bühne und Zuschauerraum ein stark erweitertes Angebot an gastronomischen Möglichkeiten zu bieten (inklusive ein „Café Ahlsen“ in Erinnerung an den Mörbisch-Gründer). Auch lässt sie hier eine kleine Spielstätte für drei- bis vierhundert Personen einbauen, um ab 2014 hier ab Anfang Juni Kinderopernvorstellungen zu bieten. Auch eine „Operetten-Akademie“ will sie gründen.

Und die Natur, ja, vor allem die Natur soll wieder zu ihrem Recht kommen, alle Bühnenbildner müssen wissen, wie wichtig der Intendantin der See ist, das Schilf, die Schiffe, die Atmosphäre, das Burgenländische. Denn schließlich resümiert sie: „Ich bin so wahnsinnig gern im Burgenland.“

 

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