Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CHEMNITZ: PARSIFAL am allerheiligsten Karfreitag

15.04.2017 | Oper

Chemnitz: „PARSIFAL“ am allerheiligsten Karfreitag – 14.4.2017

Geflüchtet aus Wien vor weiteren Reprisen der (trotz der guten Sänger) so lahmen Neuproduktionentdeckte ich im Wagner-kundigen Chemnitzer Opernhaus jenes Musikdrama wieder, das ohne Wenn und Aber zu den größten der Musikgeschichte zählt. Ich erfuhr wieder, dass es ganz aus sich heraus eine ungeheure Wirkungskraft hat, wenn man ihm vertraut.

Bildergebnis für chemnitz parsifal
Copyright:  Theater Chemnitz

Der erfahrene Theatermann John Dew hat das getan, mit unglaublichen neuen Ideen im vorgegebenen Rahmen, und ein großartiger junger Dirigent, Felix Bender, hat der Inszenierung (eine Koproduktion mit Darmstadt) die tönende Krone aufgesetzt. Den durchwegs ihre Rollen voll ausfüllenden Sängern war damit der Erfolg gesichert, auch wenn nicht nur Stimmen von Weltrang zu hören waren.

Das Um und Auf dieser Produktion: ein Werk voller Geheimnisse, voller Weisheiten, voller Menschlichkeit. Eines der positivsten Stücke der Opernliteratur: durch Nacht zum Licht – durch Leiden zur Einsicht – von der Machtgier zum Dienen.

Felix Bender, in der laufenden Spielzeit kommissarischer Generalmusikdirektor der Chemnitzer Oper, dirigiert den Großteil des „Parsifal“ mit aufwärts gerichteter Zeichengebung. Er animiert die passioniert spielende Robert-Schumann-Philharmonie damit zu leichter Tongebung, suggeriert Zuversicht in die überirdischen Regionen der Wagnerschen Aussage. Nicht allein die zügigen Tempi bestimmen den positiven Gesamteindruck, sondern die Fähigkeit des Maestro, den Tonstrom zu gliedern und neben den souveränen Einsätzen für die jeweiligen Hauptstimmen mit der linken Hand die hörbare Weiterführung der  Nebenstimmen zu sichern, sodass die Spannung nie abreisst. Höhepunkte äußern sich nicht durch übermäßige Lautstärke – die gab es überhaupt nie! – sondern durch rhythmische Markanz, wie etwa in den Überleitungen zu den Gralsszenen, oder durch Ausbreiten der Arme samt Rückwärtsneigung des Oberkörpers im Karfreitagszauber: „…als König er dich grüße“ war ebenso überwältigend wie „…dieNatur, die ihren Unschuldstag erlebt!“ – Das war pure Glückseligkeit – man wusste: jetzt ist nichts mehr, wie es vorher war. Es gelang Bender aber auch, durch das dunkle, unterschwellige Geriesel der Streicher die Klingsor-Szene unheimlich erscheinen, hingegen das Vorspiel zum 3.Akt hoffnungsträchtig klingen zu lassen: „Wir werden es schaffen!“ meinte ich da herauszuhören. Vor allem aber verhalf  er der Transzendenz, die ein wesentliches Faszinosum der „Parsifal“-Partitur ist, voll zu ihrem Recht. Das gesamte Finale  geriet zu einem einzigen, wohl strukturierten Crescendo in dieser Richtung.

Und diese musikalische Großleistung ging noch dazu konform mit dem Bühnengeschehen. Die von Heinz Balthes gestaltete Bühne ist voller Geheimnisse. Dass es sich bei den Gralsrittern um eine sakrale Gemeinschaft handelt, war von Anfang an klar. Schwarze, bodenlange Gewänder für Gurnemanz und die Chormitglieder, weiß mir rotem Übermantel für den leidenden Gralskönig, Ministrantengewänder für die Knappen. Für alle Bewohner des Gralsbezirks  ist ein rituelles Schreiten die natürlichste Sache von der Welt. Sie genießen diese Würde offensichltich. Nichts Krankhaftes haftet ihrem Verhalten an. Parsifal in Jünglingsgestalt, sehr fesch und nobel mit weißen Stiefeln und angedeutetem Brustpanzer, wird sofort zum Sympathieträger .  Kundry wechselt zwischen unterschiedlichen Kostümen, wo bei das verführerische rote Gewand über den nackten Beinen den Höhepunkt darstellt. Klingsors riesiges aufgeschlagenes Zauberbuch mit einem Text, der wohl darauf hinausgeht, dass Gott tot ist, wird zur Grundkulisse für seine ganze Szene.Die Blumenmädchen tragen Kleider mit ebensolchen Schriftzeichen und Kundry trägt im 3. Akt ebenfalls ein solches Kostüm. Nur für den Klingsor ist dem Kostümbildner José Manuel Vasquez nichts außer einem braunen Anzug eingefallen.

Dafür werden alle Gralsszenen und die Karfreitagsaue zu einem Erlebnis. Sei es durch die im  Bühnenhintergrund auf einem Rondeau, das sich langsam nach vorne schiebt, kreisförmig angeordneten schmalen Säulen mit den blau angeleuchteten Spitzen, die sich später rot färben, oder durch den Leidenssessel des Amfortas, dem dieser aber ohne weiteres entsteigen kann – am effektvollsten, wenn er  im 3.Akt  seine „Erbarmen“-Rufe mit ausgestreckten Armen frontal ins Pubikum hinein singt. Der Chor singt am häufigsten aus dem Hintergrund, bleibt dabei wohl wortdeutlich, verliert aber an Klangqualität (Einstudierung: Stephan Bilz).

Für die „Regie“ ist auf dem Programmzettel Marcelo Buscaino angeführt. Was von ihm und was von John Dew stammt, ist für den heutigen  Besucher nicht von Belang. Es findet jedenfalls eine großartige Personenregie statt, die etwaige Leerläufe während längerer orchestraler Übergänge zwischen den gesungenen Passagen auch optisch ausfüllt. So z.B., wenn im 3. Akt Parsifal den kostbaren Speer zunächst in einer Stoffhülle hereinträgt, ihn dann aber langsam enthüllt, das schützende Tuch faltet und auf den  Boden legt und dann genau in der Bßhnenmitt den Speer in den Boden rammt, wo er, von einem sanften kleinen Lichtkreis umrahmt, bis zum Ende der Oper verbleibt. Purer Bühnenzauber ist die Karfreitagsaue:  im Hintergrund rieselndes Quellwasser, wo zu Beginn sich Gurnemanz Gesicht und Hände wäscht; der Boden bedeckt mit weißen Tüchern, bis auf eine zentrale Stelle, wo Kundry unter einer Decke lagernd von Gurnemanz gefunden wird – da ist bereits grüner Boden zu sehen. Während des folgenden Wiedererkennungs-, Versöhnungs- und Reinigungsgeschehens werden die weißen Flächen immer kleiner, bis am Ende der ganze Boden grün ist. Dazu kommt  noch, dass Parsifal, Gurnemanz und Kundry einander liebevoll umarmen oder die Hände schütteln, ehe sie dann gemeinsam zum rettenden Finale schreiten. Mehrfach verwandelt sich auch da noch die Szene, immer neue Mysterien enthüllend,  bis außer dem von der Decke herabhängenden Christusbild nur noch ein Zwischenvorhang übrig  bleibt, auf den sich von selber das berühmte Wagner-Zitat schreibt, dass „wo die Religion künstlich wird, der Kunst es vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten…“

Kurzum, Es ist eine Inzenierung, bei der man immer wieder den Atem anhält, weil die eventuell neuen Regieideen doch etwas ganz Selbstverständliches darstellen, im wörtlichsten Sinn: sie verstehen sich von selbst. Wie ja eingentlich fast alle Symbole.

Ein Parsifal aus St. Petersburg, Victor Antipenko, machte ausgezeichnete Figur, spielte sehr einfühlsam und sang mit hellem, kräftigem, gleichmäßig in allen Lagen und Lautstärken ansprechendem Tenor problemlos die anspruchsvolle Titelrolle – zweifellos auch ein Empfehlung für größere Häuser. Vokal nicht so ebenmäßig, aber eine furiose Rollengestalterin, die alle Emotionen auszuloten wusste, war MoronikeFadayomi. Eine würdige Erscheinung, ein teilnahmsvoller „Titurels Genoss“ und guter Sänger mit souverän geführtem Bass: der Finne Sami Luttinen. Mit intensivem Gesang nahm auch Jacek Strauch als Amfortas für sich ein. Thomas Mäthgers mahnende Stimme als Titurel blieb nicht ungehört und Horst Lamnek behauptete sich gut als Klingsor. Edward Randall und Magnus Piontek liehen den beiden Gralsrittern ihre kräftigen Stimmen. Weitere bewährte Ensemblemitglieder bewährten sich als Knappen und Blumen und Tina Penttinen mahnte schönstimmig als  Stimme aus der Höhe.

Wagners „Parsifal“ lebte auf allen Ebenen und in jeder Phase!

Großes Bedauern: dass mir kein ausreichend großer Koffer zur Verfügung stand, um die ganze Produktion nach Wien mitzunehmen…

Besucher aus dem gesamten deutschen wie auch angelsächsischen und französischen Sprachraum bejubelten die Aufführung. „Warum nicht auch anderswo?“ blieb die wohl unbeantwortbare Frage nach der Wiederholbarkeit  derart guter Inszenierungen, die in Chemnitz zur Selbstverständlichkeit geworden sind.

Sieglinde Pfabigan

 

 

Diese Seite drucken