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CHRISTIAN THIELEMANN auf den Roten Sofa von Schloss Graupa

02.12.2018 | Dirigenten

Graupa/Schloss: IM GESPRÄCH: CHRISTIAN THIELEMANN

 – 30.11.2018

Ob Bayreuth, Salzburg oder Dresden, der Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Christian Thielemann, setzt Maßstäbe und engagiert sich, u. a. auch als Schirmherr der Richard Wagner Stätten Graupa (Stadt Pirna), seit vor 5 Jahren das ehemalige Jagdschloss und das „Lohengrinhaus“, wo Wagner seine Sommermonate verbachte, zu Museen  umgestaltet wurden, – ein schöner Anlass für ein Gespräch. Eigentlich wollte und/oder sollte er schon am 24.4. auf dem „Roten Sofa“ Platz nehmen, musste aber kurzfristig aus persönlichen Gründen absagen, weshalb damals Adrienna Pieczonka eingesprungen war (der Online Merker berichtete darüber). Jetzt stand er Moderator Michael Ernst, der schon einmal ein Gespräch mit ihm auf dem Theaterkahn in Dresden geführt hat, Rede und Antwort unter dem (für diese Veranstaltungsreihe ständigen) Titel „Wir müssen reden!“.

Obwohl in den darauffolgenden Tagen viel beschäftigt – am 2.12. war in der Semperoper Premiere von „Ariadne auf Naxos“ unter seiner Leitung – betrat er leicht und locker den Raum, nahm auf dem leuchtendroten Sofa Platz und plauderte locker und ernst über Interpretationsfragen und heiter über persönliche Begebenheiten. Völlig unkonventionell und ehrlich sprach er über sein Verhältnis zur Musik, zu bestimmten Komponisten und Projekten, mit denen er sich beschäftigt. Nachdem er bei Wagner, Bruckner und Schumann neue Maßstäbe gesetzt hat, geht es ihm jetzt um Richard Strauss. Trotz seiner hohen Ansprüche ist es möglich, mit der Sächsischen Staatskapelle Höchstleistungen bei Werken der unterschiedlichsten Komponisten zu erreichen, da dieses Orchester über einen „Mischklang“ verfügt, der von Bach bis hin zu Wagner und Strauss allen Anforderungen gerecht wird, und die Kapelle hat auch schon alles gemacht, selbst Operette, z. B. bei den Silvesterkonzerten.

„Es ist ein Opernorchester, das alles kann“. Es kann auf jeden Sänger reagieren, nicht nur hinsichtlich Tempo und Lautstärke. Der Dirigent muss immer abstimmen und auch „abdämpfen“. Es ist ein großes Glück für die Solisten untereinander und mit dem Orchester ein Ganzes zu bilden, einzeln aus dem Orchesterklang aufzutauchen, solistisch zu brillieren und wieder „einzutauchen“, „wie auf einer Perlenkette aufgereiht“. Die Opernqualitäten, z. B. „ein perfektes Rubato, können sich dann auch auf ein Konzert übertragen, weshalb ein Opernorchester noch besser Konzerte spielen kann als ein reines Konzertorchester“. Und er kann sich auf die Urteilsfähigkeit des Orchesters verlassen. „Wenn das Orchester einen Gast haben möchte, soll es ihn haben, denn es muss dann alles selbst ‚ausbaden‘ “. Wichtig ist, dass der Gastdirigent auch die deutsche Sprache kennt, vor allem bei Wagner, nicht nur wegen der sprachlichen Verständigung, sondern vor allem auch, um zu wissen, wie gesungener Text und Musik zusammenpassen.

Beethoven und Wagner haben Thielemann zu einer „Totalabhängigkeit“ gebracht. Zu Beethovens bevorstehendem Komponistenjubiläum plant er ein Buch über dessen Verhältnis zu der bei ihm immer wieder durchschimmernden Romantik und den sich wandelnden Klang an ausgewählten Beispielen. Früher dunkler, wurde der Klang allmählich immer heller. Beethoven hat das Tor zur Romantik weit aufgestoßen. Bei ihm ist die Grenze, weniger bei Brahms. Nächstes Frühjahr wird Thielemann die „Meistersinger“ in Salzburg machen, wo er schon vor zwei Jahren die historische „Walküre“ gebracht hat. Dafür hat er Georg Zeppenfeld ausgewählt, um dort zu debütieren, denn Salzburg ist der Dreh- und Angelpunkt für ganz Europa. So sehr er die gestandenen Sänger schätzt, möchte er auch etwas Neues machen.

Einstimmend auf die „Meistersinger“, wollte er unbedingt eine Aufnahme des „Vorspiels“ aus dem Kriegsjahr 1943 unter Wilhelm Furtwängler bringen – in keiner guten Tonqualität, mit sehr einfacher Aufnahmetechnik (nur 1 Mikrofon) und unter Spannung und leicht störenden Hintergrund-Geräuschen aufgenommen. In aus heutiger Sicht sehr langsamem Tempo hat Furtwängler aber die Musik in ihrer Vielschichtigkeit „ausgekostet“ und die Stimmung eingefangen. „Es liegt so viel darin, was den Leuten damals so durch den Kopf ging, von verhauchendem Zweifel und der Angst vor Bomben, obwohl es eigentlich ein Lustspiel ist“, was meist unterschätzt wird. „Das erschließt sich nur, wenn es nicht überzeichnet wird“.

Die Gestalt des Beckmesser verglich Thielemann mit der des „Prof. Unrat“ im Roman von Heinrich Mann, der nur infolge einer besonderen Situation und Emotion in eine missliche Lage gerät. Darin liegt die Komik. Er sollte nicht zu einer komischen Figur verzerrt werden, denn „er vergreift sich nur“ aus gegebenem Anlass. „Zum Schluss sitzt er wieder als Stadtschreiber an seinem Schreibtisch, hat drei Tage Kopfschmerzen und arbeitet weiter in seiner Funktion. Wenn er nur eine komische Figur wäre und nichts könnte, wäre er nicht Stadtschreiber geworden“ (Anmerkung: Wie ist das aber mit Wagners Verhältnis zu dem damaligen Kritiker-Papst Eduard Hanslick, für dessen Kritik sich Wagner angeblich mit dieser Gestalt, die ursprünglich ‚Hanslich‘ heißen sollte, rächen wollte oder zumindest seinen Frust abreagieren?).

Auch bei der Figur des Hans Sachs hat Thielemann Feinheiten entdeckt. Sie alle haben nach seiner Ansicht auch „etwas Pastelliges“ (wie das „Schokoladenmädchen“ von Liotard, das er immer wieder anführt), aber es gibt natürlich auch laute, kraftvolle Passagen. Bei der Oper ist ihm wichtig, dass das Stück so erzählt wird, „wie es sich gehört“ und nicht durch abwegige optische Eindrücke von der Musik abgelenkt wird. Deshalb hat er Werner Herzog als Regisseur für Salzburg gewonnen.

Lohengrin in Bayreuth mit Neo Rauch war ein besonderes Kapitel. Er kannte ihn vorher überhaupt nicht und lernte ihn erst bei einem Essen mit dem damaligen Sächsischen Ministerpräsidenten bei angeregter Unterhaltung kennen, woraus sich eine schöne Zusammenarbeit ergab. Auf Thielemanns Wunsch wurde der für den Gesang günstigere Rundhorizont wieder ins Bühnenbild eingebaut. Das ergab ein ganz anderes Dirigiergefühl. Trotz Regisseur-Wechsel und abspringendem Tenor gab es immer gute Laune und „Sonnenschein“. Wenn die Atmosphäre nicht gestimmt hätte, wäre es nicht gut geworden.

Eine historisch orientierte Aufführungspraxis stößt nach Thielemanns Empfinden sehr bald an ihre Grenzen, vor allem bei J. S. Bach. Dann leidet er bei seinem Sich-ganz in-die-Musik-hinein-Vertiefen – auch wenn er die Musik (nur) passiv erlebt – „weil es dann doch nicht geht“. Wagner hat sich bei den Instrumenten seiner Zeit die Haare gerauft und jetzt soll das das „Non-plus-ultra“ sein? „Der eine hat Rhythmus und Impuls, der andere die Stimmung“. Das sollte keine Wertung sein, aber man muss wissen, „wann das Gefühl mit einem durchgeht, auch wenn man weiß, dass die Musik früher komponiert wurde“.

So viel zur Plauderei „aus der „Werkstatt“. Auch Thielemann hat ein Privatleben, auf das er nicht gern verzichten möchte. Aufgewachsen ist er in (West-)Berlin in einem Elternhaus, wo Musik, zunächst Schallplatten, später auch Konzerte einen hohen Stellenwert hatten. Die Eltern musizierten, und er sollte und wollte dazugehören, ohne Zwang. So ist er ganz natürlich zur Musik gekommen, auch zu Wagner – durch den „Tristan“-Schock. Er hat auch Thomas Mann gelesen und viel dabei entdeckt, und doch kennt er bis heute noch nicht alles, aber „man ist einfach fassungslos, lässt sich von dem „Gift“ verführen, das aber keine Droge ist – oder doch, aber keine schädliche. Er hat sehr viel von Joachim Kaiser, dem versierten Musikkritiker gelernt, der sehr gezielte Fragen stellen konnte und zugebenermaßen, sehr viel wusste und kannte und die Musik durchdrungen hatte. Durch ihn wurde er beispielsweise darauf aufmerksam, dass sich in der „Walküre“ der „Schwung“ vom 1. Akt bis in den 2. Akt fortsetzen muss.

Jetzt, nach einer Phase hektischer Betriebsamkeit und Reisetätigkeit, mit der er in früheren Jahren sein Leben vorwiegend für seinen Beruf bis zum Fanatismus geopfert hat, ist nun Schluss. „Man muss auch etwas anderes machen“. Jetzt legt er viel Wert auf ein ausgewogenes Leben. Er möchte nicht mehr von Oper zu Oper und Konzert zu Konzert reisen, heute hier, morgen da, mit Zeitumstellung, abwechselnd doppeltem Espresso und Schlaftabletten (und Alkohol? – wäre schön, aber geht nicht!) und ohne ausreichend Schlaf (er schläft nicht im Flugzeug). „Man muss auch ausgeschlafen sein“, denn das Publikum hat ein Recht darauf, dass der Dirigent sein Bestes gibt.

Das geht nur eine gewisse Zeit lang gut. Er möchte nicht so leben, findet es „furchtbar und langweilig – nur Stress. „Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten“, nicht nur Ruhm und Erfolg sind entscheidend, „man muss auch sehen, was dahintersteckt“. Es ist kräftezehrend, wenn es nicht genügend Erholungsphasen gibt. Die Qualität leidet darunter. Er gibt sich beim Dirigieren ganz aus. Die Musik strengt ihn an, „frisst ihn auf“, auch beim Zuhören. Er war in den interessantesten Städten, hatte aber keine Zeit, auch einmal in eines der bedeutenden Museen zu gehen. Wenn er jetzt ein paar Tage frei hat, geht er gern ins Museum oder in die Natur, um Kraft zu tanken, denn Schlösser und Gärten, Museen und Natur sind sein Hobby. Kunst braucht er, um sich abzulenken und „nicht im eigenen Saft zu schmoren“. Das ist ihm mehr wert als alles andere. „Man sollte die eigenen Nerven nicht überreizen“.

Apropos, Schlösser und Gärten. Als „Ostpreußen-Fan“ arbeitet er an einem Buch über Schloss Friedrichstein, das größte Schloss Ostpreußens, 20 km östlich von Königsbergs, das 1945, von der Roten Armee in Brand gesteckt und später zu großen Teilen abgetragen wurde, was ihn sehr schmerzt. Er möchte das Wertvolle der Vergangenheit bewahrt und harmonisch in das Hier und Heute eingebunden wissen, auch deshalb fühlt er sich in Dresden „angekommen“. Hier befindet sich die Gemäldegalerie gleich neben der Oper. Er kann vor der Probe am „Schokoladenmädchen“ von Liotard, dem zartesten Pastell, das es ihm angetan hat, vorbeigehen, wobei sich für ihn auch Assoziationen zur Oper anbieten, denn auch da gibt es feine pastellige Töne. Er findet es wunderbar, dass die Semperoper nicht nur äußerlich wieder aufgebaut wurde, sondern auch eine sehr gute Akustik erreicht wurde, was nicht bei allen wiederaufgebauten Opernhäusern gelungen ist (wie z. B. Berlin).

Wie „angekommen“? titelte damals die Presse. Ganz einfach, er fühlte sich gleich wohl, weil ihm die Musiker viel Vertrauen entgegenbrachten und er viele vom Bayreuther Festspielorchester kannte. Sein erstes Konzert mit dem „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms am Gedenktag der Zerstörung Dresdens war ein voller Erfolg. Als er nach Dresden kam, erhielt er das gleiche Hotelzimmer wie bei seinem Besuch ein Jahr zuvor als Tourist – für ihn „ein gutes Omen“. Dresden, Bayreuth, Salzburg, auch einmal eine Tournee z. B. nach Japan, wo das Publikum sehr aufmerksam zuhört, mit dem „eigenem“ Orchester oder den Wiener Philharmonikern – beide sind für ihn „Schwestern“ – sind jetzt seine „Grundpfeiler“. Dann ist er gern unterwegs, „dann macht‘s Spaß“, man kennt sich.

Ingrid Gerk

 

 

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