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COBURG: DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR

10.01.2016 | Oper

COBURG: DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR am 8.1.2016 (Werner Häußner)

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Sinfonia grotesca in Rosa. Der erste Akt von Nicolais „Lustigen Weibern“ in Coburg mit Frau Reich (links, Gabriela Künzler in der Premierenbesetzung) und Frau Fluth (Anna Gütter). Foto: Landestheater Coburg/Andrea Kremper
 

Es ist die Farbe der Sofas in „Home & Garden“-Zeitschriften, es ist der Ton von Kostümen der Queen, es macht Himbeerpudding appetitlich und Püppchen klischeekompatibel: Dieses Rosa ist so herrlich widerlich, dass man einfach immer nur hingucken muss. Auf die sattrosa Gaslaterne in der Mitte der Bühne, auf die überkitschten Pastellfarben der Fassaden, auf die quietschigen Rosatöne der waghalsigen Kostüme von Sven Bindseil: Coburgs Neuinszenierung von Otto Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“ ist ein köstlicher Alptraum in einer Farbe, bei der selbst ein dosierter Einsatz manchmal schon zu üppig ist.

Aber Coburg denkt nicht daran, sich zu beschränken, im Gegenteil: Vor und in Tapeten mit rosa Röschen auf pastellblauem Grund will die Geschichte vom amourösen Scheitern des dicken Ritters Sir John Falstaff im Kitsch ertrinken, zieht sich aber immer wieder mit feinsinniger Ironie oder hinterlistigem Humor selbst aus der rosa Brühe. So virtuos wie Friedrich Eggerts Bühne mit Facetten des „Englischen“ spielt, so gekonnt färbt Aron Stiehl seine Inszenierung mit feinen grotesken Schraffuren, aber auch pastos aufgetragener Kalauerei.

Der Kunstgriff aber, der den Coburger Abend zu einem der amüsantesten weit und breit macht, ist die hintersinnige Distanzierung: Würde Stiehl die Geschichte einfach so erzählen, wäre der Überdruss programmiert. Tut er aber nicht. Er streicht so gut wie alle Dialoge und führt einen Conferencier ein – aber nicht als Behelf, wie manchmal, wenn die Sänger nicht sprechen können, sondern als Stilmittel: Thorsten Köhler trägt nicht nur fast nestroyanisch anmutende stegreifphilosophische Erwägungen vor – etwa zur Frage nach „Windsor“ und „Coburg“. Er löst die handelnden Charaktere auch aus dem Spielzusammenhang, macht sie zu Figuren, denen die Distanz des Agierens stets anzumerken ist. Wie der Dämon der Bühne oder ein Maître de plaisir lockt er sie aus den Kulissen, stellt sie vor, disputiert mit ihnen, führt sie manchmal wie ein Marionettenspieler, manchmal wie ein Prinzipal eine quengelige Schauspieltruppe. So gewinnt das Stück durch den Verzicht auf die durchgehende Illusion einer Handlung, selbst wenn es im zweiten Akt etwas hopplahopp über wesentliche Erzählelemente hinweggeht.

In der Personenführung zeigt Stiehl Sinn für das ironische Detail, für die sanft skurrile Überspitzung, überdreht die Schraube aber nie. Witz und heit’re Laune kommen leichtfüßig herbei, wenn Frau Fluth ihre Arie am rosa Stehpult vorträgt wie eine Dozentin am Lehrstuhl für Gender-Studien – zuvor trug sie eine Art Spitzen-Hemdhose mit Bunny-Bommelchen. Frau Reich ist ganz üppig gewandete Lady mit leicht amerikanisch-exaltiertem Touch in Mimik und Gestik, während ihr Gatte mit Bowler und Schirm als seriöser Mittelklasse-Angestellter vors Reihenhaus tritt.

Fenton markiert durch Frisur, Nietengürtel und Lederjacke, dass er sich eher mit der Nigel-Kennedy-Richtung identifiziert, während seine Braut, die „thüße Anna“, der Erlösung aus ihrem rosa-blonden Kinder-Himmelreich harrt. Das versuchen, freilich vergeblich, auch Junker Spärlich – in kreischendem Kontrast in intensives blautürkises Schottenkaro gesteckt – und der mit Baskenmütze dem Franzosen-Klischee angenäherte und stets mit Baguette bewaffnete Dr. Cajus. Und der Ritter mit Gewichts-, Geld- und Alkoholproblemen? Der tritt zu den Fanfaren Otto Nicolais in militärischer Schottenrock-Kluft auf, ein komischer Fremdkörper in dem rosa Gesellschaftsgefüge. Großsprecherisch wird er im Pub, dem mit Martina Raab eine echte Coburger Wirtin vorsteht, ein leichtes Opfer der ersten Intrige des eleganten, eifersüchtigen Herrn Fluth. Man sieht: Sven Bindseils Kostüme sind für die treffsichere Wirkung von Aron Stiehls Humor-Konzept unerlässlich.

Ebenso unerlässlich ist jedoch ein Dirigent, der die unterschiedlichen Stillagen der Partitur Nicolais, ihre oft beschworene Mischung von deutscher Gründlichkeit und italienischer Leichtigkeit, aber auch ihre komisch-parodistische Tendenz zu erfassen weiß. Alexander Merzyn schafft das – und animiert das Coburger Orchester nach einem etwas zu steif und direkt musizierten Beginn die Kontraste auszuspielen, etwa zwischen dem stampfenden Rhythmus und der weit angelegten Kantilene im Verarbeitungsteil der Ouvertüre.

Die Arie „Nun eilt herbei“ wird gerne leicht und schelmisch gesungen, aber mit Anna Gütter als Frau Fluth arbeitet Merzyn heraus, dass sie auch als Parodie auf die Heroinen der Opern Konradin Kreutzers und Heinrich Marschners gelesen werden kann. Das gestelzte Accompagnato beim Auftritt von „Herrn Bach“ gelingt als köstliche Anspielung auf die alte opera buffa und den Leipziger Meister. Und beim Abtransport der alkoholisierten Leiber nach dem Wetttrinken des zweiten Akts erklingt sogar ein Motiv aus Marschners „Vampyr“. Die filigranen Streicher, die an Webers „Oberon“ und Mendelssohns „Sommernachtstraum“ erinnern, spielt das Coburger Orchester sorgfältig und leicht.

So bietet der Abend ein musikalisches Vergnügen, auch gestützt durch das engagierte Coburger Solistenensemble und den von Lorenzo Da Rio sauber einstudierten Chor. Selbst an großen Bühnen ist es nicht gang und gäbe, dass bis in die Nebenrollen hinein auf gleich respektablem Niveau gesungen wird. Man mag an technischen Grundsatzfragen Kritik üben, man mag bedauern, dass etwa David Zimmer (Fenton) nicht seinen besten Abend hatte: Das große Ganze überzeugte, weil der Eindruck bleibt, jeder auf der Bühne habe sein Bestes gegeben.

Das gilt für die beiden sich in List, Rache und einem köstlichen Opernduett á la Bellini vereinigenden Stimmen von Anna Gütter (Frau Fluth) und Kora Pavelic (Frau Reich); das gilt für Felix Rathgebers herrlich langweilig-seriösen Herrn Reich und sein Gegenstück, den cholerisch-eifersüchtigen, prächtig deklamierenden Herrn Fluth von Jirí Rajniš. Das gilt auch für den metallischen Glanz des Soprans von Ana Cvetkovic-Stojnic als Anna und die charaktervoll buffoneske Artikulation von Dirk Mestmacher als Junker Spärlich und Martin Trepl als Cajus. Michael Lion macht aus dem Falstaff ein Mannsbild in Saft und Kraft, unbeeinträchtigt von jedem Anflug eines Selbstzweifels, sei es aus Gründen seiner Figur oder seiner Fisimatenten. So regieren in Coburg Spielwitz und launige Heiterkeit und bescheren dem Landestheater und seinem Publikum einen Abend, wie er im komischen Genre heute nur selten so präzise, rund und vollauf überzeugend gelingt.

Werner Häußner

 

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