COBURG: ORPHEUS IN DER UNTERWELT
am 20.12.2016 (Werner Häußner)
Im trauten Heim: Ana Cvetkovic-Stojnic als Eurydike, David Zimmer als Orpheus. Foto: Henning Rosenbusch/Landestheater Coburg
Zeit für Umsturz: Die Verhältnisse sind wirklich bedrückend. Im engen Kasten lebt Eurydike, ihr Kleid hat schon das Muster des Lagers ihrer Langeweile angenommen. Und ihr Gatte Orpheus fidelt im Tarnanzug, gestreift wie die Tapete dieses Bunkers der Fadesse. Nur der Horizont, ein sattgelbes Feld, verheißt Freiheit und Abenteuer. Dort wirkt der Schäfer Aristeus mit seinen Laubsägearbeits-Tieren. Eine Enttäuschung auch er – das wird der genervten Frau aber erst später bewusst.
Kristopher Kempf hat in Coburg gleich Zeichen gesetzt: Seine stets fantasievollen Kostüme korrespondieren mit Farben, Formen und Signalen der Bühne, ironisieren die Figuren oder geben dezent-frivole Hinweise auf historische und mythologische Sachverhalte. Denn Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ ist für ein Publikum mit höherer humanistischer Bildung geschrieben. So ohne weiteres sind die Anspielungen auf den olympischen Götterhimmel mit seinen vielfältigen kulturgeschichtlichen Assoziationen nicht zu verstehen. Und die Seitenhiebe, die Offenbach und seine Librettisten Hector Crémieux und Ludovic Halévy der Gesellschaft ihrer Zeit versetzen, sind historisch verankerter Humor, der heute nur mit erheblichem historischem Rechercheaufwand nachvollziehbar ist.
Die Aktualität der Operetten Offenbachs war damals ihre Stärke und ist heute ihr Problem. Aktualisierung ist das Gebot der Stunde – aber dessen Erfüllung krankt fast immer. Zwischen ratloser Langeweile, pädagogischem Zeigefinger, miesepetrig intellektueller Humorlosigkeit und überdrehter Lustigkeit gibt es alle Spielarten missglückter Operationen guten Willens. Auch der Coburger Regisseur Ansgar Weigner, in vielen Inszenierungen als ein überlegt und solide arbeitender Musiktheatermann aufgefallen, versucht, Juno und Jupiter für die Gegenwart zu retten. Er bastelt eine Art kapitalismuskritische Geschichte um eine Pluto GmbH, deren Produkte das agile Coburger Ballett in der Unterwelt in Kartons verpackt virtuos umherschleudert (Choreographie: Tara Yipp). Was drin ist, erfährt man allerdings nicht, ebenso wenig, warum der mit veritablem Ekelpink beanzugte Pluton dazu Madame Eurydike ver- und entführen musste. Also gut, der Kapitalismus wurde in der Hölle erfunden, während oben die unzufriedenen Götter gefragt werden, ob sie den „totalen Olymp“ haben wollen. Begrenzt lustig.
In der Unterwelt: Ana Cvetkovic-Stojnic als Eurydike, Thorsten Köhler als John Styx. Foto: Henning Rosenbusch/Landestheater Coburg
Weigners Inszenierung lahmt bei so mancher Pointe, in so manchem betulichem Bewegungsablauf, aber sie funktioniert zumindest stellenweise. Die Bühne trägt dazu entscheidende Elemente bei, etwa wenn der weite Horizont, den Pluto, alias Aristeus, verheißen hatte, zur Fototapete degeneriert, die der wieder eingekastelten Eurydike keine Rettung aus der diesmal unterirdischen Langeweile verspricht. Das vermag auch der gewesene Prinz von Arkadien nicht: John Styx gespenstert als hohläugiges, kalkbleiches Schattenwesen durch die bunte Welt der Hölle und erklärt, er sei, bevor ihn der Konsum umgebracht habe, nicht immer Werbeträger gewesen. Thorsten Köhler macht aus der skurrilen Figur eine wunderlich überdrehte Studie und bringt auch eine anständig gelagerte Stimme mit.
Zu guter Letzt überziehen die Götter das Weiß ihrer süffisant anspielungsreichen Kostüme mit dem Farbenspektrum der Unterwelt und lösen Konflikt und Revolution, Schein und Sein im Wirbel des Can-Can-Finales auf. Dann sind schale Scherze und holprige Pointen in der Reaktion der Figuren aufeinander vergessen. Alexander Merzyn, der die reizende Ouvertüre Carl Binders zum Glück, wenn auch mit ein paar sonderbaren Tempi, spielen lässt, gibt dem Coburger Philharmonischen Orchester richtig Zunder. Der Höllentanz kracht und scheppert im reizenden Neubarock des Landestheaters, als zünde Pluto gerade eben alle Breitseiten seiner widersittlichen Geschützbatterien. Das Blech verrät herrlich vordergründig seine Majestät an den Rhythmus. In diesem dynamischen Wirbel hat auch die gallige „Öffentliche Meinung“ – Gabriela Künzler spielt Alt und Alter gekonnt aus – nichts mehr zu melden. Zuvor gab es geschliffene Violinen und sauber schmeichelndes Holz; ein schön schmachtendes Cello und markant geschnittene rhythmisch betonte Phrasierungen: dem Coburger Orchester ist ein Kompliment zu machen.
Die Sänger versuchen, opernhafte Schwere zu vermeiden – außer, wenn es um die Persiflage auf meyerbeerische Tableaus oder saint-saeneske Staatsakte geht. Ana Cvetkovic-Stiojnic ist eine leichtstimmige, aber durchsetzungsfähige Eurydike, David Zimmer ein rollengerecht etwas verquälter Orpheus, der – wen wundert’s – richtig frei klingt, wenn er die jungen Damen des Konservatoriums „unterrichtet“. Dass Pluto von allen Feuern durchgeglüht ist, nimmt man Dirk Mestmacher auf der Stelle ab; auch Salomón Zulic del Canto als sein Pendant über der Wolken ist, ob mit gewaltigem Geweih oder gierigen Fühlern, ein durch und durch durchtriebener Göttervater. Seine drei aparten Göttinnen, die jede auf ihre Weise ihre amourösen Dinger drehen, stehlen im stimmlich beinah die Schau: Venus (Emily Lorini), Cupido (Nadja Merzyn) und Diana (Anna Gütter) wetteifern um den strahlendsten Ton. Dem will auch Cora Pavelic als resolute Göttermutter Juno nicht nachstehen. Sascha Mai macht aus Merkur eine markante Studie; der Chor des Landestheaters ist spielfreudig bei der Sache und lässt sich auch vokal nicht lumpen.
Werner Häußner
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