Maraike Schröter (Eva), André Riemer (David) und Tiina Penttinen (Magdalena) in der Premiere von Wagners „DIE
MEISTERSINGER VON NÜRNBERG“ am Opernhaus Chemnitz
Eine große Premiere in Chemnitz: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG von Richard Wagner (19.03.2016)
Es mag ja sein, dass der Generalintendant vor dem Vorhang einer Premiere nicht unbedingt eine „frohe Botschaft“ zu verkünden hat – in diesem Falle erklärte Dr. Christoph Dittrich, dass der Sänger des Walther von Stolzing infolge Erkrankung sehr kurzfristig absagen musste und in letzter Minute in Daniel Kirch ein Einspringer verpflichtet werden konnte, der die Premiere rettete. Das allein verdient schon Anerkennung; wenn es dann nicht nur mit einer grandiosen gesanglichen Leistung, sondern auch mit einer darstellerischen Qualität geschieht, die den Umstand des Einspringens schon nach wenigen Minuten vergessen ließ, spricht das nicht nur für diesen „Einspringer“ sondern auch für eine Inszenierung, die eben für Leute, die das Stück kennen „kompatibel“ ist, in der sich ein Stückkundiger nicht nur frei entfalten, sondern gleichsam inspirierend bewegen konnte – ein beglückendes Erlebnis, schön, dass es so etwas auch noch (und eben auch mal wieder!) gibt…
Franz Hawlata, Roman Trekel. Copyright: Theater Chemnitz
Über eine Viertelstunde begeisterter Beifall eines dankbaren Publikums am Schluss der über fünfstündigen Aufführung – das hat es selbst in Chemnitz nicht oft gegeben, es zeugt davon, dass Werk und Wiedergabe im Ganzen großartig gelungen waren, ein großer Tag für alle Solisten, den vorzüglichen Chor und Extrachor der Oper Chemnitz, der bezüglich der Lehr-buben durch ausgezeichnete Chorgäste verstärkt wurde und – nicht zuletzt! – die sicher und umsichtig musizierende Robert-Schumann-Philharmonie: diese Aufführung wird dem Theater für lange Zeit Freude und Erfolg bereiten.
Eigentlich ist es nur eine Fußnote der Werkgeschichte, die das Chemnitzer Regie-Team auf eine überraschende, letztlich aber stimmige Werk-Sicht brachte: Wagner schreibt in „Mein Leben“, dass 1861 bei Besichtigung des Dogenpalastes in Venedig „Tizians >Himmelfahrt der Maria< … eine Wirkung erhabenster Art auf mich ausübte, so daß ich seit dieser Empfängnis in mir meine alte Kraft fast wie urplötzlich wieder belebt fühlte. Ich beschloß die Ausführung der >Meistersinger<“ Und Regisseur Michael Heinicke beginnt folgerichtig mit Richard Wagner selbst, der in einen großen Museumraum kommt und vor eben diesem Bilde verweilt, unter dessen Eindruck wird seine Phantasie beflügelt und es entsteht ein Spiel mit Menschen seiner Zeit. Peter Sykora baut nicht nur diesen „Kunst-Raum“, sondern kleidet auch die Menschen in historische Kostüme. Auf diese Art entsteht ein sehr phantasiereicher Rahmen, in dem das Stück nahezu „original“ ablaufen kann, soll heißen: in keiner Szene wird etwas gewaltsam verändert, man vertraut Wagner, dem magischen Theatermenschen. In dieser Besinnung auf die Visionen des Schöpfers entstehen neue Räume, durchaus auch neue Bilder – sie wirken aber nie „aufgesetzt“, sie folgen der Wagnerschen Dramaturgie. Und in diesem Sinne ist die Inszenierung kompatibel mit dem tradierten Bild, das man vom Stück haben mag. Sie wirkt, bei aller Betonung des Kunstrahmens, sehr menschlich direkt, die Figurenbeziehungen sind meisterhaft ausgearbeitet. Auf diese Weise gelingt eine Lesart und Spielweise, die nicht das Festlich-Pathetische, sondern wohltuend das Menschliche, auch den Humor bedient. Das findet seine Entsprechung auch im Musikalischen, denn Frank Beermann zelebriert das Werk nicht, sondern behandelt es mit einer wohltuenden Leichtigkeit und Transparenz, die falsches Pathos gar nicht erst aufkommen lässt. Selten habe ich erlebt, dass Musik und Szene so miteinander verbunden sind – es ist Team-Work im besten Sinne.
Dazu kommt eine Solisten-Besetzung, die sich auch über Chemnitz hinaus sehen und hören lassen kann: über den Stolzing von Daniel Kirch habe ich eingangs schon geschrieben, seine Leistung war in jeder Hinsicht bewundernswert. Franz Hawlata bringt für den Sachs neben Souveränität des Auftretens besonders eine gewaltige Portion Humor mit, die dem Schusterpoeten voll entspricht, seine große sängerische Erfahrung erlaubt es ihm, nicht nur glänzend durchzuhalten, sondern selbst im 3. Akt noch Akzente zu setzen. (Und endlich beweist ein Regisseur einmal, dass die so gefürchtete Schlussansprache nichts mit Agitation und Nationalismus zu tun hat, sondern dass Sachs dort wirklich mit Stolzing „abrechnet“, dass er zornig wird und den jungen Wilden sehr handgreiflich in die Schranken weist – so hat das Wagner gemeint: Sachs nimmt Partei für die Kunst und ihre Meister und stößt den arroganten Herrn Ritter sprichwörtlich von seinem hohen Pferd. Eine großartige Umsetzung der oft so mißverstandenen Szene – von Hawlata mit starker Präsenz verkörpert!) Roman Trekel ist genau das Gegenteil von Sachs, ein todernster, stets misstrauischer Gegenspieler, der dadurch zum Partner auf Augenhöhe wird, der alles meidet, was in Richtung Karikatur gehen könnte. Er ist ein wirklicher Gegenspieler und singt die Partie makellos (den Abgang in der Schusterstube mit einem hohen a krönend, um das ihn mancher Tenor beneiden dürfte!) Und er ist einer, der zum Lernen fähig ist: nach seinem „aus“ auf der Festwiese kommt er zurück, hört mit Interesse das Lied, an dem er so kläglich scheiterte und reicht letztlich Stolzing die Hand – eine große Geste, von Trekel überzeugend gespielt! Für das Evchen kann Maraike Schröter eine sicher geführte, gesunde Stimme einsetzen, die alle Klippen der Partie mühelos meistert, ihr Vater Pogner wird von Kouta Räsänen mit einem selten schönen schwarzen Bass geadelt. Matthias Winter kann als Kothner mit einem großen durchschlagsfähigen Bariton punkten, müsste allerdings die Koloraturen bei der Tabulatur-Verlesung deutlicher fokussieren. Etwas verhalten schien mir das zweite Paar, André Riemer schien sich als David bei Stolzing für seine Belehrungen eher entschuldigen zu wollen, statt besserwisserisch aufzutrumpfen, Tiina Pettinen mochte ich trotz ihrer beachtlichen Stimme nicht recht glauben wollen, dass sie ein erotisches Interesse an David haben könnte. Die übrigen Meister waren differenziert und klangschön besetzt.
Garant einer jeden „Meistersinger“-Aufführung sind die großen musikalischen Kollektive, das Orchester an vorderster Front: die Robert-Schumann–Philhamonie ist dem Werk ein souveräner Grundpfeiler, die Streicherkultur, die Delikatesse der Holzbläser und das sehr kultivierte Blech sind Markenzeichen besonderer Art. Ihre jahrelange Beschäftigung mit Wagner macht sich sehr positiv bemerkbar, die piano-Kultur, mit der sie über weite Strecken den Dialog auf der Bühne überhaupt erst ermöglichten, muss ich besonders hervorheben. Großes Kompliment ebenso an den verstärkten Opernchor und seinen Leiter Stefan Bilz, klanglich oft von ausgewogener Schönheit, präzise in den heiklen Passagen und – besonders in der Prügelszene und auf der Festwiese – von außerordentlicher darstellerischer Agilität. Ein besonderes Lob den Lehrbuben (von Pietro Numico einstudiert).
Im Programmheft findet sich der schöne Satz: „Mit der Kunstproduktion geht es immer weiter, wohl wissend, dass das, was vorher war, nicht schlechter ist als das, was kommt.“ Das ist nicht nur ein auf dieses Werk bezogener guter Ausspruch, sondern es stellt diese wichtige Aufführung auch in Beziehung zu dem, was in Chemnitz überhaupt geleistet wurde und wird. Es war die vierte „Meistersinger“-Inszenierung, die ich an diesem Haus erleben durfte, jede hatte ihr eigenes Profil, hatte besondere Meriten. Ich stehe mit voller Über-zeugung dazu, dass sie – nehmt alles nur in allem – die beste war.
Chemnitz ist wieder einmal eine Reise wert gewesen.
Werner P. Seiferth
Schlußszene mit Thomas Piffka (Stolzing), Franz Hawlata (Sachs), Maraike Schröter (Eva) du Roman Trekel (Beckmesser)