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COBURG: NORMA

03.12.2015 | Oper

COBURG: NORMA am 2.12.2015  (Werner Häußner)

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Foto: Theater Coburg

Von Vincenzo Bellinis „Norma“ hat es im letzten halben Jahrhundert nur rund zwei Dutzend Inszenierungen in Deutschland gegeben. Für ein anspruchsvolles Meisterwerk dieser Kategorie nicht eben viel. Große Häuser beschränkten sich vor der Jahrtausendwende auf gelegentliche konzertante Aufführungen mit eingekauften Stars. Jorge Lavellis Inszenierung 1983 in Bonn, als „Lastwagen-Norma“ bekannt geworden, erlöste mit der stimmlich anfechtbaren, szenisch aber mitreißenden Mara Zampieri in der Titelrolle die Oper aus dem Ruch des bloßen Primadonnenvehikels. Die Stuttgarter „Norma“ des Teams Jossi Wieler und Sergio Morabito legte dann 2002 in einer bis ins Letzte durchdachten Inszenierung das Potenzial dieses Belcanto-Schlüsselwerks endgültig frei. Fortan konnte sich niemand mehr hinter dem – früher schon mehr als zweifelhaften – Argument szenischen Ungenügens verschanzen. „Norma“ war vor den Verächtern des bloßen Schön- und Ziergesangs ebenso gerettet wie vor den Adepten eines möglichst querständigen Regietheaters.

Inzwischen gehört Bellinis „tragedia lirica“ wieder zum (erweiterten) Repertoire. Gabriele Rech hatte sie im Januar 2015 in Wiesbaden als Tragödie einer Mutter gedeutet, die um eine Jüngere verlassen wird und sich allmählich selbst zerstört. In Coburg hat sich Regisseurin Konstanze Lauterbach eher in die politische Linie gestellt: Bei ihr ist Norma Führerin einer militanten Widerstandsgruppe in einem aktuellen Krieg. Die Bühne von Karen Simon – die Kostüme besorgte die Regisseurin selbst – öffnet sich auf Bohrtürme im Hintergrund; während der Ouvertüre herrscht hektische Betriebsamkeit. Gefesselt an das Eisengestell eines Förderturms wird ein Mensch ausgepeitscht. Später, vor der Cabaletta von Normas großer Szene, sollte sich das Gitter des Gerüsts wie eine Gummifessel um die Menschen legen: Niemand entkommt dem Netz der Gewalt.

Lauterbach zeigt auch Normas private Welt als höchst gefährdet, immer bedroht vom Einbruch von außen. Ihr Bett dient als Versteck für die Kinder, die mit hölzernen Spielfiguren – halb Soldat, halb Monster – ihre Umwelt nachstellen. Im Duett zwischen Norma und Adalgisa findet die Regisseurin großartig verdichtete Momente der Intimität. Erhellend auch ihr szenisch ausgeformter Blick auf das ambivalente Verhältnis Normas zu den Kindern, die sie einmal liebevoll als eigene, dann wieder voll Widerwillen als diejenigen des Verräters ihrer Liebe, Pollione, wahrnimmt.

Doch im Lauf des Abends wirkt Lauterbachs Methode, jeden Satz, jede musikalische Wendung szenisch zu kommentieren, nicht mehr erschließend, sondern weckt nur noch Überdruss. Schon beim bloßen Wort „rimembranza“ rennt Norma um den Tisch, um ein Bild in die Hand zu nehmen. Adalgisa ist gezwungen, ihre erleichterte Freude über Normas Verständnis durch spastische Zuckungen auszudrücken. Reflektiert Norma am Beginn des zweiten Aktes darüber, ob sie die beiden Knaben töten muss, schüttelt sie den einen der Schlafenden an der Schulter hin und her. Auch Clotilde, die aufmerksam agierende und schön singende Heidi Peters, darf auf einem Stuhl ein Tänzchen wagen. Im Umkreis des „guerra“-Chores überhöht sich die intensive Bewegungsregie zur Manie: Die gallischen Krieger bringen Erdhäufchen mit und reiben sich mit der Krume ein, Norma tanzt wie eine irre Elektra, kollektives Gliederzucken stellt sich ein. Ein Aktivismus, der sich verdächtig macht, der „magischen Kraft des Singens“ – im Programmheft zitiert – zu wenig zuzutrauen.

Das ist schade, denn Lauterbach lässt in vielen Details – etwa auch der Ausstattung – erkennen, wie eingehend sie sich mit dem Stück befasst hat. Etwa, wenn sie mit dem Symbol der Irminsul – als Weltenbaum interpretiert – auf den Abzeichen und Fahnen der Rebellen, aber auch auf dem mit Blattwerk dekorierten Umhang der Norma arbeitet. Oder wenn sie die „casta diva“, die Mondgöttin, als statuenhafte dünne junge Frau visualisiert. Auch das problematische Finale überzeugt, wenn der Scheiterhaufen mit schwarzen Müllsäcken geschichtet wird und im Hintergrund die Silhouette eines Kampfhubschraubers wächst.

Der Coburger „Norma“ ist zugute zu halten, dass sie die Inszenierbarkeit von Bellinis Oper nachhaltig unterstreicht. Und musikalisch sorgt Coburg für eine spannende Überraschung: Gespielt wird nämlich Musik, die Richard Wagner 1839 in Riga für eine Benefizvorstellung komponiert hat. Die Bass-Arie für Oroveso „Norma il predisse, o Druidi“ geht weit über ein Einlegestück hinaus, gibt dem Vater Normas einen aggressiven Zug und setzt die Opposition gegen die eigentlich friedenswillige Priesterin in ein schärferes Licht. Wagner verleugnet seine Handschrift nicht, kann sie aber bewundernswert an die variable Melodik und die langen Phrasen Bellinis anpassen. Felix Rathgeber singt dieses Paradestück.

Roland Kluttig dirigiert diese Wagner-Trouvaille mit der Emphase, die er auch der Partitur Bellinis angedeihen lässt. Anfechtbar sind manche Tempi: Dem Moment der Verklärung in der Ouvertüre gibt er nicht den Raum zum Atmen, manche Phrasen hackt er ab, an einigen Stellen treibt er das Orchester vor Einsatz der Sänger zu seltsamen Accelerandi an. Auf der anderen Seite zeigt sich Kluttig aufmerksam beim Atmen mit den Sängern, lässt den zupackend kriegerischen Aspekt der Bellini’schen Marschrhythmen ungeschminkt zu, kennt auch lyrische Innigkeit, etwa in den schimmernden Celli im Duett Norma-Adalgisa im ersten Akt. Im Orchester des Landestheaters wechseln sich Licht und Schatten ab: Es gibt glückliche Momente runden, ausbalancierten Klangs, dann aber auch plumpe Bläser, ungeschliffene Phrasierung, trübe Intonation, knallige Dynamik.

Für die beiden weiblichen Hauptpartien kann sich Coburg mit einer vorzüglichen Besetzung schmücken: Die Amerikanerin Celeste Siciliano, hierzulande noch unbekannt, hat vor zwei Jahren in Coburg ihr Europa-Debüt mit Amelia in „Un ballo in maschera“ gegeben, aber in USA, etwa am New York Opera Forum, schon große Partien Verdis, Puccinis und Wagners gesungen. In Wien hatte sie bisher einen Aufritt bei einem Konzert 2012.

Siciliano zeichnet sich aus durch eine untadelige Atemführung in „Casta Diva“, einen imposanten, aus sicherer Stütze entwickelten Ton, geschmackvolle Phrasierung und eine sichere Koloraturtechnik. Ihr Vibrato ist schneller als gewöhnlich und anfangs etwas hart; im Lauf des Abends beruhigt es sich zu ruhigem, stetigem Schwingen. Nicht ganz locker, aber in keinem Augenblick gefährdet, sind die aufsteigenden Tonreihen der Cabaletta. Siciliano ist dabei nicht nur eine szenisch bewegliche, sondern auch eine vokal flexible, überzeugende Gestalterin.

Gleichrangig ihr zur Seite muss Kora Pavelić genannt werden: Ihr edel timbrierte Mezzo fällt nicht nur durch einen traumhaft sicheren Sitz auf, sondern zeigt sich in vollem, ebenmäßig gebildetem Ton als ein Instrument einer ausdrucksvollen, sensiblen Gestaltung der Partie. Die Duette der beiden Frauen sind energiegeladenes, glanzvolles Singen. Milen Bozhkov kann, was die Anlagen seines Tenors betrifft, mühelos mithalten. Er bemüht sich als Pollione erfolgreich um lockeres, entspanntes Singen und die druckfreie Bildung eines strahlenden, leicht metallisch gefärbten, präsenten Tons. Stilistisch lenkt er Bellinis unsympathischen Römer eher in Richtung eines robusten, lautstark veristischen Singens. Mehr Mut zu beherrschten Tönen würde der leuchtkräftigen Stimme keinen Abbruch tun.

Ihm zur Seite steht der Flavio von David Zimmer mit einem beherrschten, klug geführten Tenor, der
für die kommende Partie des Fenton in Nicolais „Lustigen Weibern“ ein reizvolles Versprechen ist. Der von Lorenzo da Rio einstudierte Chor wird auf der Szene und in der Musik stark gefordert und schultert die doppelte Bürde problemlos. Dass Coburg ausgerechnet mit „Norma“, an der man schon große Häuser scheitern sah, viel Ehre einlegen kann, zeugt von der Solidität, mit der das Haus im nördlichen Zipfel Bayerns immer wieder für sich einnehmen kann. Man möchte Mozarts „Don Giovanni“ zitieren – aber im Gegensatz zum Original nicht in ironischer Einfärbung: „Bravi, bravi, arcibravi!“

Werner Häußner

 

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