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CHRISTA LUDWIG – zum Neunziger: „Ich glaube nicht an Gott“

15.03.2018 | Sänger

INTERVIEW MIT CHRISTA LUDWIG ZUM 90er
Das Interview führte Kirsten Liese (www.klassik-begeistert.de ) im März 2018

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Christa Ludwig. Foto: ORF

Frau Ludwig, Ihr Bühnenabschied liegt mittlerweile 24 Jahre zurück. Er ist Ihnen damals nicht so schwer gefallen wie vielen anderen Kollegen ihrer Generation und insbesondere Dietrich Fischer-Dieskau, der sagte, ein Sänger sterbe immer zweimal. Welche Bedeutung hatte Ihr Beruf für Sie?

Ludwig: Als ich 17 war, ging es einfach nur darum, meine Eltern und mich über Wasser zu halten. Im Krieg hatten wir alles verloren und da habe ich zugesehen, dass ich Geld verdiene.

Meine Mutter, die auch meine Lehrerin und Lebensberaterin war, sagte dann immer zu mir: „Christa bedenke, es ist nur Theater!“

Ich habe gern gesungen, wenn ich gut bei Stimme war, hatte das Glück, mit den besten Dirigenten und Regisseuren zusammenzuarbeiten. Aber ich habe immer mit Texten gelebt, die 100 Jahre alt waren oder älter. Zur Realität hatte ich gar einen Bezug. Erst wenn man dann nicht mehr im Beruf steht, hat man die Möglichkeit, nachzudenken, was das überhaupt ist: das Leben. Insofern war ich froh, als ich mit dem Singen aufgehört habe.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie über das Leben nachdenken?

Mir kommt die Vergänglichkeit in den Sinn. Wenn ich mir alte Aufnahmen anschaue und sehe, dass ich unter den Solisten die Einzige bin, die noch lebt, dann ist das schon eine sonderbare Angelegenheit.

Es war natürlich auch ein Schock, als mein Mann gestorben ist. Plötzlich ist jemand, der einem sehr nahe stand, nicht mehr vorhanden, das ist völlig irreal. Aber es ist der Lauf der Welt. Ich habe meinen verstorbenen Mann in der Urne im Garten liegen. Manchmal sage ich, ich bin überfällig, wenn ich immer noch weiterlebe (lacht).

Sie sind aber unverändert sehr aktiv, unterrichten noch immer und geben Meisterkurse. Aber in die Oper gehen Sie wohl heute seltener?

Seit frühester Kindheit kenne ich so ziemlich alle Opern auswendig, da meine Eltern beide Sänger waren. Ich könnte heute nicht mehr in „Rigoletto“, „La Traviata“ oder „Aida“ gehen. Das ist mir einfach zu langweilig.

Gibt es noch vereinzelte Werke, die Sie vielleicht doch noch einmal erleben wollten?

Ich kann noch „Pelleas und Melisande“, „Wozzeck“, „Götterdämmerung“, den „Tristan“ und „Parsifal“ hören. Da kommt es nur darauf an, wer singt und wer dirigiert.

Im vergangenen Jahr saßen Sie in der „Walküre“ bei den Osterfestspielen Salzburg als Ehrengast im Publikum. Die Festspiele schlugen mit dieser Wahl einen Bogen zu Karajans ersten Osterfestspielen, die er 1967 eröffnete, Sie waren damals seine Fricka. Christian Thielemann ließ die für Karajan entworfenen Bühnenbilder von Günther Schneider Siemssen nachbauen. Wie nahe kam diese „Rekreation“ der damaligen Produktion?

Unsere „Walküre“ war trotz der Nachbauten doch anders. In der modernisierten Inszenierung gab es ein paar Sonderbarkeiten, vor allem in Gestalt zweier seltsam kostümierter Tänzer, die als Frickas Widder einen Stuhl tragen mussten. Auch sind die Stimmen heute anders, die großen Heldenstimmen aus meiner Zeit gibt es wohl nicht mehr. Aber der Besuch dieser Aufführung hat sich trotzdem sehr gelohnt! Die Sächsische Staatskapelle unter Thielemann war hervorragend! Ich muss sagen, so ein Pianissimo konnte sonst nur Karajan zaubern. Die Musik mutete noch kammermusikalischer an, was Karajan sicher gut gefallen hätte, weil er das eigentlich auch anstrebte.

Karajan war neben Böhm und Bernstein Ihr wichtigster Dirigent?

Die Arbeit mit Karajan war immer wunderbar, wir waren ja ein eingeschweißtes Team. Wenn ich nicht gut bei Stimme war, merkte er das. Und wenn ich gut bei Stimme war, merkte er das auch. Und dann hat er sich im Tempo danach gerichtet. Nicht jeder konnte das, er aber schon.

Begeben wir uns an den Anfang Ihrer langen Karriere. Karl Böhm, seinerzeit gefeiert als Mozartdirigent, holte Sie 1955 an die Wiener Staatsoper. Sie standen damals oft als Cherubino im „Figaro“ und als „Dorabella“ in „Cosí fan tutte“ auf der Bühne. Aber zu Mozart haben Sie wohl doch eher ein ambivalentes Verhältnis?

Ich hab’ Mozart nicht gemocht, musste meine große Stimme für seine Figuren auch immer ein bisschen kleiner machen. Und wenn man anfängt, Mozart zu singen, ist das sehr schwer, viel schwerer als Wagner oder Strauss. Die Dorabella war ein Spaß für mich. Die war mir auf den Leib geschrieben, ich war so lustig wie sie, aber sie war für mich gar keine Partie. Beim Cherubino hatte ich Angst, weil die beiden Arien sehr hoch liegen.

Die Leonore in Beethovens „Fidelio“ stand dagegen auf Ihrem Wunschzettel ganz oben- trotz der geforderten Höhe!

Es war mein größter Wunsch, einmal im Leben den „Fidelio“ zu singen und danach zu sterben. Und wie er mir dann angetragen wurde, habe ich sofort zugesagt ohne zu wissen, was auf mich zukommt. Ich bin nicht jeden Morgen aufgewacht wie ein Sopran, sondern manchmal wie ein Rabe, und diese Rolle war immer mein Sorgenkind.

Ich musste jedenfalls mit meinen Kräften sehr haushalten. Also wenn ich den Fidelio montags gesungen habe, brauchte ich an den folgenden drei Tagen Ruhe. Unter diesen Voraussetzungen habe ich diese Partie immerhin zehn Jahre lang gesungen, zuletzt 1971 in New York unter Karl Böhm. Das war ein besonderes Ereignis in der Geschichte dieses Hauses, denn erstmals wurde nach einer Sängerabsage das ganze Programm geändert. Böhm wollte für Birgit Nilsson, die nach einem Bühnenunfall nicht die „Walküre“ singen konnte, keinen Ersatz engagieren.

Sie haben auch noch andere Ausflüge ins Sopranfach unternommen, zum Beispiel als Marschallin im „Rosenkavalier“….

Ich habe mich furchtbar schwer getan mit dem Anfang vom letzten Terzett, den ich nicht wie Elisabeth Schwarzkopf oder Lisa Della Casa in einem wunderbaren Pianissimo bringen konnte, aber ich lebe trotzdem mit dem Text der Marschallin. An einer Stelle ihres Monologs singt sie: „Leicht muss man sein: mit leichtem Herz und leichten Händen, halten und nehmen, halten und lassen ….“ Und dieses Lassen ist sehr schwer im Leben. Und wenn man das Lassen kann, dann tut man sich leichter.

Sie selbst haben sich darin schon frühzeitig geübt, auch schon von Rollen weise abgelassen, die sie allzu gerne noch in Ihr Repertoire aufgenommen hätten: Isolde und Brünnhilde….

Ich habe beide Partien ganz studiert, aber ich glaube nicht, dass ich sie hätte über längere Zeiträume auf der Bühne singen können. Unser begnadeter Halsarzt in Wien, Dr. Kürsten, hat mir einmal am Stroboskop meine Stimmbänder gezeigt, sie sind ganz dünn wie ein Wollfaden und vergleichsweise bei Hochdramatischen deutlich breiter. Eine Birgit Nilsson hatte natürlich die Möglichkeit, diese Marmorblöcke auf die Bühne zu setzen mit ihrer Stimme, dafür hatte ich die bessere Modulationsfähigkeit für die Lieder.

Ihr Repertoire war auch ohne diese gewaltigen Partien ungemein vielseitig und umfangreich. Nur wenige deutsche Kolleginnen konnten sich so wie Sie auch im italienischen Fach behaupten. Wie ist Ihnen das gelungen?

Belcanto heißt nur schöner Gesang. Das kann man lernen, es ist eigentlich ganz einfach, Deutsch zu singen ist schwieriger. Und die Klangfarbe meiner Stimme war auch auf der italienischen Seite. Amneris und Eboli waren meine Paraderollen, als ich jung war.

Vergessen wir nicht die Adalgisa in der Norma, die sangen Sie für eine Gesamtaufnahme an der Seite der Callas!

Die habe ich schnell gelernt innerhalb von acht Tagen. Walter Legge, Plattenproduzent der EMI, brauchte für die Aufnahme einen Ersatz für eine Kollegin, die abgesagt hatte. Ich kannte das Stück nicht, und habe diese Rolle danach auch nie wieder gesungen.

Wie haben Sie die Callas erlebt, von der Ihre Kollegin Elisabeth Schwarzkopf sagte, sie sei privat ein so armes „Menschenskind“ gewesen?

Die Schwarzkopf kannte sie besser als ich. Ich erlebte sie nur bei den Aufnahmen. Sie war eine auf Perfektion bedachte Künstlerin. Und einfach eine nette, liebe einfache Frau, die mir zum Bespiel sagte, wo ich in Mailand am besten einkaufe. Bei den Proben war sie immer auf die Minute pünktlich. Franco Corelli, unser Tenor, kam dagegen immer zu spät, er war die Diva. Damals hieß es, eine echte Primadonna muss in einem Jahr sieben Erfolge und sieben Skandale haben. Das hat die Callas befolgt. Sie ist somit für mich die einzige Primadonna, die ich kenne.

Engeren Kontakt hatten Sie zu Ihrem langjährigen Weggefährten Dietrich Fischer-Dieskau. Bei einer Preisverleihung wenige Jahre vor seinem Tod, auf der Sie zu seinen Ehren die Laudatio hielten, haben Sie ihn gefragt, warum er dagegen war, dass Sie die „Winterreise“ von Franz Schubert als Frau gesungen haben. Was hat er geantwortet?

Er sagte, er mag keinen Cherubino, also keine androgyne Figur für die „Winterreise“. Meines Erachtens wollte er nicht verstehen, dass es in diesem Zyklus nicht um einen Mann geht, als vielmehr um die Wanderung einer menschlichen Seele. Für mich liegt in diesem Zyklus die Frage nach der Ruhe und dem Glück. Dass sich der Mann im Lindenbaum aufhängt, wie er meinte, überzeugt mich nicht. Wenn ich unter einem Baum liege in meinem Garten, finde ich Ruhe. Oder nehmen wir den Leiermann: Dieskau sagte, er sei der Tod. Für mich drückt sich in der Frage „willst du meinen Liedern deine Leier drehn?“ eher das ewige Leben aus. Also ich finde, dass die „Winterreise“ positiv endet.

War Fischer-Dieskau in seiner Genialität als Liedsänger so übermächtig, dass die meisten Kollegen letztlich versuchten, ihn nachzumachen, statt einen eigenen Stil auszuprägen?

Wie Fischer-Dieskau Phrasen in einem Atem singen konnte, das wollten wir alle unbedingt nachmachen. Bis wir uns davon befreit hatten. Man kann sich befreien von einem großen, gewaltigen Vorbild, aber man muss sich selbst erst finden, das ist nicht so einfach. Es gibt heute noch Sänger, die immer noch so ähnlich singen wollen wie er.

Ich liebe ein Lied besonders von ihm: „Der Mond hat eine schwere Klage erhoben“ von Hugo Wolf. Wir haben zusammen ja auch das „Italienische Liederbuch“ von Wolf aufgenommen, aber leider Gottes in verschiedenen Studios – er in Berlin und ich in Paris, das konnte nicht gut gehen, keiner wusste von dem Interpretationsstil des Anderen. Da merkte ich auch, ich hab’ schön gesungen, aber Fischer-Dieskau hat bei weitem besser interpretiert als ich. Zwei Welten waren das.

Von der Bühne verabschiedet haben Sie sich 1994 als Klytämnestra in der „Elektra“ von Richard Strauss, eine dankbare Charakterrolle für Sängerinnen in reiferem Alter….

Die Klytämnestra ist immer die letzte Rolle, die bleibt, wenn man keinen Fidelio, keine Ortrud und keine Carmen mehr singen kann. Dann übernimmt man eben eine Figur, die am Stock geht, alt ist und stirbt.

Aber es ist natürlich eine wunderbare Partie auf einen weiteren psychologisch durchdachten Text des von mir so geliebten Hugo von Hofmannsthal. Der Text hatte für mich generell immer die höchste Priorität, je anspruchsvoller er war, desto mehr fühlte ich mich von einer Figur angesprochen. Die Klytämnestra hat so wunderbare Verse zu singen wie die Marschallin und ist ungleich sympathischer als Elektra. Schließlich ermordet sie „nur“ ihren Ehemann, Elektra dagegen die Mutter.

Als Konzertsängerin fanden Sie ganz besonders mit Ihren Mahler-Interpretationen Beachtung. Greifen wir mal die „Kindertotenlieder“ heraus….

Das sind schreckliche Lieder. Die gehen einem an die Nieren. Ich hab sie nicht sehr gern gesungen. Unvergessen ist mir ein Konzert in Brüssel. Bei dem Lied „Wenn dein Mütterlein kommt zur Tür herein“ fing ich an zu weinen, dass ich von der Bühne abgehen musste. Als ich dann selbst ein Kind hatte, war ich über diese Sentimentalität hinweggekommen.

An das in Ihrer Interpretation unvergessene Lied „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ haben Sie vermutlich bessere Erinnerungen?

Das ist eines der schönsten. Ich wünsche es mir von mir gesungen zu meiner Beerdigung. Ich weiß nur noch nicht, in welcher Aufnahme.

Sie versorgen sich im hohen Alter noch selbst und wohnen allein in Ihrem Haus in Klosterneuburg. Das ist nicht Vielen in einem so hohen Alter vergönnt.

Ich habe Glück, dass mein Sohn und meine Schwiegertochter in der Nähe wohnen, dass wir uns jede Woche sehen, zusammen essen und Urlaub machen.

Sänger sehen sich immer dem Vorwurf ausgesetzt, keine idealen Eltern gewesen zu sein, weil man ja nie zu Hause ist. Aber am Ende ist es doch schön, Familie zu haben.

Wie verbringen Sie Ihre Zeit, wenn Sie nicht gerade unterrichten?

Ich denke viel nach darüber, wie wir unseren Lebensraum nur des Geldes wegen zerstören, und über das Grauen in Schlachthöfen: Allein in Deutschland werden täglich 50 000 Schweine getötet und in Afrika herrscht weiter die Hungersnot. Über diesen ganzen Irrsinn könnte man verzweifeln. Es kommt mir so vor, dass alle Philosophen und Religionen kläglich versagt haben. Religionen bringen sehr viel Hass in die Welt, weil jeder glaubt, dass er die richtige Religion hat. Ich glaube nicht an Gott.

Wie werden Sie ihren 90.Geburtstag feiern?

Seit meinem 70. Geburtstag feiere ich alle fünf Jahre in der Wiener Staatsoper. Da war früher ein Kritiker, der mich immer interviewt hat, und diesmal will ich das mit meinem Sohn machen. Er ist mein Moderator, die Musik suche ich selbst aus. Da wird die „Ariadne“ dabei sein, die ich ja nur einmal in Salzburg gesungen habe, das Duett mit meinem ersten Mann Walter Berry aus der „Frau ohne Schatten“, und dann möchte ich aber auch „I hate music“ bringen oder die „Granada“ mit Fritz Wunderlich. Ich feiere sonst eigentlich täglich das Leben, ich freu mich, dass ich aufstehen kann in der Früh und gesund bin.

Interview: Kirsten Liese für klassik-begeistert.de

 

 

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