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COTTBUS/ Staatstheater: DER FLIEGENDE HOLLÄNDER

27.05.2019 | Oper

„Der fliegende Holländer“ am Staatstheater Cottbus

Premiere am 4. Mai 2019 – besuchte (2.) Aufführung am 26. Mai 2019


„Der fliegende Holländer“ in Cottbus: Szenenfotos mit (v.l.n.r.) Andreas Jäpel (Holländer), Dirk Kleinke (Steuermann), Ingo Witzke (Daland) sowie Herren des Chores – Foto: Marlies Kross

 Der Merker werde so bestellt, dass weder Hass noch Lieben das Urteil trüben, das er fällt – lässt Richard Wagner seinen Hans Sachs in den MEISTERSINGERN sagen – und ich muss dieses Zitat an den Anfang stellen, weil ja kein vernünftiger Mensch „aus Hass“ die nicht näher zu schildernde Reise von Berlin nach Cottbus auf sich nimmt. Um „Hass“ geht es überhaupt nicht. Bliebe das „Lieben“: ein wunderschönes Jugendstil-Theater mit „festem Ensemble“ (wo gibt es das schon noch?), eine sehr zuvorkommende Betreuung durch die Pressereferentin – nach der Vorstellung sogar noch einen Hauptbahnhof, der sonntags nach 19.00 Uhr noch geöffnete Versorgungseinrichtungen bereitstellt – was will man mehr? Das alles spricht für Cottbus, nur eben „Lieben“ ist des Merkers Geschäft nicht. Ein objektives Urteil zu fällen über eine Aufführung, die für Cottbus ein großes Ereignis war, das die lokale Presse bestätigte, fällt mir schwer – und doch müssen Zweifel gestattet sein.

Ja, es war die zweite Vorstellung nach der Premiere, ausverkauft und vom Publikum nach der zwei-und-ein-Viertel-stündigen pausenlosen Spieldauer begeistert gefeiert. Was hat der vorbei reisende „Gast“ aus der Hauptstadt da zu meckern?  Die Musik stimmte und versuchte durch Lautstärke zu überwältigen – und das ist auch gelungen; aber…

… man muss doch anmerken dürfen, dass der „laute Wagner“ nicht der „richtige Wagner“ ist, soll heißen: musikalische Differenzierung habe ich leider vermisst. Alexander Merzyn hat das Werk ordentlich studiert und offensichtlich auch dafür gesorgt, dass immer betont „nach vorn“ gesungen wurde (was richtig ist in der Oper, auch wenn Regisseure das oft nicht begreifen wollen!). Das führte in einem hohen Maße zu guter Textverständlichkeit und hielt das Ganze auch  (von gelegentlichen Ansatzschwierigkeiten im tiefen Blech und einen normalen „Schmiss“ der Senta im Duett des 2. Aktes mal abgesehen) bewundernswert zusammen. Nur hat der Wagner eben nicht nur f und ff in seine Partitur geschrieben, was in dieser Vorstellung gefühlt zu ff und fff mutierte. Und auch wenn z. B. das pp-Tremolo der Streicher (5. Takt vor „fühlst du den Schmerz“ bzw. zwei Takte vor „Ach, möchtest du, bleicher Seemann…“) unterhalb der Hörbarkeitsgrenze lagen, weshalb dort leider das permanent-penetrante Geräusch des im Rang aufgestellten Mischpultes für Beleuchtung und Ton dominierte (!), hatte dies nichts mit Differenzierung zu tun.

… man muss doch anmerken dürfen, dass diese „Tour de Force“ nichts mit Rücksicht den Sängern gegenüber zu tun hat und auf die Dauer auch für den Zuhörer ermüdend ist. Selbst wenn man jedes Wort verstand; der durchaus kompetente Holländer des Andreas Jäpel schien das mühelos durchzuhalten, nur – wie lange noch? Die Senta von Gesine Forberger hatte damit jedenfalls Probleme, die sich bereits im Duett mit dem Holländer  vor der sogenannten „Kadenz“ anbahnten und dann folgerichtig eintraten.  Und Jens Klaus Wilde hat für den Erik durchaus die richtige Stimme, weshalb muss er sie gelegentlich so grundlos überfordern?   

… man muss doch anmerken dürfen, dass es wohl schön ist, wenn man große und teilweise auch wohlklingende Stimmen im Chor hört, es zu stellenweise überwältigendem Chorklang kommt (sicher und präzis einstudiert von Christian Möbius);  in der Oper darf aber nicht ganz in Vergessenheit geraten, dass szenisches Geschehen dazu gehört – hier besonders im dritten Akt, wo sich jeweils der Damen- oder der Herrenchor frontal zum Zuschauer stellten und man den Eindruck eines kostümierten Konzertes nicht verbergen konnte.

… man wird doch anmerken dürfen, dass der Theaterpraktiker Richard Wagner genau wusste, weshalb er bestimmte szenische Anweisungen vorgab und dass diese Angaben jedenfalls solange als verbindlich zu gelten haben, solange einer Regisseurin nicht mehr einfällt, als Schiffe durch Leitern zu ersetzen (1. Akt),  die „Spinnräder“ als Papierschiffchen-Vorhänge und das doch eigentlich sehr wichtige „Bild“ durch einen alten Koffer mit offensichtlich LED-Leuchten im Innern (2.Akt) und eigentlich nur eine leere Bühne (3.Akt). Dass ständig Texte gesungen werden, die Dinge beschreiben, die auf der Bühne nicht stattfinden, ist ja nicht erst seit dieser Aufführung in Cottbus festzustellen. Und auch wenn es jahrelang überall ständig wiederholt wird, bleibt es Unfug. Außerdem war es Wagner, der einst forderte, dass man auf der Bühne miteinander spricht, zuhört und agiert und nie nur dem Publikum etwas sagt!  (Jasmina Hadžiahmetović – Inszenierung, Natascha Maraval – Bühne und Kostüme).

… man muss doch anmerken dürfen, dass Ingo Witzke als Daland und Dirk Kleinke als Steuermann,  auch Carola Fischer als Mary zuverlässig und ohne zwangsläufig „groß gemachte Stimmen“ zum Gelingen der Vorstellung nicht unwesentlich beitrugen. 

Ich habe kein Interesse daran, Aufführungen „schlecht“ zu schreiben, in Cottbus nicht, auch anderswo nicht. Aber Fehler müssen angemerkt werden, manchmal sieht es ja doch jemand nicht als „Meckerei“ an, sondern denkt mal drüber nach. Dem Ganzen, und – was die Sänger betrifft – der eigenen Entwicklung zu Liebe.

Werner P. Seiferth

 

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