Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CHEMNITZ: EIN MASKENBALL

15.01.2018 | Oper

Chemnitz: „Ein Maskenball“ – 14. 1.2018

Die Zeit ist ein sonderbar Ding – deutsches Regietheater gelegentlich auch. Vermochte Arila Siegert in Chemnitz mit Inszenierungen von „Penelope“ (Fauré), „Freischütz“ und „Onegin“ durchaus zu überzeugen, glückte ihr am Mittelsächsischen Theater Döbeln/Freiberg mit „Anatevka“ eine Aufführung sonder Fehl und Tadel, wirft ihr nunmehr in Chemnitz zur Diskussion gestellter „Maskenball“ denn doch einige Fragen auf.

Nicht zuletzt geht es der Regisseurin darum, den Menschen beherrschende Affekte in den Mittelpunkt ihrer Arbeit zu stellen. Der König wächst als Persönlichkeit, indem er sein Gefühl für Amelia bezwingt, Anckarström scheitert, weil er sich von blindem Hass leiten lässt. Und letztlich erscheinen uns beide als Gefangene ihrer Zeit. Bühnenbildner Hans Dieter Schaal symbolisiert dies mit einem die Szene nach vorn abschließenden Gitter, fährt gewaltige Steinquader auf, die sich unaufhaltsam den Menschen nähern, sie zu zermalmen drohen. Zu Häupten der Wahrsagerin schwebt ein überdimensionaler Steinkoloss, unerbittliches Geschick andeutend. Derlei macht durchaus Sinn und kollidiert auch nicht mit der von der Regie vorgenommenen Verlagerung des Geschehens ins eher Gegenwärtige. Nur hätte es dazu nicht der Schwedenfassung bedurft. Ich will hier nicht über Sinn oder Unsinn eines solchen Verfahrens rechten, das freilich dem Publikum stets die Unfähigkeit zum Ziehen von Analogieschlüssen unterstellt. Wichtig bleibt auf jeden Fall, dem verehrten Betrachter eine sich logisch entwickelnde und auch im Detail nachvollziehbare Sicht zu präsentieren. Und daran hapert es meistens – so auch im zu besprechenden Fall. Ich möchte mich hier nicht an der das Vorspiel bebildernden seltsamen „Grablegung“ aufhängen, frage aber doch an, wieso ein Hofstaat, der keineswegs die plötzliche Eingebung des Herrschers, vermummt bei der Wahrsagerin aufzutauchen, ahnt, im Handumdrehen die dafür erforderlichen Masken und anderes Beiwerk zur Hand hat. Im 2. Bild verbirgt sich der König bewusst vor Ulrica und Amelia, um deren Gespräch zu belauschen. In Chemnitz vereint er sich selbdritt mit den beiden Damen zum Terzett. Da vermag man nur darüber zu rätseln, weshalb er dann nicht gleich die geliebte Frau zum Galgenberg begleitet. Daselbst herrscht ein gewaltiges Unwetter. Zum Glück trägt Gustav den wärmenden Pelz, dessen er sich jedoch schnurstracks (von den Gefühlen erhitzt?) entledigt, um im Hemd das Duett mit Amelia anzustimmen. Dieser Pelz, den er sich zum Zwecke der Vermummung übergestreift hat, ist auch das Objekt des sadistischen Begehrs von Anckarström. In Ermangelung des eigentlichen Mordopfers muss das arme Kleidungsstück die Eifersuchtsattacke des sich betrogen Wähnenden über sich ergehen lassen. Gern bedient sich Arila Siegert ihrer Erfahrungen aus dem tänzerischen Bereich. Bei der erwähnten „Anatevka“-Deutung führte dieses Stilmittel zu einer begeisternden Perfektion. Und auch in Chemnitz erwiesen sich einige Arrangements der Chöre durchaus als einleuchtend, während anderes sich arg aufgesetzt ausnahm.

Musikalisch konnte die Aufführung etliche Meriten für sich verbuchen. Das beginnt mit der dirigentischen Leistung Attilio Tomasellis, der für den verhinderten Guillermo Garcia Calvo den Stab übernommen hatte. Hier stand ein Mann am Pult, den man, wäre er nicht wesentlich jünger, getrost zur alten Garde versierter Kapellmeister rechnen könnte, die das zu dirigierende Werk noch aus dem FF beherrschen und in der Lage sind, mit diesem Können und Wissen um die Dinge, die ihnen anvertrauten Musikanten zu einer überdurchschnittlichen Leistung zu beflügeln. In den Mitgliedern der Robert-Schumann-Philharmonie fand er animierte Gefolgschaft, die beispielhaft demonstrierte, wie hingebungsvoll man Solisten begleiten kann, andererseits aber auch die an dramatischen Impulsen reiche Partitur wirkungsvoll umsetzte. Das war glutvoller Verdi pur! Ein gleiches Lob gebührt den von Stefan Bilz präparierten Damen und Herren des Chores, die, trotz manchen choreographischen Extras, klangschön und darstellerisch engagiert ihren Dienst versahen.

Als König kehrte Ho-Yoon Chung weniger den Herrscher als den liebenden, zum Verzicht bereiten Mann hervor. Stimmlich gut aufgelegt, bereitete ihm der Part keinerlei Probleme, und in der großen Szene vor dem Ball lief er zu einer überaus beeindruckenden Form auf, die vergessen ließ, dass sein Timbre wohl eher dem französischen als dem italienischen Fach entspricht. An seiner Seite stand mit Maraike Schröter (Amelia) eine Sopranistin, deren fundierte Technik und vokale Präsenz dem Tenor durchaus Paroli bieten konnte, wenn gleich auch sie weniger im italienischen Bereich beheimatet sein dürfte, tendiert doch ihre klangliche Geste eher zum Deutschen oder Slawischen. In diesem Zusammenhang durfte Paolo Rumetz (Anckarström) ein Heimspiel genießen. Der Italiener wartete mit einem prächtigen Bariton auf, den es beim „Eri tu“ dennoch an letzter belkantesker Delikatesse mangelte. Eher Mezzo denn pastoser Alt nahm sich Alexandra Ionis mit Geschick der Ulrica an, während die spielfreudige Silvia Micu (Oscar) mit perlenden Koloraturen die eigenwillige Sicht der Regisseurin mit Leben erfüllte. Bei den kleineren Aufgaben imponierte der stimmgewaltige Horn Magnus Pionteks.

  Joachim Weise

 

 

Diese Seite drucken