Cottbus: „TRISTAN UND ISOLDE“ Derniere 30.05.2023
Brian Register, Annika Schlicht, Andreas Jäpel. Foto: Marlies Kross
Schon nach Ansicht der Photos zu „Tristan und Isolde“ von Richard Wagner zog ich in Erwägung meine Lieblingsoper am wunderschönen Jugendstil Staatstheater Cottbus zu besuchen, jedoch die lange Anreise sowie div. Malheurs hielten mich von dieser Unternehmung ab. Sodann las ich den euphorischen Bericht eines Online-Kollegen und nun gab es kein Halten mehr, buchte somit die letzte Aufführung Non je ne regrette rien! Welch`hehres Wunder: ein ICE brachte uns pünktlich bis Berlin, angeregte Gespräche mit einem jungen Fremden im Abteil, vermutlich ein neuer Merker-Leser (?) verkürzte die Fahrt auf angenehme Weise, sodann sollte uns die Realität einholen, wegen Bauarbeiten auf der Strecke durften wir dreimal umsteigen und erreichten mit zwei Stunden Verspätung den Ort unserer musikalischen Begierden.
Die ersten wundervoll intonierten Takte des Vorspiels ließen sofort alle Kontrarietäten vergessen, der versierte GMD Alexander Merzyn inspirierte das hervorragend disponierte Philharmonische Orchester Cottbus zu instrumentalen Höchstleistungen. Farbenprächtig erblühten in wunderbaren Steigerungen die Klangfluten. Bei Merzyn dominierten im weiteren Verlauf zunächst ruhige Tempi, der famose Dirigent erzielte allmählich in frischer Partituranalyse einen intensivierten entschlackten Gesamtklang welcher sich in der überschäumenden Ekstase des zweiten Aufzugs in Vollendung gipfelte. Bewundernswert die Transparenz, die schlanke Dynamik, die kultiviert-beflügelte Expansion des Orchesters. In formidabler Intonation erfreuten die Blechbläser, bestens disponiert harmonisierten Streicher und Holzsegmente, steigerten sich in jenen suggestiven, narkotisch-magischen Klangrausch dieser unvergleichlichen Musik. Allen Fortissimo-Eruptionen zum Trotz erwies sich der Dirigent als sensibler großartiger Sängerbegleiter.
Nun wurde mir im Laufe der Jahre über Zweidutzendmal das Glück zuteil die beste Hochdramatische unserer Tage Catherine Foster zu erleben, durfte nun die grandiose Künstlerin erneut als Isolde bewundern. Glanzvoll, fulminant erklangen Monologe und Ausbrüche im ersten Aufzug. Mit traumhafter Sicherheit, in schier unendlicher detaillierter Opulenz spielte sie zudem im Pianissimo die lyrischen Qualitäten ihres herrlich timbrierten makellosen Soprans aus. In ungewöhnlicher Vokalschönheit, tiefempfundenen Emotionen erklangen die leisen Passagen. Ohne jeglichen scharfen Ton bewältigte Foster die dynamischen Ausbrüche, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt wurden traumwandlerisch in jeder Phase Force de frappe sowie sphärisch schwebende Töne während O sink hernieder, Nacht der Liebe zelebriert, fanden im finalen Liebestod in herrlich leuchtenden Bögen den absoluten überwältigenden Vokalfocus.
Mit dunklem sehr klangvollem Tiefenregister sang die Mezzosopranistin Annika Schlicht eine beeindruckende Brangäne, sehr kultiviert auf breitem Atem erklangen die nächtlichen, warnenden Habet acht-Rufe. In keckem Spiel war die Sängerin Isolde zudem die einfühlsame sympathische Freundin.
Catherine Foster, Brian Register. Foto: Marlies Kross
Ein neuer Tristan stellte sich vor Bryan Register. Seine dunkel gefärbte schön klingende Tenorstimme wirkte zunächst verhalten und steigerte sich in liebevollem Spiel mit Isolde in intensive heldentenorale farbenreiche Aufschwünge. In vokaler Konsequenz, feinen deklamatorischen Nuancen überraschte der amerikanische Sänger im zweiten Aufzug und charakterisierte in bester Manier und Höhensicherheit die Fieberträume im Finalakt.
Markant, ausdrucksstark mit kräftigem Bariton sang Andreas Jäpel den Kurwenal, war darstellerisch ein nobler treuer Freund und bewältigte die Partie in souverän, technisch bester Versiertheit.
Ohne Larmoyanz auf das musikalische Ebenmaß seines sonoren Basspotenzials bedacht gab es für mich die erfreuliche Wiederbegegnung mit Dimitry Ivashchenko. Wunderbar entfaltete sich das edle Material im Einklang zur eindringlichen Darstellung, des hoheitsvollen und doch sehr menschlichen Noblesse geprägten König Marke.
Ausgezeichnet fügten sich die Stimmen von Hardy Brachmann (Hirt, junger Seemann), Nils Stäfe (Melot, Steuermann), sowie die Herren des Opernchores ins vortreffliche Ensemble mit ein.
Man muss am Inszenierungs-Dilettantismus Land auf Land ab nicht immer verzweifeln, denn hier am Hause inszenierte Intendant Stephan Märki textgetreu, teils mit Liebe zum Detail, in vortrefflicher Personenregie das tragische Liebenepos geradezu umwerfend. Nun wie vielen Kollegen zuvor ging auch Märki die Einfalls-Puste aus, verlor sich beim dritten Aufzug in dubiose Verwechslungen mit „Parsifal“ und ließ seine Protagonisten*innen um Jahrzehnte altern. Der trivale gemeinsame Abgang des vereinten Paares ins Nirwana, wie ein Christbaum dekoriert, war einfach des Guten zu viel. Ohne Fauxpas geht heute wohl doch nicht? Großartig integrierte Philipp Fürhofer das illustre Bühnenbild mit sternübersätem Hintergrund, Spiegelflächen mit wenigem bildschönem Interieur in den zauberhaften Jugendstil-Raum. Im wesentlichen Gespür zum Detail kreierte Hannah Barbara Bachmann die Kostüme, ließ lediglich bei der Robe von Isolde die gewisse Ästhetik vermissen. Das vorzügliche Lichtdesign oblag Diego Leetz, die überflüssigen Videoeinspielungen wirkten deplatziert. Alles in Allem eine sehenswerte und insbesondere hörenswerte Produktion. Die Reise nach Cottbus hatte sich gelohnt, erlebte Wagner-Wonnen pur, alle Erwartungen wurden übertroffen.
Mit Vehemenz und lautstarker Begeisterung verabschiedete das Publikum alle Mitwirkenden. Im Foyer gab es den plakativen Hinweis: diese Aufführung wurde aufgezeichnet und erscheint demnächst als DVD.
Noch ein Hinweis für Opern- und Wagner-Fans: Catherine Foster und Bryan Register singen beide Parts ab 21.April 2024 am Aalto-Musiktheater Essen.
Gerhard Hoffmann