Gesine Forberger, Alexey Sayapin, Ulrich Schneider, Hardy Brachmann. Foto: Marlies Kross
Cottbus: MAZEPPA , 25.10.2020, Premiere
Zu Beginn setzt ein kleines Mädchen in weißer Bluse und weißen Kniestrümpfen und schwarzem Rock eine rote Hammer und Sichel-Fahne an einem Platten-Hochhaus auf Halbmast und hüllt sich in sie ein. Viele große Geister wie Puschkin in seinem Gedicht Poltava, Voltaire in seiner Geschichte Karls des XII., oder B.Brecht in seiner Ballade von Mazeppa arbeiteten sich an Tschaikowskys Titelhelden ab. Diese zweischneidige historische Gestalt, in Rußland als Verräter gebrandmarkt, in der Ukraine als erster großer Held der Unabhängigkeit gefeiert, wird in der Regie von Andrea Moses in die Zeit nach dem Verfall der Sowjetunion katapultiert. Tatsächlich wird er auf dem Höhepunkt seiner Macht mit einem Bild seines Darstellers Andreas Jäpels (allerdings mit kürzeren Haaren) mit der Überschrift JELZIN – the best Wodka I know ‚korrekt‘ und ironisch bezeichnet. Aus der Fassade des in den Bühnenhimmel ragenden Hochhauses (Christian Wiehle) ist ein nach unten zeigender riesiger roter Stern aus der Fassade gebrochen, und seine Scherben werden von den Akteuren weggekickt. Es spielt sich da die Brautwerbung des bereits älteren Mazeppa für die wesentlich jüngere Maria (Skandal), Tochter seines Noch-Freundes Kotschubej, die dieser ablehnt, ab.
Der Chor (Einstud.: Christian Möbius) singt aus dem gesamten 1.Rang mit den nötigen Abständen lautstark und sonor. Es gibt auch auch Riesenplakatwände, leider auf russisch, die wohl auf Versteigerungen von Immobilien o.ä. aufmerksam machen, einmal kommen auch viele ‚Anteilsscheine‘ von der Decke des Zuschauerraums geregnet. Maria geht dann in der überzeugenden Personenregie dieser Zeremonie freiwillig mit Mazeppa ab und trennt sich damit völlig von ihrer Familie, wofür sich Kotschubej allerdings erfolglos an dem alten Freund rächen will. In der nächsten Szene sieht man ihn bereits als Gefangenen, der unter Folter gestehen soll, wo er seine Reichtümer versteckt hält. Er wird von Mazeppas Adlaten Orlik immer wieder an einem Seil hochgezogen, im Hintergrund sieht man eine Nähmaschine zum wieder Zusammennähen der roten Fahnen.Vor ihrer Hinrichtung müssen Kotschubej und Iskra zur Öffnung des beschädigten Palazzos heraus, bewacht von pelzbemützten Polizisten, zusammen mit dem Popen, der im Hof ein Kreuz errichtet hat, zur Vergebung ihrer Sünden beten. Danach tanzt ein betrunkener Kosak, als Tunte im gelben Gewand dargestellt, auf dem Platz herum. Maria und ihre Mutter Ljubow erscheinen zu spät, die beiden Männer werden mit Gewehrsalven hingerichtet. Auch die Schlußszene nach dem Krieg findet vor dem durchräucherten Einheitshochhaus statt, es gibt nur Verlierer. Die oft grellen zur Inszenierung passenden Kostüme sind von Meentje Nielsen konzipiert.
Mazeppa erscheint im Vergleich zu dem reiferen Onegin wie ein ungestümes Jugendwerk, und so wird es auch unter Alexander Merzyn gespielt, ganz wild und aufschäumend. Poltava, die Schlacht zwischen den mit den Schweden verbündeten Ukrainern und den Russen unter Zar Peter ist ein großes musikalisches Schlachtengemälde.Dabei und auch davor kommt das scheinbar nicht reduzierte Orchester oft ganz ungebremst aus dem Graben! Das ist aber für die SängerInnen auf der Bühne kein Problem, jedenfalls bei der Premiere. Sie singen alle großteils mit Masken, was keine nennenswerte Dämpfung verursacht, so können sie sich auch viel näher kommen.
Kim Lillian Strebel, Andreas Jäpel. Foto: Marlies Kross
Ein Kosaken Tanzpaar gibt bunt kostümiert Cristina Voce und Alexander Teutscher. Der Iskra von Hardy Brachmann hat nicht viel baritonal zu singen, spielt aber gut mit. Den Betrunkenen gibt mit ausdrucksvollem Russisch und starkem Lamento Dirk Kleinke. Den Orlik stellt als hintergründig bösen Typ mit manchmal schnarrendem tiefem Stimmklang Kihoon Han. Die Ljubow sticht besonders in ihrem Bittgesang in der Gestalt Gesine Forbergers mit sehr hell timbriertem, klar akzentuiertem fast scharfem (Mezzo)Sopran hervor. Einen elegischen lyrischen bis jugendlich dramatischen Tenor nennt Alexey Sayapin sein Eigen, agiert in den Anfangsszenen teils sehr witzig auch im postsowjetischen Outfit in Jeans mit Hosenträgern und raushängendem Hemd, Palästinenserschal. Kotschubej Ulrich Schneider, erst durchsetzungsarm, dann standhaft, steht ein angenehm timbrierter Bariton zu Verfügung, den er im Lamento der letzten Nacht gekonnt aufdreht. Die Maria der Kim-Lilian Strebel kann mit einem bemerkenswert durchdringenden jugendlich dramatischen Sopran aufwarten und kommt mit ihrer hochgewachsenen schlanken Gestalt in verschiedenen Dressen bis zur finalen geistigen Umnachtung, in der sie sich beim Eiapopeia ins lyrische Piano zurücknimmt, äußerst selbstbewußt herüber. Andreas Jäpel,ist ein mächtig anmutender Titelheld in Reithosen und Pelzmantel und singt teils auch mit fahlem aber durchdringendem schwergewichtigem, dabei aber gut timbriertem Baßbariton.
Friedeon Rosén