Oper Chemnitz, Götterdämmerung vom 22.12.2018
Eine “eiskalte” Abrechnung mit der morbiden Männerwelt
Götterdämmerung 1. Akt, Daniel Kirch (Siegfried), Pierre Yves Pruvot (Gunther), Marius Bolos (Hagen), Cornelia Ptassek (Gutrune), Foto: Kirsten Nijhof
Regie: Elisabeth Stöppler, Bühne: Annika Haller, Kostüme: Gesine Völlm, Dramaturgie: Susanne Holfter, Licht: Holger Reinke
Konzeptioneller Hintergrund
Siegfried und Brünnhilde leben in einer paradiesähnlichen Welt, umgeben von eisigen Felsplatten. Sie kennen weder Macht- noch Besitzanspruch und mit ihrer innerlichen aufrichtigen Liebe erzeugen sie so viel Wärme, dass ihnen die arktische Kälte nichts anhaben kann.
Die Gibichungengesellschaft handelt eiskalt und berechnend, um ihre machtpolitischen Ziele zu erweitern. Da gibt es keinen Platz für liebevolle Wärme, deshalb wird die fehlende innerliche Wärme durch entsprechende Kleidung kompensiert oder im Wohnbereich diese durch den Abbau der begrenzten Ressourcen ersetzt.
Im weiteren Verlauf treffen die ungleichen Pole aufeinander und es ist vorhersehbar, wer letztendlich bei dieser Auseinandersetzung auf der Strecke bleibt.
Statt “Siegfrieds Rheinfahrt” “Siegfrieds Schlittenfahrt”
Während zu Beginn die Nornenszene in normalen Bahnen abläuft, taucht beim Liebesduett von Siegfried und Brünnhilde, anstatt des bekannten Walkürenfelsen ein großer Eisberg auf. Das Bild ist fast eine Kopie des Gemäldes “Das Eismeer” von Casper David Friedrich, das als gescheiterte Hoffnung interpretiert wird, weil man auf dem Gemälde ein Schiffswrack erkennt. Dieses Bild ist auch richtungweisend für den weiteren Verlauf der Handlung, denn mit der arktisch ähnlichen Landschaft wird eine Metapher zu einer kalten herzlosen Gesellschaft hergestellt.
Anstatt der beängstigenden Gibichungenhalle sieht der Besucher einen holzgetäfelten Raum, wo reichlich alkoholische Getränke vorhanden sind und zum eigenen Genuss, aber auch zu Manipulationszwecken, anstatt der Zaubertränke, unterschiedliche Drogen angeboten werden. Es wird ein Luxusdomizil gezeigt, das sich in einem Skigebiet befindet. Die Mächtigen der Welt geben sich dem feuchtfröhlichem Vergnügen hin, gleichzeitig werden Überlegungen angestellt, wie man durch Heirat die kapitalistische Macht ausbauen könnte.
Der Auftritt des Helden versetzt den Zuschauer in einen kleinen Schockzustand, denn Siegfried mit altmodischer winterlicher Kleidung ausgestattet und mit einem Schlitten kommend, passt so gar nicht zu den Anwesenden mit salonfähiger Robe. Er ist ein Außenseiter, ein Wesen, wie von einer fremden Galaxie, kaum zu glauben, dass er ein starker Held sein soll, wie Hagen es behauptet. Die nächsten Szenen werden beweisen, dass buchstäblich mit dem Eindringling “Schlitten gefahren” wird. Siegfried hat die Abenteuer aus der sinfonischen Dichtung missachtet und hat den direkten Weg zu seinem zukünftigen Untergang gewählt. Die Drogen, die anstelle für den Zaubertrank, Siegfried als Willkommenstrunk gegeben werden, erfüllen demzufolge sofort den beabsichtigten Zweck. Im Laufe der Zeit wird Siegfried, als unerfahrener Mensch drogen- und alkoholabhängig.
Allerdings sind Zweifel angebracht, ob dadurch das totale Vergessen zu seiner großen Liebe ausgelöst wird. Die anschließende Begegnung mit Brünnhilde auf ihrem Eisfelsen wird in einer Doppelfunktion vollzogen, der stumme Gunther spielt und Siegfried singt als sein Spiegelbild.
Statt “apokalyptischen Weltenbrand” „Eiszeit-Endstimmung“
Mit Beginn von Siegfrieds Tod, der von Hagen erschossen wird, beginnt die einsetzende Dämmerung der morbiden Gesellschaft. Gunther fällt im Kampf mit Hagen, der wird aber kurz darauf mit einem gezielten Schuss von Gutrune zur Strecke gebracht. Somit ist das Ende einer rücksichtslosen Gesellschaft der Gibichungen vollzogen worden. Mit der einsetzenden Eiswelt, wird anstelle des Weltenbrandes der Weg frei gemacht für eine neue Weltordnung. Zur Verdeutlichung ist plötzlich der eisige Walkürenfelsen in der Gibichungenwelt implementiert worden. Die letzten Worte von Hagen: „zurück vom Ring“ werden aus dem Off gesungen.
Als Abschluss noch eine Überraschung, denn auf der Bühne versammeln sich alle weiblichen Darsteller um die Urmutter Erda in freundschaftlicher Atmosphäre, allerdings ohne eine einzige männliche Person, was darauf schließen lässt, dass für die Weiblichkeit kein Platz für Gewalt und Machtmissbrauch vorhanden ist.
Götterdämmerung 1. Akt, Pierre-Yves Pruvot (Gunther), Stefanie Müther (Brünnhilde), Daniel Kirch (Siegfried), Foto: Kirsten Nijhof
Großes Lob für die abwechslungsreiche und überzeugende Personenregie, ausgestattet mit gestylten, farbenfrohen Kostümen und einer großartigen Bildersprache, die eine spannende und unterhaltsame Handlung präsentiert. Für die Freunde des Regietheaters ist es eine prachtvolle und erfassbare Interpretation mit Hinweis auf die großen Probleme der Welt, während das Lager der etwas konservativ geprägten Besucher, die eine textbezogene Handlung wünschen, sich die Frage stellt: Wie viel Wagner steckt in der Darstellung, aber bei einer skeptischen Beurteilung einräumen müssen, dass für die szenische Umsetzung, eine intensive, ideenreiche Arbeit zugrunde liegt.
Götterdämmerung 3. Akt, Gutrune (Cornelia Ptassek), Foto: Kirsten Nijhof
Die Robert-Schumann-Philharmonie mit einer überaus überzeugenden Darbietung
Der GMD, Guillermo Garcia Calvo, hat mit seiner feinen, durchstrukturierten und zurückhaltenden Lesart für eine enorme Spannung gesorgt, das Forte beim „Trauermarsch“ zur vollen Geltung gebracht, indem er mit großem Crescendo, hell leuchtend, das Schwertmotiv zum Klingen brachte. Er war immer darauf bedacht, die nötige Harmonie zwischen Graben und Bühne herzustellen.
Brünnhilde, die zentrale Figur über alle drei Akte
Stefanie Müther hat diese Rolle eindrucksvoll interpretiert. Sie war in allen Phasen stets eine emotionale, immer von ihrem Herzen geleitete Brünnhilde, ob beispielsweise im ersten Akt ihre aufrichtige Liebe zu Siegfried, im zweiten Akt als betrogene Frau die Beteiligung an der Verschwörung zu Siegfrieds Tod oder im dritten Akt, der mit viel Pathos vorgetragene Schlussgesang. Mit ihrer überaus einfühlsamen Stimme und der entsprechenden Bühnenpräsenz hat die Schweizerin, die, wie so viele ihrer Kolleginnen vom Mezzo kommt, im Handumdrehen die Herzen der Zuschauer erreicht. Ihre dramatische Stimmlage ist sehr wandlungsfähig, sie besitzt eine tragfähige, ausladende Mittellage und wurde am Ende zurecht lautstark gefeiert.
Chor und Sänger erfüllten alle in sie gestreckten Erwartungen
Siegfried: Daniel Kirch, Alberich: Jukka Rasilainen, Hagen: Marius Bolos und Gunther: Pieree-Yves Pruvot, trugen wesentlich zum erfolgreichen Abend bei.
Gutrune und 3. Norn, Cornelia Ptassek, hat mit ihrer klaren ausdruckstarken Wiedergabe einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, ebenso Waltraute, Anne Schuldt, deren intensive Bitte an ihre Schwester Brünnhilde, den Ring wieder den Rheintöchtern zurückzugeben, nicht fruchtete.
Die Rheintöchter, mit zerzaustem Haar und unansehnlichem Outfit, hausen an der Gibichungenrückwand, wo die Heizungsaggregate angebracht sind. Unvorstellbar, dass sie einst im Rheingold das Lustobjekt von Alberich darstellten. Woglinde: Guibee Yang, Wellgunde: Sylvia Rena Ziegler, Floßhilde: Sophia Maeno.
Für den Chor war Stefan Bilz verantwortlich.
Mit der erfolgreichen Götterdämmerung hat die Oper Chemnitz einen besonderen Beitrag zur diesjährigen 875-Jahrfeier dieser Stadt geleistet.
Aufführungen der „Ring“-Zyklen im Januar 2019, Ostern und Pfingsten 2019
Franz Roos