Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CHEMNITZ: „JEANNE ODER DIE LERCHE“ von Jean Arnouilh

05.05.2015 | Theater

Chemnitz: „JEANNE ODER DIE LERCHE“ – 3. 5.2015

 Warum die Chemnitzer erst heuer die Bekanntschaft mit einem der wunderbaren Werke des bezaubernden Jean Anouilh schließen durften, zählt zu den ungelösten Rätseln der hiesigen Theatergeschichte. War doch der Franzose trotz seiner, grob gesagt, fatalistischen Weltsicht, selbst den DDR-Kulturoberen keinesfalls über die Maßen suspekt. Nun schloss der Regisseur Bogdan Koca (auch Bühne und Musik), assistiert von den stimmigen Kostümen Ricarda Knödlers, diese empfindliche Repertoirelücke, wobei er freilich der Einschätzung Georg Hensels von einem „unbegreiflicherweise fröhlichen Stück, einer Legende des Lächelns und des Lachens“ weniger abgewinnt und damit eine wesentliche Ebene der Vorlage in seiner gemeinsam mit René Schmidt erarbeiteten Fassung ausspart.

 Koca will sich mit Mechanismen des religiösen Fanatismus und Funktionsweisen der Manipulation auseinandersetzen. Dabei weicht er keineswegs vor der Frage zurück, wie wir Johanna beurteilen würden, „riefe sie als in Palästina geborene Muslima zum Sturz postkolonialer Strukturen auf.“ Dieses Anliegen setzt er in einer Aufführung von beispielhafter Dichte um, die das Publikum von Anbeginn in ihren Bann zieht und rechtens mit ungewohnt starkem Beifall bedacht wurde. Dankenswerterweise verzichtet der Regisseur auf befremdendes Beiwerk und hält sich im Großen und Ganzen an Anouilhs Original, nur dass er sich eben in Bezug auf das Hier und Heute mehr einer die Härte der Auseinandersetzung betonenden Sichtweise verpflichtet fühlt als der o.g. „Legende des Lächelns und des Lachens“. Das schließt den unmittelbaren, emotionalen Zugriff nicht aus, verweigert sich aber dem gewitzten Plauderton eines Smalltalks um ideologische Deutungshoheiten. Der polnische Künstler veranschaulicht klar und ohne Umschweife, dass das Recht im Prozess der Jeanne d’Arc von den Mächtigen für sich zurechtgebogen wurde. Lediglich von dem Bedenken geleitet, der Angeklagten  damit zum Status einer Märtyrerin zu verhelfen, scheuen Warwick und  Couchon vor dem Feuertode des Mädchens zurück. Erst als ihre diplomatischen Spielchen scheitern, kann sich der Inquistor (Ulrich Bröcher in einer raffinierten Mischung aus geheuchelter Menschenfreundlichkeit und geifernder Brutalität) durchsetzen, denn „wer den Menschen liebt, liebt Gott nicht.“ Für den Warwick findet Gregoire Gros die schmierig-eleganten Mittel des Berufspolitikers, dessen Credo, „eine Wahrheit werde nur dann geschaffen, indem man Triviales genügend oft wiederholt“, eine fatale Nähe zu Joseph Goebbels aufweist. Auch Christian Ruth verdeutlicht eindringlich den Zwiespalt eines Mannes, der sich einerseits nicht mit einem Menschenopfer belasten möchte, dieses aber andererseits nach dem Widerspruch Jeannes als Gefolgsmann der herrschenden Ideologie nicht zu verhindern vermag. Welch im Sinne des Autors durchaus belächelnswerten Widerstände Jeanne anfangs ihres Feldzuges überwinden musste, führte Ulrich Lenk als ebenso dümmlicher wie aufgeblasener Schlagetot Beaudricourt bar aller Karikatur vor, dem Maria Schubert auf umwerfend
gewitzte Art und Weise einbläst, ihre Gedanken seien die seinigen. In solchen Momenten  blitzt Etliches vom eigentlichen Anouilh auf, dem auch das Bild des von drei Damen eingerahmten Königs entspricht. Glücklicherweise hütet sich Stefan Migge bei aller Lust am Komödiantischen davor, diesen Herrscher als Knallcharge zu denunzieren, sondern belässt der Figur im anschließenden Gespräch mit Jeanne die erforderlichen Reserven, um einen Mann zu zeigen, der des verstellenden Spieles nunmehr entraten kann. Erneut  bringt Maria Schubert in diese Begegnung ungemein menschlich Anrührendes ein, ist an anderer Stelle des Mark und Bein erschütternden Aufschrei eines gepeinigten Menschenkindes fähig. Diese Jeanne begeistert mit einer Fülle fein abgestufter darstellerischer Differenzierungen. Der Künstlerin gelingt eine von innerem Feuer durchglühte Interpretation, der man die bedingungslose Erfüllung ihres Auftrages ohne den geringsten Zweifel abnimmt. Die auf den Flammentod der Jungfrau folgende Krönung Karl VII. zu Reims, von Georg Hensel als das „fröhliche wahre Ende der Geschichte Jeannes“ apostrophiert, rückt Koca nur kurz ins Bild. Wahrscheinlich ist ihm die eigentliche Johanna lieber gewesen als „die Lerche hoch im Himmel.“             

 Joachim Weise                                  

 

 

Diese Seite drucken