Sylvia Schramm-Heilford. Copyright: Nasser Hashemi
Kritik zu “Zarah 47”; Musical-Solo für eine Darstellerin von Peter Lund
Regie, Bühne, Kostüme, Video: Nils Braun
Vorstellung vom 20. September 2019
Kann denn Kunst Sünde sein?
In der intimen Atmosphäre des schummrigen Operncafés erwacht eine Ikone der 1930er und 40er-Jahre zum Leben: Zarah Leander (überragend gespielt und gesungen von Sylvia Schramm-Heilford) gibt uns ihre schönsten Lieder in persona wieder – und gewährt dabei Einblicke in die Seele einer gespaltenen Künstlerin.
Zu Beginn scheint alles perfekt. Im weißen Unschuldskleid singt und glitzert Zarah zwischen den Tischen ihres kleinen Konzertes, feiert sich selbst und ihren Erfolg. Die herzliche, kokettierende Grande Dame ist stolz auf ihre Karriere als selbstbewusste, emanzipierte Sängerin. Ihre energische Eleganz zieht jeden in ihren Bann und man fragt sich, ob man sich nicht von ihr eine oder zwei Scheiben abschneiden könnte. Aber so wunderbar ist es nicht, wie die plötzlich über ihr Kleid und die Wand flimmernden Bilder zeigen. Das Dritte Reich will sich der Figur Zarahs bemächtigen. Eine “Vorzeige-Deutsche” auf ihren Körper inszenieren. Trotz ihrer schwedischen Herkunft.
Die Künstlerin verstummt, sobald sie Joseph Göbbels’ Stimme hört. Ihre Miene ist wie versteinert. “Ich positioniere mich nicht politisch”, wiederholt sie immer wieder ihren Grundsatz; einen der wenigen, an denen sie bewusst festhält. Die Filme, Opern, Konzerte in Deutschland? Alles eine Frage des Geldes. Das Publikum – ob Soldaten oder Zivilisten – liebt ihre Musik. Und Zarah Leander liebt das Publikum. Ob ihr Geliebter schwarzhaarig oder blond, heldenhaft oder feige ist und vielleicht Waldemar heißt, hat auf der Bühne keine Rolle zu spielen.
Allerdings hat Kunst sehr wohl politisch motiviert zu sein, wie die Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg beschließen. Als persona non grata kehrt sie nach Schweden zurück, in einen mehrere Jahre andauernden Zwangsurlaub. Ob sie besser fort geblieben wäre? Von der Welt verdrängt greift sie mit klammen Fingern nach einem Comeback, während Erinnerungen in Form von kistenweise Briefen sie einholen. Sie entflieht nicht mehr dem blassblauen Projektionslicht. “Hatte ich Recht?”, fragt nicht nur Zarah, sondern auch Nils Brauns Inszenierung. Was hat ihr Kleid in letzter Konsequenz schwarz gefärbt?
Ein bisschen wie Zarah Leander haben wir in der Kunst den Nationalsozialismus überlebt. Wir wollen privat in Ruhe gelassen werden und trotzdem Aufmerksamkeit, sobald wir etwas zu sagen haben. Von den damaligen Verbrechen distanzieren wir uns und glauben, damit Genüge getan zu haben. Was hat denn unsere Generation noch mit einer Zeit zu tun, die knapp siebzig Jahre zurückliegt? Aber heutzutage reicht das nicht mehr. Wenn einen Politiker ein blackfaced-Foto von einer Abschlussfeier von vor zwanzig Jahren einholen kann, holt uns Deutsche noch um einiges schneller die Vergangenheit unseres Landes ein. Jeder hat heute eine politische Haltung einzunehmen, in der Kunst geht es nicht mehr ohne.
Ist das gut? Schlecht? ‘Zarah 47’ gibt darauf keine Antwort – sehr wohl jedoch eine Haltung, die sich anzuhören nicht nur ein Angebot, sondern eine überdeutliche Empfehlung ist!