Elena Mosuc als Giselda vor dem Bühnenbild des 1. Bildes ( San Ambrogio in Milano)
29.09.2019 Cluj-Napoca,“ Kolozsvari Magyar Opera“ : „I Lombardi alla prima crociata“
Claudiopolis hieß zur Römerzeit das spätere Klausenburg , heute Cluj-Napoca, die Hauptstadt Transsylvaniens und nach Bukarest zweitwichtigste Universitätsstadt mit nahezu allen Fakultäten. Die beeindruckende Feier mit tausenden Studenten am Vormittag nach der Aufführung mit endlosem Einmarsch am zentralen Platz belegte dies nachhaltig. Neben Flugplatz und einem leicht an Gigantomanie grenzenden von 2009 – 2011 erbauten Fussballstadion , besitzt die 325.000 Einwohnerstadt mit circa 20 % Anteil an Ungarn auch zwei Opernhäuser: die rumänische Nationaloper ( das jetzige Gebäude wurde zwischen 1904 und 1906 von Hellmer und Fellner errichtet ) und die „Ungarische Nationaloper Klausenburg“ (Kolozsvari Magyar Opera) , zwar bereits Ende des 18.Jahrhunderts gegründet, deren eher nüchternes Gebäude aber erst 1959 erbaut worden ist.
An diesem Abend, der zweiten Aufführung der „Lombardi“, die drei Tage zuvor ihre rumänische Erstaufführung erfahren hatten, fand parallell dazu die Premiere von „Macbeth“ , immerhin mit Lucrezia Garcia und Sebastian Catana statt – unfassbar eigentlich, daß man nicht einen Tag hätte vor oder zurückrücken können, um die Möglichkeit zu geben ein kleines „Verdi-Fest“ zu erleben…
Nun sind diese „Lombardi“ , 1843 an der Mailänder Scala uraufgeführt und sein viertes Werk, nicht gerade einfach zu besetzen, da sie speziell an Sopran und Baß enorme Anforderungen stellen. Die Giselda ist mindestens so schwierig, wie die im Jahr davor entstandene Abigaille – von süßesten piano-Phrasen bis eruptiven Ausbrüchen wird der Protagonistin alles abverlangt – und der Pagano liegt relativ hoch ( auch Baritone, wie etwa einmal Carroli an der Scala ) , muss dann aber plötzlich auch über Töne eines „basso profondo“ verfügen. Wer ist da nun „protagonista vera“? Sopran oder Baß – ich habe darob schon Vertreter beider Fächer streiten gehört… Nun diesmal hatte die Sopranistin – zu Recht – die Nase vorne und den letzten Solo-Vorhang. Die seit Jahren zu den weltbesten Sopranen zählende Elena Mosuc, in Iasi in Ostrumänien geboren und nun in der Schweiz lebend, speziell in den großen Belcanto-Primadonnenpartien um den Erdball gefeiert, erweiterte hier ihr Repertoire und hat sich nun auch die Giselda angeeignet – und dies in beeindruckender Weise! Daß sie sich mit dem „Salve Maria“ wohl spielen wird, berückende Phrasen spinnen kann, war wohl „aufgelegt“. Aber dies ist ja nur der Anfang, und man war fasziniert über ihre differenzierte, intelligente Gestaltung, der auch quantitativ langen Partie. Ihr rund tönender, bronzener Sopran ist ein wenig dramatischer geworden ohne einen Funken an Flexibilität einzubüßen. Aufgrund ihrer stupenden Technik braucht sie in keinem Moment des Abends zu forcieren, nimmt die Anforderungen im 2. Akt ( „O madre del cielo … Se vano e il pregare“ ) und das Finale, wo höchste Attacke gefordert wird , bravourös und locker, alles überstrahlend. Spätestens da wusste man um den Triumph Bescheid, die Taufszene am Jordan wurde mit berückenden Bögen phrasiert, intensiv gestaltet, dann quasi als „Draufgabe“ ein mitreissendes „Non fu sogno“ und das Finale. Die Opernbühnen haben eine neue Giselda bekommen! Bravissima!
Doch dieser Stern glänzte durchaus in einem sehr guten Ensemble! Istvan Kovacs brachte für den bösen, am Ende geläuterten Pagano einen dunkel gefärbten Bass ein, der mit dem Tonumfang keine Probleme hatte, sowohl oben auftrumpfen, als auch unten „orgeln“, und mit guter Linienführung punkten konnte. Ein wenig mehr an Differenzierung und darstellerischer Autorität könnten ihn auch international in die erste Reihe seines Faches bringen. Der noch junge Adorjan Pataki war ein ausgezeichneter, glaubhaft agierender, sympathischer Oronte mit virilem Tenor, den er stets geschmackvoll geführt hat, ein klein wenig sollte er noch am Sitz der „acuti“ arbeiten, dann könnte er noch mehr reüssieren. Sorin Lupu ( er als Gast vom rumänischen Opernhaus ) gab den Vater Giseldas, Arvino, der nicht einfach zu singen ist, von Verdi nicht gerade mit besonders dankbaren Phrasen bedacht wurde, mit seinem Charaktertenor tadellos, Zsuzsa Barabas als seine Frau Viclinda komplettierte ohne Tadel, die Mutter Orontes, Sofia war bei der mütterlich-berührenden Judit Hary auch vokal bestens aufgehoben, Arnold Gergely war mit kräftigem Bass der rollendeckende Pirro, und Laszlo Manyoki ( Acciano) und Zsombor Retyl ( Priore) bewiesen, welch gute Kräfte dieses Opernhaus im Ensemble hat.
Als geradezu sensationell möchte ich den Chor des Hauses bezeichnen! Er erfüllte alle Kriterien punkto Stimmkraft, Diktion, Stil, Klangdynamik, Gesamteindruck auf das Allerbeste! Gratulation zu den engagierten Damen und Herren, die perfekt vorbereitet schienen – musikalisch wie auch szenisch, da jeder eine eigene Persönlichkeit kreiieren durfte. Chorleiter war hier gleichzeitig auch der Dirigent des Abends – Szabolcs Kulcsar ! Und dieser Mann hatte offensichtlich auch das klanglich perfekten Verdi-Klang produzierende Orchester präpariert. Noch dazu war er ein exzellenter Begleiter und Former des Abends, konnte einen spannenden Bogen über den gesamten Verlauf der Aufführung spannen, nahm meist zügige, aber nie verhetzt wirkende tempi – der zweite besonders große Pluspunkt der Aufführung!
Der aus Ungarn stammende und nun in Wien lebende Csaba Nemedi hatte die Handlung in die Zeit von Verdis Tod verlegt. Zu Beginn kommt ein Zeitungsjunge mit der Nachricht des Todes des Maestro auf die bereits bevölkerte Bühne: alles erstarrt dann, und Giselda ( bzw. ihre Interpretin) erinnert sich und schlägt die Seiten eines überdimensionalen, die Bühne beherrschenden Buches auf … darauf werden die einzelnen Schauplätze andeutungsweise projeziert, die Handlung beginnt ( Bühne und Kostüme: Gilles Gubelmann). Speziell die Personenführung – nicht nur der Solisten, auch des Chores – wie bereits zuvor erwähnt – ist zu loben, man durfte erleben, daß Nemedi sein Konzept voll aus dem Werk und der Partitur entwickelt hat, und davon sehr viel versteht ( Leider heute ja keine Selbstverständlichkeit mehr… ) !
So konnte man einer ausgezeichneten Vorstellung beiwohnen, die auch großen Jubel hervorrief, wo alle gefeiert wurden, natürlich speziell auch die Primadonna. Als besonderes „Schmankerl“ sei noch erwähnt, daß zum Zustandekommen dieser Produktion auch der ungarische Staat einen finanziellen Beitrag geleistet hat! Ein Besuch in dieser interessanten Stadt – mit unzähligen Kirchen der verschiedenen christlichen Religionen – und speziell dieses Opernhauses kann ich nur wärmstens empfehlen!
Michael Tanzler