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CRAIOVA/ Rumänien: PREMIO EUROPA 2016

27.04.2016 | Theater

CRAIOVA (Rumänien): PREMIO EUROPA 2016 vom 23.- 26. 4.2016

Craiova? Davon haben noch die wenigsten gehört. Dabei war die nahe der serbischen bzw. bulgarischen Grenze gelegene Kleinstadt einst Sitz der rumänischen Könige – und ist seit einigen Jahrzehnten bereits Austragungsort eines international renommierten Shakespeare-Festival. Anlässlich des 400. Todestag des britischen Barden schloss sich an das jährliche Event heuer noch ein besonderes Ereignis an: die Verleihung des höchstdotierten europäischen Theaterpreises, des Premio Europa.

Der Premio war ursprünglich in Taormina „zuhause“, ist seit einigen Jahren allerdings auf „Wanderschaft“ und nach Stationen in Thessaloniki, Wroclaw und Sankt Petersburg nunmehr also in Craiova gelandet.

Der Hauptpreis ging diesmal an den schwedischen Tänzer und Choreographen Mats Ek (was bei allem Verständnis für „Gattungsüberschreitung“ bei einem Theaterpreis dann doch etwas merkwürdig ist)

Die „Nebenpreise“ in der Kategorie „Neue Realitäten“ wurden dem französischen Autor und Regisseur Joël Pommerat (dessen „Wiedervereinigung der beiden Koreas“ gerade am Akademietheater Premiere hatte), dem (in Öaterreich noch nie aufgeführten) spanischen Autor und Regisseur Juan Mayorga, dem (vom Burgtheater bestens bekannten) deutschen Regisseur Andreas Kriegenburg, dem (Besuchern der Bühnen Graz bzw. des Volkstheaters Wien ebenfalls vertrauten) ungarischen Regisseur Viktor Bodó sowie dem National Theatre of Scotland als Ganzes zugesprochen.

Einen Spezialpreis verteilte der Präsident der Jury Georges Banu, an seinen Landsmann, den rumänischen Regie-Altmeister Silviu Pucarete.

Die Tage in Craiova waren in erster Linie von Diskussionen, Vorträgen, Round Tables und (schlechten) Vorführungen von Filmdokumentationen geprägt.

In früheren Jahren waren von allen Preisträgern zumindest eine Produktion zu sehen gewesen. Das war heuer bedauerlicherweise – wahrscheinlich aus Budgetgründen – nur ansatzweise der Fall.

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Szene aus „Rejkavik“. Copyright: Festival Premio Europa 2016

So bekam man z.B. „Rejkjavik“ des ausgezeichneten Autors Juan Mayorga in dessen eigener Regie zu Gesicht. Die Geschichte der Schachweltmeisterschaft zwischen Bobby Fisher und Boris Spasski war zwar einmal faszinierend, aber warum sie uns heute noch interessieren sollte, wurde aus der durchaus ordentlichen Inszenierung nicht ganz ersichtlich.

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Last Dream“ (On Earth) / National Theatre Scotland. Copyright: Premio Europa 2016)

Immerhin war der Abend weniger ärgerlich als „Last Dream (On Earth) des hochgelobten National Theatre Scotland. Acht Schauspieler und Musiker sitzen unbeweglich auf der Bühne und sprechen in allerfeinstem Englisch Texte über kongolesische Bootsflüchtlinge in Mikrophone. Man wird nahezu ultimativ dazu angehalten, sich Kopfhörer aufzusetzen, obwohl man alles auch so einwandfrei verstehen würde. Typisches Beispiel des mangelnden Glauben des Theaters an sich selbst und seine Mittel, der hartnäckigen Verweigerung, Kunst zu produzieren und der parasitären Aneignung fremder Schicksale, um sich selbst wichtiger und relevanter zu machen, als man sich fühlt, einhergehend mit der moralischen Erpressung des Publikums durch die Zitierung „echten“ Leidens. Prätentiös. Lächerlich. Und genaugenommen ekelhaft. Liebe Theaterleute, seid so gut, lasst die armen Flüchtlinge jetzt einmal für ein paar Jahre in Ruhe, anstatt sie andauernd zu verwursten, wie es derzeit so Mode ist.

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Lars Eidinger als Richard III

Zumindest eine überwältigende Theatererfahrung gab es dann dennoch, wenn auch „indirekt“: denn Thomas Ostermaiers Schaubühnen-Inszenierung von Richard III. lief zwar formal unter dem Label „Premio Europa“(als „Wiedergänger“, weil er einmal Preisträger gewesen war), war aber eigentlich der Abschlussabend des offiziellen Shakespeare-Festivals (somit eine Art „Code-Sharing-Flight“).

Wie dem auch sei: diese drei Stunden im auf unwahrscheinliche Weise überfüllten und vollgestopften „Teatrul Marin Sorescu“ (Gott sei Dank war keine Baupolizei anwesend) wird man nicht so leicht vergessen.

Es fängt schon mit der genialen Übersetzung und Fassung Marius von Meyenburg an. Man kann sich nicht erinnern, den Text dieses wohl nicht unbedingt besten Stücks des unvergleichlichen Shakespeare je so aufmerksam verfolgt zu haben. Es setzt sich fort in Ostermaiers packender, uns drei Stunden lang atemlos lassender Regie. Dem Schaubühne-Intendanten wurde ja früher nicht ganz zu Unrecht Oberflächlichkeit und übertriebene Zeitgeistigkeit vorgeworfen. Hier hat er allerdings zu einem reiferen, nahezu zu einem „Altersstil“ gefunden, der dem elisabethanischem Geist der Vorlage voll gerecht wird. Und der Erfolg gipfelt in der sensationellen Darstellung des Richard durch Lars Eidinger, der in Berlin offenbar nicht unbegründet einen popstarmässigen Kultstatus genießt, wobei ihm der Rest des Ensembles (Eva Meckbach, Jenny König, Robert Beyer, Sebastian Schwarz, Thomas Bading, Christoph Gawenda, Laurenz Laufenberg etc.) allerdings in nichts nachsteht. Eine, auch was Bühnenbild und Kostüme betrifft, von Anfang bis zum Ende runde, durchdachte, perfekt ausgeführte und geschlossene Sache. Und somit ein verdienter Triumph für alle, die noch an das Theater und seine ureigensten Fähigkeiten glauben. Und keinerlei Abkürzungen, Vorwände, Ausflüchte und weder moralische noch technologische Dopingmittel notwendig haben, um Wirkung zu erzielen.

Robert Quitta, Craiova

 

 

 

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