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CHEMNITZ: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG – mit konservativem Outfit

11.04.2016 | Oper

Richard Wagners „Meistersinger“ im Theater Chemnitz – MIT KONSERVATIVEM OUTFIT

Richard Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ am 10. April 2016 im Theater/CHEMNITZ

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Copyright: Dieter Wuschansky

Wolfgang Wagner hat bei Michael Heinickes Inszenierung von Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ deutlich Pate gestanden, auch wenn hier die Bühne nicht ganz so bunt aussieht wie bei der legendären Bayreuther Inszenierung. Dafür sind wir hier ganz im 16. Jahrhundert angekommen. Heinicke trägt der Tatsache Rechnung, dass Wagner durch Tizians Bild „Mariä Himmelfahrt“ in Venedig die entscheidende Inspiration für dieses Werk erhielt. Kunst kommt immer von Kunst, lautet das Fazit dieser zwar konservativen, aber interessanten Aufführung. Dieser Raum wird von Wagners Inspiration her entwickelt und mutiert zum imaginären Museum, dessen Innenleben sich von Akt zu Akt ändert und verfremdet. Vieles gerät dabei durcheinander, vor allem die Wäscheleine mit den Schriftstücken, die Schriftrolle und die roten Stühle lassen viel Inspirationskraft zu. Deutlich wird, dass dabei keine gesellschaftlichen Konflikte ausgetragen werden. Die treten erst bei der Prügelszene zutage, wenn sich Sixtus Beckmesser mit seinem missglückten Minnegesang vor der Menge blamiert. Dass Eva, die Tochter des Goldschmieds in Nürnberg, Walther von Stolzing liebt, wird bei der Inszenierung sofort deutlich. Nürnberg war in der Zeit des Hans Sachs eine Reichsstadt mit einer hohen Kunstproduktion – auch dies bringt die Inszenierung zutage. Eva sieht nur einen Ausweg: Walther von Stolzing muss innerhalb weniger Stunden zum Meistersinger werden. Hilfesuchend wendet sich Eva an ihren alten Freund und Nachbarn Hans Sachs, der dann dafür sorgt, dass Eva und Walther nach allerlei Turbulenzen wirklich ein Paar werden. Michael Heinickes Museumsraum spiegelt wider, dass Nürnberg damals eine europäische Weltstadt war. Einzig ein Bild aus der deutschen Romantik fällt aus diesem Rahmen heraus: Nämlich das Werk des Nazareners Johann Friedrich Overbeck, der ein Bild gemalt hat mit zwei bildhübschen Frauen und es „Italia und Germania“ nannte. Michael Heinicke will diesen Raum bei seiner vielschichtigen Inszenierung ganz bewusst in diese Zeit verlegen, die durch die deutschen Faschisten noch nicht belastet war. Das Abgrenzen von deutscher und welscher Kunst soll so einen anderen Charakter bekommen. Wagner steht bei der Inszenierung Heinickes vor dem Gemälde und vor seinen Augen entsteht das Bild der Künstlerschaft und Bürgerschaft Nürnbergs. Präzis verdeutlicht der Regisseur Michael Heinicke, dass alle Auseinandersetzungen in diesem Stück mit Hans Sachs zusammenhängen, der erheblich schlauer und empfindsamer ist als die anderen.

Der gewaltige künstlerische Konflikt wird an der Figur des Beckmesser deutlich. Beckmesser beherrscht zwar alle Regeln der Kunst, wagt aber nicht den kleinsten Schritt weg von der Tradition. Walther von Stolzing gelingt es dann, die Meister mit seinem ungewöhnlichen Gesang zu verunsichern. Das stellt Heinickes Inszenierung in hervorragender Weise heraus. Hans Sachs dagegen plädiert deutlich für die Zukunftspoesie. Wie schwierig es ist, die verschiedenen künstlerischen Meinungen innerhalb der Gesellschaft zu akzeptieren, macht bei dieser insgesamt gelungenen Aufführung die große Prügelfuge im zweiten Akt deutlich. Richard Wagner hat dabei deutlich vor denen gewarnt, die allzu laut tönen und Dinge für sich benutzen. Das kommt bei der Inszenierung ebenfalls eindringlich zum Vorschein. Sachs weist im Wahn-Monolog darauf hin, dass in diesem Fall von der Kunst nicht mehr viel übrig bleibt. Peter Sykora ist bei der Aufführung für das historische Spiel mit den Kostümen und auf der Bühne verantwortlich. Wagners Tizian-Vision ist dabei rückwärtsgewandt und nach vorne schauend zugleich. Die Kostümierung beginnt mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und endet daraufhin in der deutschen Renaissance. Alles ist erträumt, das ist die entscheidende Aussage. So kommt es zu einer elektrisierenden Reibung zwischen den einzelnen Zeiten. Die Robert-Schumann-Philharmonie unter der einfühlsamen Leitung von Frank Beermann beweist vor allem in den Streicher-Passagen immer wieder spieltechnischen Schmelz, auch wenn die Wucht der Ouvertüre bei manchen Passagen eher unterzugehen scheint. So könnte der Ausdruck festlicher Größe nämlich noch stärker werden. Vor allem die plastische Klarheit der Themen kommt aber ausgezeichnet zur Geltung. Das gilt auch für die reizvolle Polyphonie des Stimmgewebes. Das von den Blechbläsern eingeführte und von den Streichern emotional aufgegriffene Fanfarenmotiv kann sich gleichwohl majestätisch behaupten. Auch das lebhaft vorwärtsdrängende Synkopenmotiv vernachlässigt Beermann nicht. Und die blühende Liebesmelodie von Walthers Preislied besitzt aufgrund der tenoralen Strahlkraft von Thomas Piffka große Ausdruckskraft. In doppltem Tempo macht sich das Meistersinger-Thema bemerkbar, insbesondere das Liebesdrängen wird immer wieder facettenreich erfasst. In der gewaltigen C-Dur-Steigerung im Finale können sich vor allem die Damen und Herren des Opernchores und des Extrachores der Oper Chemnitz sowie der Chorgäste behaupten. Die Bässe markieren bei dieser Wiedergabe sehr sonor das kraftvolle Meistersinger-Thema.

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Maraike Schröter, Thomas Piffka. Copyright: Dieter Wuschansky

Frank Beermanns „Meistersinger“ sind aber in Chemnitz gegenüber dem „Ring des Nibelungen“ und „Tristan“ absolut kein musikalischer Rückschritt. Gerade das Zukunftsweisende und Revolutionäre der Musik Richard Wagners wird hier herausgestellt. Das Pittoreske und Singspielhafte der Musik tritt auch immer wieder deutlich hervor. Die Eingängigkeit und Stimmungsdichte der Partitur zeigt sich sehr gut bei Derrick Ballard als Hans Sachs und Jörn Schümann als Hans Schwarz, die mit ihren fulminanten Bässen das Publikum als geschickte „Einspringer“ begeistern. Roman Trekel überzeugt ferner als filigraner Sixtus Beckmesser, der dem Zickzackkurs seiner melodischen Linien exzellent gerecht wird. Kouta Räsänen als Veit Pogner, Matthias Winter als Fritz Kothner, Tommaso Randazzo als Kunz Vogelgesang, Andreas Kindschuh als Konrad Nachtigall sowie Marcus Sandmann als prägnanter Balthasar Zorn verblüffen durch den Klangfarbenreichtum und das kernige Pathos ihrer Gesangsstimmen. Schwellende Nonenakkorde werden der schwärmerischen Gefühlswelt Evas und Walthers hier sehr gut gerecht und von Thomas Piffka als Walther und Maraike Schröter als Eva plastisch verdeutlicht. Der kunstvolle Geist der Polyphone und der Form- und Ausdrucksvielfalt lebt außerdem in den Arabesken und Girlanden von Edward Randall als Ulrich Eißlinger, Jürgen Mutze als Augustin Moser, Andreas Beinhauer als Hermann Ortel und Wieland Müller als Hans Foltz deutlich auf. In weiteren Rollen können sich Andre Riemer als David und Tiina Penttinen als Pogners Haushälterin Magdalene sowie Johannes Wollrab als Nachtwächter behaupten. Wandlungsfähige Lehrbuben sind ferner Carolin Schumann, Lena Wunder, Jasmin Jablonski, Nadiya Zelyankova, Johannes Pietzonka, Thomas Fröb, Ilja Martin Schwärsky (abwechselnd), Walter Farmer Hart, Wesselin Busew, Thomas Seidel, Benjamin Mahns-Mardy, Matthias Eger und Peter Potzelt.

Die Chöre hat Stefan Bilz mit opulenter Brillanz einstudiert. Matthias Vogels Lichtgestaltung taucht die Bühne wiederholt in reizvolle Schattierungen. Frank Beermann arbeitet die in den „Meistersingern“ glanzvoll vorherrschende Diatonik sowie das „Stahlbad in C-Dur“ (Ernst Bloch) mit der Robert-Schumann-Philharmonie markant heraus. Das leitmotivische Wechselspiel zeigt sich dabei in reizvoller Weise nicht nur im Orchester, sondern auch im Bühnenbild, das von Akt zu Akt immer mehr durcheinander gerät und zuletzt eine eigene Wohnung mit großem Bücherregal innerhalb des großen Auditoriums zeigt, in der Walther Hans Sachs seine Preis-Arie probeweise vorträgt. Das Austauschen und Schichten zeigt sich also gleichsam visuell und musikalisch, was höchst sinnvoll ist und die Zuschauer stark beeindruckt. Auch den Marschcharakter lässt Frank Beermann mit dem Orchester zuweilen regelrecht grell aufblitzen. Das plötzliche Es-Dur bei Beckmessers Eintritt mit dem Staccato der aufgeregten Holzbläser besitzt feurige Akkuratesse. Und das Lautenständchen in G-Dur gewinnt dank Roman Trekel schwungvolle Emphase mit kühnen Quartengängen.

Grandios wirkt in Chemnitz das große Chorfinale, wobei vor allem die Blechbläser noch steigerungsfähig sind. Und der schmerzvolle Seufzer des Hans Sachs  bei der Stelle „Halt, Meister! Nicht so geeilt!“ gewinnt im ersten Akt innerhalb des Orchesters große Detailgenauigkeit. Die dichterische und kompositorische Meistertechnik wird von Frank Beermann auf die Spitze getrieben. So erhielt das gesamte Ensemble zuletzt mit Recht großen Jubel. 

Alexander Walther                

 

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