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CHEMNITZ: MY FAIR LADY

02.07.2018 | Operette/Musical

Chemnitz: „MY FAIR LADY“ – 1. 7. 2018

Von 1991 bis 2015 konnten sich die Chemnitzer in zwei aufeinanderfolgenden Inszenierungen Michael Heinickes an der Geschichte des Blumenmädchens Eliza Doolittle delektieren. Der Zuspruch war derart enorm, dass sich die hiesige Theaterleitung im vergangenen Jahr auf der Suche nach einem „Straßenfeger“ für die vorgesehenen Freilichtaufführungen vor der Chemnitzer Oper erneut dieses Klassikers aus der Musicalwerkstatt der Herren Lerner und Loewe annahm. Da sich die Dimensionen von Heinickes Arbeit für dieses Projekt als zu aufwändig erwiesen, verpflichtete man den in diesem Metier bewanderten Regisseur Erik Petersen, der imVerbund mit dem Bühnenbildner Sam Madwar und den den sozialen Hintergrund der Beteiligten trefflich ins Bild setzenden Kostümen Lukas Waßmanns eine sehenswerte Produktion vorlegte, deren Qualität zu einer Übernahme ins Opernhaus berechtigte. Indem es sich freilich für die Open-air-Variante  weniger eignete, fiel das Ballbild dem Rotstift zum Opfer; für manche ein Manko, das die dramaturgische  Struktur des Originals allerdings kaum beschädigte.

In den mit bescheidenem Aufwand Atmosphäre ausstrahlenden Bühnenbildern Madwars bringt Petersen das Geschehen auf den Punkt, lässt den Betrachter ohne überflüssigen Schnickschnack am Geschick der „Gossenpflanze“ Eliza teilhaben, spart sozialkritische Tupfen, wo sie sich denn anbieten, keineswegs aus. Über allem obwaltet das Gerechtigkeitsempfinden der Regie, die es tunlichst vermeidet, voreilig zu denunzieren. In Marie Hänsel steht eine Eliza zur Verfügung, die nachhaltig in den Momenten der Enttäuschung über das selbstherrliche Gebaren ihres Erziehers besticht, aber auch den anderen Facetten der Figur die erforderliche Beachtung schenkt und über die  vokalen Ressourcen zur Bewältigung des Parts gebietet. Als Henry Higgins kann Matthias Winter von den reichen Erfahrungen als in unterschiedlichen Genres einsetzbarer Bariton und der heiteren Muse verbundener Regisseur zehren, verweigert sich konsequent der Versuchung, den gestandenen Opernsolisten herauszukehren, gesteht den Loeweschen Songs die ihnen eigene Leichtigkeit zu, reichert den Part mit einer Vielzahl gestalterischer Nuancen an, die den „Kotzbrocken“ zwar nicht unterschlagen, ihm aber auch eine gewisse Sympathie entgegen bringen. Da Winter in der vorangegangenen Inszenierung den Alfred P. Doolittle gab, musste ein neuer Vertreter dieser Partie gesucht werden, den man  in einem Mitglied des hiesigen  Schauspielensembles, dem vormaligen Tänzer Marko Bullack, fand. Keinesfalls der Prototyp eines prolligen, dem Alkohol verfallenen Müllkutschers lieferte der Künstler einen weiteren Beweis seiner stupenden Wandlungsfähigkeit und Musikalität, lief mit seinen naturgemäß bescheideneren stimmlichen Mitteln zu einer beeindruckenden Form auf. Dabei bot ihm die Choreographie Sabine Artholds die dankbar wahrgenommene Möglichkeit, auf seine nach wie vor abrufbaren tänzerischen  Fähigkeiten zurückzugreifen. Die von Pietro Numico präparierten Damen und Herren des Chores assistierten ihm mit uneingeschränkter Spielfreude. Rolf Germeroth gewährte dem Pickering etliche darstellerische Details, sprengte mithin erfolgreich das Korsett des reinen „Stichwortgebers“. Als Mrs. Higgins feierte Dorit Gäbler, nachdem sie vor rund 50 Jahren hier selbst die Eliza gegeben hatte, ein Wiedersehen mit ihrem einstigen Stammhaus. Eine beispielhafte Sprechkultur zeichnete die Mrs. Pearce von Sylvia Schramm, auch eine ehemalige Eliza, aus. Dem unbedarften Freddy Eynsford-Hill lieh Benjamin Sommerfeld Stimme und Figur. Jeffrey Goldberg animierte die mit dem Werk bestens vertraute Robert-Schumann-Philharmonie zu dem erforderlichen Musical-Drive. Da blieben, abgesehen von einem die Sänger gelegentlich übertönenden Klangbild und einigen Unsicherheiten beim Blech, keine Wünsche offen.

Joachim Weise

 

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