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CHEN XINYI, Regisseurin: Talent-Entwicklung durch den China National Arts Fond

Ein Erlebnisbericht mit der chinesischen Regisseurin Chen Xinyi in Weimar

 


Chen Xinyi. Foto: Thomas Janda

„Oper ist keine Unterhaltungsmusik, die man einfach so konsumiert, Oper widerspiegelt unser Leben“

 Ein Erlebnisbericht mit der chinesischen Regisseurin Chen Xinyi und ihren Studenten in Weimar

Weimar sei für sie ein ganz besonderer Ort, sagt die inzwischen 80jährige Regisseurin Chen Xinyi. „Alles ist hier von Kultur und Geschichte erfüllt. Ich spüre, wie die Dichter Goethe und Schiller hier gelebt haben und wie viele andere kreative Köpfe von ihnen angezogen und inspiriert sind. Ich selbst fühle mich auch sehr inspiriert an diesem Ort. Auch unser Seminar für angehende Musiktheater-Regisseure ist von dieser Weimarer Kulturatmosphäre sehr positiv beeinflusst, “ meint die sehr aktiv wirkende Regisseurin. Während sie spricht, laufen am Jugendzentrum „mon ami“ viele Touristen und Einheimische vorbei und drehen sich erstaunt um, offensichtlich staunen sie über diese so energisch und lautstark sprechende und gestikulierende grauhaarige Dame.

Tatsächlich ist Chen Xinyi ein Phänomen, das viele, die sie noch nicht kennen, nicht so richtig einordnen können. Ein wenig gehbehindert wird sie immer von einigen jungen Männern begleitet, die sie jederzeit stützen und auch mal gleich kurzzeitig tragen. Während der Unterrichtsstunden ist sie aber immer präsent. Gestützt auf einen Tisch, hält sie schnell mal einen Kurzvortrag und ich bin selbst anfänglich über das gebannte Interesse erstaunt, das ihr alle Studenten entgegenbringen.


Thomas Janda, der das Interview führte, mit Chen Xinyi. Copyright: Thomas Janda

Sie folgt meinem Vortrag über Walter Felsenstein, Götz Friedrich, Harry Kupfer und Franz Olschowsky gespannt und zieht schnell mal einige Parallelen zu eigenen Sicht- und Inszenierungsweisen. Auch wenn da die Übersetzungen von Kai Yin zwischengeschaltet sind, entwickelt sich schnell ein sehr lebendiger Dialog um deutsche, europäische und chinesische Inszenierungs- und Sichtweisen. Während der Präsentation der Aufführung der Oper „Die Nase“ von Schostakowitsch in der Regie von Joachim Herz an der Semperoper, meldet sich Chen Xinyi zu Wort. Sie findet Ähnliches zu ihrer eigenen Inszenierung, aber auch Unterschiede in der Interpretation dieses Stückes. Schnell entwickelt sich dazu eine spannende Diskussion. Eigentlich war Chen Xinyi Schauspielerin, bevor sie mit 40 Jahren ihre zweite Karriere als Regisseurin begann. Seitdem brachte sie über 60 Stücke, vor allem Opern, auf die Bühne und mit der symphonischen Pekingoper „Mei Lanfang“ war sie 2006 in Berlin zu Gast. Mei Lanfang ist ein berühmter Pekingopern-Star gleichen Namens. Neben der Aufführung an der Komischen Oper Berlin nahm Chen Xinyi damals auch an einem vom Haus der Kulturen der Welt veranstalteten Symposium mit dem Titel „Brecht und Mei Lanfang – Chinesische und deutsche Theatermoderne“ teil. Danach war im Juli 2008 Chen Xinyis moderne Märchenoper „Du Ming – Bet Your Life“ von Wen Deqing beim Savonlinna Opera Festival in Finnland zu sehen.

Chen Xinyi (陈薪伊) wurde1938 geboren und war zunächst als Schauspielerin in der Shaanxi-Oper, im Sprechtheater und in Filmen zu sehen. Mit 40 Jahren begann sie ihre zweite Karriere als Regisseurin. Seit 1980 inszenierte sie über 60 Stücke, nicht nur für das Sprechtheater, sondern auch in den Sparten Pekingoper, westliche Oper, Musical und Kindertheater. Heute ist sie eine der wichtigsten Theaterregisseurinnen Chinas.

Das alles, wusste ich nur zum Teil. Sie nahm es gelassen, dass sie im deutschsprachigen Raum noch nicht so bekannt ist. Obwohl viele Kenner die Aufnahme ihrer „Turandot“-Inszenierung bereits im gut sortierten Repertoire ihres Opernvideo-Schrankes haben. „Puccini gehört für mich natürlich zu den ganz wichtigen Komponisten, weil er sich auch so sehr mit chinesischer Musik beschäftigt hat. Nur bei den chinesischen Jahresangaben wie Hund- und Affen-Jahr usw. hat sich der Maestro geirrt. Wenn man das nämlich nachrechnet, wie lange Turandot Witwe ist, dann kommt man schnell auf fast 20 Jahre. Das wäre eine sehr lange Witwen-Zeit. Da hätte Turandot auch nicht mehr heiraten müssen“, meint die Grand-Dame der chinesischen Oper schmunzelnd.

Ihr Credo sei es immer gewesen, die Gefühle der Protagonisten authentisch hör- und sichtbar zu machen. Das spricht ihr Publikum an. Sie weiß das inzwischen sehr genau, denn viele chinesische Zuschauer sagen ihre Meinung, selbst wenn sie noch nicht einmal richtig lesen oder schreiben können. „Oper ist keine Unterhaltungsmusik, die man einfach so konsumiert, Oper widerspiegelt unser Leben, unsere Konflikte und unsere Sehnsüchte“, referiert Chen Xinyi. „Darum kann eine Opernaufführung für viele Menschen wirklich eine große Bedeutung haben“, fährt sie fort.

„Was war bisher Ihr schönstes Erlebnis in Deutschland?“, frage ich Chen Xinyi.

Sie überlegt kurz und dann sagt sie sehr bestimmt: „Der große Erfolg, den das symphonische Drama der Peking-Oper Mei Lanfang in der Komischen Oper in Berlin hatte. Und natürlich das Verständnis, welches das Publikum meinem Werk entgegenbrachte. Außerdem war auch die aufopferungsvolle Zusammenarbeit mit den Berliner Kollegen der Oper beeindruckend. Sie haben so viel Sinn für die Kunst! Natürlich bin ich auch sehr bereichert durch dieses Seminar in Weimar und die Zusammenarbeit mit den Studenten, aber auch der Austausch mit den deutschen Opernmachern hat mir sehr gefallen.“

Die umstehenden Studenten für Musiktheater-Regie applaudieren und resümieren ihre Eindrücke ebenso. Spannend war für sie der Besuch in den Theatern Erfurt und Naumburg, aber auch im Nietzsche Dokumentationszentrum in Naumburg und vieles mehr. Natürlich haben sich auch die Vorträge verschiedener Dozenten und die sehr praktische Arbeit unter der Anleitung von Frau Prof. Baoyi Bi und Chen Xinyi gelohnt. „Ja“, meinen viele Teilnehmer, „das war eine sehr gute Idee des „SUSTech -Arts-Center“ der Universität von Shenzhen hier in Weimar ein Seminar zu machen“. (Die Southern University of Science and Technology ist eine öffentliche Forschungsuniversität in Shenzhen in der Provinz Guangdong in China. Finanziert wurde das Seminar ausschließlich von einem staatlichen chinesischen Förderfonds, dem China National Arts Fond.

 


Die Regisseurin Chen Xinyi mit den Studierenden. Foto: Thomas Janda

„So“, sagt dann Chen Xinyi, „jetzt wollen wir ein Gruppenfoto mit den Dichtern Goethe und Schiller und dem schönen Nationaltheater Weimar machen, darauf habe ich mich schon sehr gefreut!“ Die Studenten folgen ihr sofort, denn auch sie finden den Weimarer Theaterplatz schön. Ein Student sagt noch: „Da werden meine Verwandten staunen und wenn ich kann, dann komme ich gern einmal wieder in diese Kunst-Stadt“. „Aber“, sagt Chen Xinyi augenzwinkernd, „jetzt sind die Deutschen erst mal dran uns in China zu besuchen. Schauen Sie sich mal meine Aufführungen in der Pekinger Nationaloper an, also bis bald!“

Nun, das Erfurter Theater gastiert ja gerade in Shanghai mit Wagners „Der fliegende Holländer“. Wer weiß, welche Zusammenarbeit sich in Zukunft noch so entwickeln wird.

Thomas Janda

 

 

 

 

 

 

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