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CHRISTOPH ESCHENBACH: „Routine ist ein Tabu“

22.08.2022 | Dirigenten

CHRISTOPH ESCHENBACH IM GESPRÄCH MIT DIRK SCHAUSS

Im Rahmen des diesjährigen Rheingau Musik Festivals gelang es unserem Redakteur dirk Schauß, den Dirigenten Christoph Eschenbach für ein Interview zu gewinnen.

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Christoph Eschenbach. Foto: Dirk Schauß

 

DS: Hr. Eschenbach, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, um mit mir nach diesem fulminanten Konzert (à https://onlinemerker.com/wiesbaden-kurhaus-friedrich-von-thiers-saal-orchester-schleswig-holstein-musikfestival-christoph-eschenbach-sean-shibe-gitarre-dvorak-rodrigo/)  zu sprechen.

 

Wie geht es Ihnen nach dieser Erfahrung?

 

CE: Es geht mir wunderbar! Diese jungen Leute im Orchester inspirieren mich so sehr und natürlich tue ich auch mein Bestes, dass ich sie inspiriere, auch wenn wir nur eine kurze Probenzeit hatten. Es waren lediglich drei Tage. Ganz erstaunlich, was sie in dieser knappen Zeit gelernt, emotional erfasst und umgesetzt haben. Ja und schlussendlich, wie sie dann gespielt haben. Das ist schon enorm.

 

DS: Das stimmt. Mir fiel besonders die ausgeprägte Sonorität in den Streichern auf. Auch eine wahrnehmbare Risikofreude im Spiel. Dieser ganze Konzertabend wirkte auf mich wie ein Ja mit Ausrufezeichen zum Leben.

 

CE: Ich habe dem Orchester gestern bei einer kleinen Abschiedsrede gesagt, wenn sie einmal in einem großen Orchester Mitglied sein sollten, dass es ein Tabu gibt, und das ist Routine. Ich habe ihnen gesagt, wie wichtig es ist, sich nicht von Routine beeinflussen zu lassen. Passion und Inspiration müssen immer das musikalische Geschehen bestimmen. Musik muss vollfüllen, dass sollte jeder Musiker in sich spüren und weitergeben. Gerade in dieser verrückten Zeit, in der wir leben, sind positive Impulse dieser Art äußerst wichtig.

 

DS: Ein Austausch von Energie, geben und nehmen.

 

CE: Genau. So ist es.

 

DS: Das ist bei Ihnen immer spürbar. Jedes Konzert ist ein Unikat.

 

Sie haben eine ausgeprägte Affinität zu Dvorak.

 

CE: Oh ja, natürlich.

 

DS: Die Karneval Ouvertüre ist inzwischen ein treuer Begleiter Ihrer Konzerte geworden.

 

CE: Ich mag dieses Stück sehr gern. Es ist großartig, gerade als Eröffnung eines Konzertes. Es ist mitreißend und spektakulär, sehr gut komponiert.

 

DS: Haben Sie auch die beiden anderen Ouvertüren (In der Natur und Othello) dieser Trilogie dirigiert?

 

CE: Ja.

 

DS: Es wäre spannend, alle drei Werke als Zyklus zu hören, da diese ja auch durch die Leitmotive miteinander verbunden sind.

 

CE: Tatsächlich wollte ich das immer schon einmal machen, aber es hat bisher nicht funktioniert. Ich werde es aber noch nachholen, denn schließlich gehören die drei Ouvertüren zusammen. Ein Lebensbild.

 

DS: 2022 müsste für Sie ein besonderes Jahr sein. Als Dirigent haben Sie „goldene Hochzeit“. Es war 1972, da standen Sie als Dirigent erstmals in einem Konzert vor einem Orchester und dirigierten in Hamburg die 3. Symphonie von Anton Bruckner.

 

Können Sie sich noch daran erinnern, wie es Ihnen damals erging?

 

CE: Oh ja, ganz genau. Damals wollte ich unbedingt dirigieren und mich ausprobieren. Es gab ein neu gegründetes Orchester, basierend auf den Hamburger Symphonikern und ergänzenden Studenten. Ich liebte Bruckner sehr und hatte mir daher ein Werk von ihm gewünscht. Daran denke ich oft und gerne zurück.

 

DS: Erging es Ihnen seinerzeit so, dass Sie ein Gefühl von „Ich bin angekommen“ hatten?

 

CE: Ja, durchaus.

 

DS: Bestand nie eine Konkurrenz zwischen dem Pianisten und Dirigenten?

 

CE: Nein. Ich hatte bereits eine internationale Pianisten Karriere, aber ich fühlte mich zunehmend einsam und allein. Ich wollte mit anderen Musikern Musik machen und das war auch ein Grund, dass ich zum Orchester gefunden habe.

 

DS: Was mir heute Abend aufgefallen war, dass Sie ein singender Orchestrator sind. Alles, was Sie musizieren hat eine ausgeprägte Kantabilität in breiter Phrasierung. Vor allem im Adagio des Gitarrenkonzertes von Rodrigo war das offensichtlich. Eine Art Sängerwettstreit zwischen Solisten und Orchester in der Reduzierung von Effekt zu Gunsten von Innigkeit.

 

CE: Sie sagen etwas, was mir sehr wichtig ist: Phrasierung und Kantabilität. Ich sage sehr oft zu den Musikern: „Singt, singt!“ Vor allem zu den Streichern, aber auch zu den Bläsern.

 

DS: Wenn Sie auf Ihre lange Karriere als Dirigent zurückschauen, das ist auch eine große Entwicklungsstrecke, was hat sich da für Sie am deutlichsten verändert als Dirigent?

 

CE: Aus Tätigkeit ist Erfahrung geworden. Meine Klavierzeit hat mir dabei sehr geholfen. Wenn ich als junger Mann Schubert Sonaten gespielt habe, dann hat mir das später bei den Dirigaten von Bruckner Symphonien sehr geholfen.

Apropos Kantabilität und Phrasierung, meine Arbeit mit Dietrich Fischer-Dieskau war hier eine zentrale Erfahrung.

Und meine Mutter, die Sängerin war. Als ich 12 war, habe ich mit ihr Lieder von Schubert und Schumann musiziert. Die Erfahrung, immer wieder dem Gesang zu begegnen hat mir sehr viel geholfen und gegeben.

 

DS: Hat sich Ihr Stil als Dirigent im Laufe der Zeit verändert?

 

CE: Ich glaube, dass es nicht so war. Ich habe immer versucht, ich selbst zu bleiben. Natürlich verändern sich Auffassungen von Tempi im Laufe der Zeit. Letztlich kann ich es selbst nicht so beurteilen, aber ich fühle mich wohl, wie es ist.

 

DS: Sie haben ein sehr großes Repertoire, aus welchem sich Schwerpunkte ergeben haben. In jüngerer Zeit haben Sie sich sehr für Schostakowitsch engagiert. Und ich persönlich finde, dass Ihnen vor allem die fünfte und achte Symphonie besonders liegen.

 

CE: Oh ja, das stimmt.

 

DS: Werden Sie weitere Symphonien von Schostakowitsch einstudieren?

 

CE: Die drei letzten Symphonien, vor allem die dreizehnte Symphonie „Babi Yar“, die sehr unter die Haut geht.

 

DS: Jetzt sind Sie noch eine Spielzeit in Berlin als Chefdirigent des Konzerthausorchesters. Wie geht es danach für Sie weiter?

 

CE: Ich habe jetzt ein dänisches Orchester übernommen, die Philharmoniker Kopenhagen, die über ein enormes Repertoire verfügen. Ich habe in der Vergangenheit immer wieder Opern dirigiert, so dass ich mich künftig wieder stärker diesem Genre widmen möchte.

 

DS: Welche Repertoire Wünsche haben Sie? Was möchten Sie noch gerne machen?

 

CE: Joseph Haydn! Von seinen 104 Symphonien habe ich ca. zwölf Symphonien gemacht. Alle anderen seiner Symphonien sind für mich aber genauso wertvoll. Haydn wurde für mich in den letzten Jahren sehr wichtig.

 

DS: Und was ist Ihre Wunschoper als Repertoire Ergänzung?

 

CE: Lady Macbeth von Mzensk von Schostakowitsch, in der Urfassung. Ich war als junger Mensch fasziniert von der Erzählung von Leskov und seither bin ich seit meiner Kindheit damit verwachsen.

 

DS: Gibt es für Sie eine persönliche Überzeugung, ein Credo, was Sie durch Ihr bisheriges Leben geführt hat?

 

CE: Die Identifikation mit der Musik gab mir das Leben als ich als Kind fast gestorben bin. Die Musik hatte mich erweckt. Und dieses Gefühl blieb.

Wenn ich ein Konzert, so wie heute dirigiere, dann bin ich den ganzen Tag über damit verbunden. Da fühle ich mich ganz sicher.

 

DS: Die Musik hat sie gerettet und vitalisiert Sie bis zum heutigen Tag.

 

CE: Sie vitalisiert mich und rettet mich aus vielen Situationen. Und es gibt im Reichtum der Musik noch so vieles zu entdecken!

 

DS: Ich hoffe, Sie bewahren sich diese Energie und Freude. Ich wünsche Ihnen, dass die Gesundheit Ihnen treu bleibt.

 

CE: Klopfen wir auf Holz!

 

Dirk Schauß im August 2022

 

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