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COBURG: LAKMÉ von LEO DELIBES – Premiere

11.05.2016 | Oper

COBURG: LAKMÉ von LEO DELIBES – Premiere am 8. 5.2016 (Werner Häußner)

 Blauhelme im Bilderbuch-Indien: Am Landestheater Coburg versucht sich François de Carpentries an Leo Délibes einstigem Erfolgsstück „Lakmé“, bleibt aber mit seinem Versuch, aus dem Exotismus von 1883 eine Zustandsbeschreibung kultureller Zusammenstöße der Gegenwart zu gewinnen, in den hübsch gefertigten Bildwelten von Andreas Beckers Bühne und Karine van Herckes Werbeprospekt-Kostümen hängen. Auch die Attacke der UN-Soldaten (!), die im Finale mit Maschinengewehrsalven alles niedermähen, bringt der Inszenierung kein Konzept. Und das, obwohl der belgische Regisseur jeden Strohhalm des Librettos auf der Basis eines einst berühmten Romans von Pierre Loti nutzt, um sich im Meer der Sentimentalität über Wasser zu halten und das rettende Ufer einer heute wieder virulenten kulturellen Differenz zu erreichen.

Wären da nicht die bunten Sari-Stoffe, die gefalteten Hände und die stilisierten Tanzbewegungen aus der Touri-Show (Choreographie: Daniel Cimpean) – Carpentries hätte möglicherweise eine Chance gehabt. Er zeigt, dass die Hermetik des Dschungeltempels, in dem der ins Gestern verbohrte Brahmane Nilakantha seine Tochter Lakmé vor allen Blicken verborgen hält, von innen heraus ausgehöhlt ist: Sobald der Alte weg ist, bauen die Mädchen den Filmprojektor aus, packen das europäische Kleidchen aus und schauen mit großen Augen auf die Zelluloid-Dokumente der Welt da draußen.

Die lässt auch nicht lange auf sich warten, sondern dringt ohne Rücksicht und Respekt von außen durch den Bretterverschlag, mit dem das Heiligtum abgeschirmt ist. Die englische Teegesellschaft um die Besatzungssoldaten Gérald und Frédéric – jetzt sind wir in der Zeit um 1950 – schert sich nicht um Tabus oder kulturelle Unterschiede: Eine der Damen legt kokett die Kleidung ab, der religiös bedeutungsvolle Schmuck der Priesterin wird begutachtet und abgezeichnet, damit man ihn nachahmen kann. Totenschädel stören nicht bei der Tasse Tee. Und man schwadroniert über die indischen Frauen, die ohne die europäischen moralischen Vorbehalte „ohne Vertrag“ lieben und leben, nur um „zu bezaubern“ – natürlich die Männer, die sich lustvoll ihren sexuell getönten patriarchalen Fantasien hingeben.

Das alles ist nicht ohne Brisanz, obwohl das Libretto von Pierre Julien Gondinet und Philippe-Émile-François Gille daraus wenig mehr als den Rahmen einer prickelnden, mit dem Reiz des Fremden spielenden Liebesgeschichte macht. Immerhin trägt Délibes‘ Musik den affirmativen Duktus nicht ganz mit: Den Engländern unterlegt er eine betont oberflächliche Musik, deren Offenbach-Anklänge nicht zufällig sein dürften.

Aber dabei bleibt es: Felix Rathgeber kann mit substanziell ordentlichem, aber in der Höhe bemüht engem Bass die Figur des strenggläubigen Nilakantha, der zum Terroristen wird, nicht beglaubigen, wenn er mit theatralisch erhobenen Armen seine „vengeance“ beschwört. Das Ende mit seiner an „Carmen“ erinnernden Konstruktion ist schwach motiviert und wird von Carpentries inszenatorisch zu wenig geschärft.

Musikalisch braucht sich das Landestheater Coburg allerdings nicht zu verstecken: Alexander Merzyn ist einige Male mit überlegt gestaltenden Dirigaten aufgefallen und überzeugt mit dieser „Lakmé“ wieder. Das anfangs noch steife Orchester spielt sich zunehmend warm, folgt den geschmeidigen chromatisch aufgeladenen Linien der stets gefälligen Musik Délibes‘, spielt locker mit den Schlangenbeschwörer-Melismen, mit aparten instrumentalen Effekten, auch mit den lichtvoll gefassten Ausbrüchen musikalischer Dramatik. Man mag Délibes‘ elaborierte Feinheit für eine parfümierte Petitesse halten, sei aber an das Wort Paul Valérys erinnert, dass nichts so tief wie die Oberfläche sei.

Die „Zugstücke“ der Oper waren einst, als es noch Wunschkonzerte gab, das Duett des ersten und die „Glöckchenarie“ des zweiten Akts. Ana Cvetković-Stojnić, seit 2014 am Landestheater, setzt nach Violetta („La Traviata“), Musetta („La Bohème“) und Sophie („Der Rosenkavalier“) mit dieser anspruchsvollen, auch dramatisch ausgreifenden Koloraturpartie einen Glanzpunkt in ihrer Karriere. Sie vermeidet jede Schärfe, führt ihren lyrischen Sopran gleichmäßig und geschmeidig, nutzt die Acuti und die „exotisches“ Vokalisen und Verzierungen nicht als Effekt.

So porträtiert Cvetković-Stojnić ein Mädchen, das staunend und erschrocken mit ihrer Umwelt und mit völlig fremden Menschen konfrontiert, seelisch reift. Das Schausingen, zu dem Nilakantha seine Tochter zwingt, formt sie zum verinnerlichten Bekenntnis: Lakmé wird selbst zu besungenen „Tochter des Parias“, eine „Ausgestoßene“, die sich selbst aus der fest gefügten Welt ihrer hermetischen Jugend hinausbewegt, daran freilich scheitern muss. Auch das „Blumenduett“ des ersten Akts wird mit Verena Usemann als Mallika zum duftigen Gebinde ebenmäßig geführter Stimmen – letzte Selbstvergewisserung einer brüchig gewordenen Kultur, die nur noch als Traum zu fassen ist.

Der Gegenpart sind die sorglos dahinquatschenden Engländerinnen: Anna Gütter (Ellen), Julia Da Rio (Rose) und Gabriela Künzler als die „komische alte“ Gouvernante Mistress Bentson. Milen Bozhkov zeigt in seinem kompakten Tenor wenig Sensibilität für die Welt, in die er eindringt und die ihm seinen „süßen Traum“ gewährt; die sensiblen Momente seiner Partie gehen in einem eher veristisch geführten als französisch-elegant geformten Singen unter. Weniger Ausstellen der Stimme wäre mehr gewesen. Jiri Rajniš kann als mahnendes Gewissen an europäische Soldatenehre gut mithalten; Dirk Mestmacher lässt sich als Hadji nicht verführen, seinen angenehm leichten Tenor künstlich zu verdicken.

Kurz nach der Premiere am 8. Mai wurde bekannt, dass Intendant Bodo Busse – vorerst ohne Angabe von Gründen – mit Ende der kommenden Spielzeit im Juli 2017 Coburg verlässt; gemunkelt wird von einem Sprung an ein größeres Haus. Mit dieser „Lakmé“ hat er eine anregende Spielplan-Entscheidung getroffen, die bei einer profilierteren Inszenierung für die Rezeption von Délibes‘ Oper einen Impuls hätte setzen können. So bleibt der Hinweis auf ihren unüberhörbaren musikalischen Reiz, der auch die Coburger Aufführung nobilitiert hat.

Werner Häußner

 

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