Cottbus / Staatstheater: EIN LIEDERABEND MIT ELINA GARANCA BEIM LAUSITZ FESTIVAL – 25.8.2021
Das 2019 gegründete, etwa dreiwöchige Lausitz Festival in einer landschaftlich reizvollen, aber vom niedergehenden (Braunkohle-)Bergbau geprägten, Mittelgebirgsregion im geographischen Mittelpunkt Europas ist noch im Werden begriffen und verändert seine Proportionen von ursprünglich rein klassischer Musik im Gründungsjahr zum genreübergreifenden Programm mit Konzerten und Liederabenden, Jazz, Theater, Literatur, Ausstellungen, Gesprächen und Film, mit internationalen Spitzenkräften und einheimischen Künstlern und Aufführungsorten in der gesamten Region.
Von der Gegensätzlichkeit der Veranstaltungen konnte man beim 3. Jahrgang (25.8. – 25.9.) einen Eindruck erhalten. Im Park hinter dem Cottbuser Theater, einem gigantischen Jugendstilbau in einer speziellen Geschmacksrichtung mit reichlich (Stil-)Blüten, formierte sich eine Motorrad-„Gang“ mit schweren Maschinen und machte vor wenigen Zuschauern und -hörern lautstark auf sich aufmerksam – offenbar ein „Konzert“ mit „Pauken und Trompeten“, Motorgeräuschen und Dirigent, mit viel Lärm – und Abgasen (!). Danach fand der Liederabend mit Elīna Garanča im Inneren des Theaters statt.
Nicht nur auf den großen Opernbühnen der Welt ist sie die gefeierte Sängerin und Darstellerin, sie setzt ihre gesanglichen Qualitäten und ihre Ausdrucksfähigkeit auch für den Liedgesang ein. Wie im vergangenen Jahr ließ sie es sich nicht nehmen, auch die Menschen einer Region im Aufbruch mit einem Liederabend zu erfreuen. Das Lied ist für sie die intimste musikalische Klangwelt. „Wir sind dort mit unseren Gefühlen ganz für uns“ meint sie.
Während ihr Liederabend im vergangenen Jahr mit Schumann, Brahms und Rachmaninow den bekrönenden Abschluss des Festivals bildete, wurde der diesjährige zur festlichen Eröffnung. Hier stimmte einfach alles, der große (auch optische) Auftritt der Grand Dame des Gesanges, jede ihrer sparsamen und doch so wirkungsvollen, die Gesangstexte und ihren eindrucksvollen Gesang unterstreichenden Gesten, die außergewöhnlich klangvolle, unverbrauchte, geschmeidige Stimme und frappierende Technik, mit der alles natürlich und ungekünstelt erscheint, eine klangvolle Höhe und makellose Tiefe, fließende Auf- und Abwärtsbewegungen und fließende geschmeidige Übergänge. Sie versteht auch die feine Kunst der leisen Töne und beherrscht ein kraftvolles Forte, ohne zu forcieren, alles mit bewundernswerter Leichtigkeit und sehr langem Atem, den sie in einigen Passagen mit extrem lange ausgehaltenen Tönen auch explizit präsentierte.
An den Anfang ihres Liederabends hatte sie Sie Lieder von Richard Strauss gestellt, bekannte und vor allem seltener zu hörende, neben „Zueignung“ (op.10/1) und „Heimliche Aufforderung“ (op. 27/3) die „Winternacht“ (op. 15/2), „Schön sind, doch kalt …“ (op. 19/3), „Wie sollten wir geheim sie halten“ (op. 19/4)) und „Befreit“ (op. 39/4). Was Wunder, dass das Publikum bei ihrer ausdrucksstarken Interpretation nach jedem Lied herzlich und stürmisch applaudierte, worauf sie und ihr Begleiter am, vernünftigerweise nur halb geöffneten Flügel, Malcolm Martineau, mit wohlwollendem Lächeln reagierten.
Prominenten-Begleiter Martineau leitete nach den Strauss-Liedern mit Claude Debussys beliebtem „Clair de Lune“, leicht und verklärt, aber auch realitätsnah, „mit beiden Füßen (besser Händen) „auf dem Boden“ (d. h. auf den Tasten) bleibend, individuell und fernab aller üblichen Vortragsweisen, wie es Debussy vorschwebte, zu „Seis Canciones Castellanas“ von Jesus Guridi (1886-1961) über und danach mit dem temperamentvollen, rhythmisch punktierten „Tango in D“ (für Klavier solo) von Isaac Albeniz (1860-1909) mit pianistischem Können und exotischem Flair zu „Canción de Paloma“ von Francisco Asenjo Barbier (1823-1894) sowie „Cuando está tan hondo“ von Ruperto Chapí (1851-1909) und „De España vengo“ von Pablo Luna (1879-1942).
Mit besonderer Hingabe widmete sich die Garanča diesen Kompositionen spanischer Komponisten mit dem spezifischen Kolorit und den typischen, rhythmisch pointierten Besonderheiten und Verzierungen, „ausgefeilt“ bis in jedes Detail, bestens vertraut mit der spanischen Diktion und mit Seele, Herz und Temperament dabei. Auch wenn man die spanisch gesungenen Texte (mangels Sprachkenntnissen) nicht unbedingt verstand, wurde man durch ihren inhaltsstarken Ausdruck unwillkürlich mit hineingezogen in diese exotisch anmutende Welt.
Für den enthusiastisch Beifall des Publikums bedankte sich die Garanča mit ihrem Begleiter dann doch mit drei Zugaben aus der Welt der Oper, der bekannten Arie „Die Liebe hat bunte Flügel“ aus einer ihrer Paraderollen, der „Carmen“ von Georges Bizet und „Väterchen, teures, höre“ aus „Gianni Schicchi“ von Giacomo Puccini sowie einer temperament- und humorvollen Zarzuela. Es war ein Abend, der allen, die das Glück hatten, dabei sein zu können, lange im Gedächtnis bleiben wird.
Ingrid Gerk