CREMONA / Teatro Ponchielli : IL RITORNO D‘ULISSE IN PATRIA
am 24.6.2022
Ulisses goldener Bogen. Copyright: F. Zovadelli
Monteverdis „Il Ritorno d‘Ulisse in Patria“ ist von seinen drei erhalten gebliebenen Opern (Orfeo, Poppea) zweifellos die am wenigsten populäre. Dennoch hat sich das dem „Divino Claudio (dem „Göttlichen Claudio“) gewidmete MONTEVERDI FESTIVAL in seiner Geburtsstadt Cremona jetzt dieses Werkes angenommen. Sehr erfreulicherweise, kann man sagen. Denn die Aufführung wurde – völlig zu Recht – zu einem vollen Erfolg.
Die Basis dafür legte zweifellos Barockexperte Ottavio Dantone und seine wirklich exquisite Accademia Bizantina. Aber auch das Sänger/innen-Ensemble glänzte durchgehend – ohne Ausnahmen.
Der verkleidete Ulisse und der Schäfer. Copyright: F. Zovadelli
An vorderster Stelle der bisher nicht so bekannte (was sich aber nach diese Produktion ändern sollte) Mauro Borgioni als Ulisse mit seinem männlichen, aber auch einschmeichelnd samtigen Timbre. Ebenso atemberaubend die (im achten Monat schwangere) Giuseppina Bridelli als Minerva. Ein nicht nur sängerisches, sondern auch schauspielerisches Glanzstück lieferte Bruno Taddia mit seiner fast klinischen Studie des Iro als stotterndem Autisten ab. Anicio Zorzi Giustiniani (als Telemaco) beglückte uns einmal mehr mit seinem tenoralen Schmelz. Aber wie schon gesagt müsste man eigentlich alle Beteiligten lobend erwähnen – und somit die ganze Besetzungsliste. Um zu verkürzen, seien zumindest noch Delphine Galou (Penelope), Federico Domenico Eraldo (Nettuno), Luigi Morassi (Eumete) und Anna Bessi (die Amme genannt).
Die Göttin Minerva. Copyright: F. Zovadelli
Das Überraschendste an diesem Abend war aber die Inszenierung. Wie man ja mittlerweise aus leidvoller Erfahrung weiss, werden ja selbst die musikalisch makellosesten Aufführungen immer
öfter, um nicht zu sagen: immer, von respektlosen und durchgeknallten Regisseuren wenn schon nicht ganz ruiniert, dann doch erheblich ramponiert. Gerade im Barockrepertoire wird meistens
versucht, die fragilen und handlungsarmen Werke gewaltsam mit Action zu überladen und sozusagen auf die veristische Ebene herabzuzerren. Was nie gut ausgeht, nie gut ausgehen kann…
Luigi De Angelis, einer der bekanntesten italienischen Avantgarde-Künstler, ist sensibel und intelligent genug, diesen Fehler nicht zu begehen. Ihm gelingt das Kunststück, eine gleichermaßen zeitgenössische wie zeitlose Inszenierung auf die Beine zu stellen, mit minimalistischen, aber einer reichen Phantasie entspringenden Bühnen-Versatzstücken, die wiederum gleichzeitig abstrakt und konkret sind (Luigi zeichnet auch für die Bühnenbilder und die großartig onirische Beleuchtung verantwortlich). Das Ganze noch getoppt von den ironisch-schönen Kostümen von Chiara Lagani.
Ein Labsal, ein Balsam für die verwundeten Opernseelen.
Der versöhnte Neptun, Copyright: F. Zovadelli
Bezeichnenderweise konnte man nach der Aufführung von vielen Melomanen die Absicht vernehmen, den Ulisse in Hinkunft in ihren MONTEVERDI-Charts doch ein wenig vorzureihen…
Bleibt nur noch die Frage, warum denn diese Oper normalerweise nicht soo enthusiasmiert.
Ich glaube, die Antwort liegt eindeutig in diesem endlosen, unendlich traurigen letzten Akt.
Denn auch als Ulisse mit seinem Bogen endlich alle Freier hingemetzelt hat, weigert sich die „treue“ und „keusche“ Penelope unter den fadenscheinigsten Ausflüchten standhaft, ihren Gatten nach 20 Jahren wiederzuerkennen(was ja auch irgendwie realistisch und verständlich ist). Die Alte will ihn einfach nimmer…und eigentlich auch überhaupt kein Mannsbild mehr. Das dann letztlich doch eintretende „happy end“ ist äußerst melancholisch und äußerst brüchig. Man kann sich einfach nicht vorstellen, dass die Beiden noch einmal glücklich miteinander werden…wahrscheinlich schlafen sie von nun an in getrennten Betten und schauen nur noch die Nachrichten und Reality-Shows gemeinsam an…oder Penelope fängt sich was mit dem Schäfer an und er mit der Zofe…oder Ulisse besteigt am nächsten Morgen wieder sein Schiff und sucht, jetzt,wo sich Neptun beruhigt hat, wieder das Weite und heiratet Circe oder wird Statthalter des griechisch gewordenen Troia…Man weiß es nicht…
Robert Quitta, Cremona