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CHEMNITZ: DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG am Ostersonntag

18.04.2017 | Oper

Chemnitz: „DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG“ am Ostersonntag – 16.4.2017

Die Chemnitzer „Meistersinger“ sind ein Musterbeispiel meisterhafter Theaterarbeit. Michael Heinicke, ein alter Theaterhase (es ist ja gerade Ostern) und viele Jahre lang Operndirektor des Hauses, hat als Abschiedsproduktion von seiner erfolgreichen Walstatt im Vorjahr in einem variablen Einheitsbühnenbild (Peter Sykora) das personenreiche Stück mit einer solchen Vielzahl an aussagekräftigen Details hinsichtlich Personenführung und Requisiteneinsatz inszeniert, dass man sich bei der Erstbegegnung nur noch fragen kann, warum andere Regisseure jemals damit Probleme gehabt haben. Richard Wagner gibt in seiner Musik, in seinem Text und den Regieanweisungen so viel vor, lässt aber zugleich so vieles für persönliche Ideen der Interpreten offen, dass die Ausarbeitung von Einzelheiten eigentlich in jedem Fall ein Riesenvergnügen sein müsste.

Wenn ich bloß das Faktum festhalte, dass innerhalb der historisch konzipierten Kostümierung (ebenfalls von Peter Sykora) zwar alle Meister sich die gleichen leuchtenden, kostbar aussehenden, bestickten Schleifen mit einer goldenen Harfe darauf umhängen, aber jeder Meister individuell gekleidet ist und sie alle in ihren wichtigen Szenen im 1. und 3.Akt individuell agieren und reagieren, Plätze tauschen, Gruppen bilden, in ihren Gesten und ihrer Singweise optich für Abwechslung sorgen, so wird damit nicht nur das Publikum pausenlos unterhalten, sondern diesem auch klar gemacht, in welchem Ausmaß diese Wagner‘sche Komödie das Werk eines Theatergenies ist, als welches er sich mit dieser Oper  einen nicht nur großen, sondern auch höchst amüsanten, mit Ironie gewürzten Hymnus auf die eigene berufliche Tätigkeit geschrieben hat.

Bedenkt man, dass diese Produktion zudem nicht mit einem einzigen “großen Namen“ aufwarten kann, nichsdestotrotz aber sämtliche Darsteller, ob Solisten, Chormitglieder oder Statisten, ihre Rollen voll ausfüllen – mit unübersehbarer Freude daran – , so bleibt nur noch Bewunderung für das hier Geleistete. Wozu noch die Tatsache beiträgt, dass drei Tage hintereinander solche  Riesenbrocken gespielt wurden.

Wenn auch der designierte GMD Guillermo Garcia Calvo (bekanntlich in Wien sesshaft und an der Staatsoper bisher vor allem mit Ballett und italienischer Buffa im Dirigiereinsatz, aber auch in Bayreuth tätig) an diesem Abend wahrscheinlich erst das 2.Mal (zuvor am 1.April) die „Meistersinger“ dirigiert hat, sodass eine vollkommen perfekte Wiedergabe einfach nicht denkbar ist, so konnte er doch ein respektable Leistung erzielen, den großen Apparat gut zusammenhalten und mit etlichen gut herausgearbeiteten Höhepunkten ein Versprechen für die Zukunft einlösen. Bedenkt man zudem, dass zwar die pure Klangqualität der Chemnitzer Musiker bzw. ihrer Instrumente nicht an jene des Wiener, Dresdner, Berliner oder Münchner Opernorchester herankommt und die Zahl der Streicher geringer ist, so bleibt doch als Faktum, dass die Aussage der Musik sich klaglos dem Publikum mitteilte. Ihre Komplexität, ihre kontrapunktische Brillanz, ihr melodischer Einfallsreichtum,  Ihr Witz, ihre Ironie und dann im 3.Alt die lebensbejahende Kraft teilten sich dem Hörer mit.                                                                                                                                                   

Das Beglückendste an der Inszenierung waren denn auch die großen positiven Momente. Dass der Wert der sog. Meister, die sich ausschließlich an vorgegebene Regeln halten,  anzuzweifeln ist, dafür hat Wagner zur Genüge selbst gesorgt – das braucht nicht erst ein Regisseur zu „erfinden“, dass aber Sixtus Beckmesser, nachdem er versungen und vertan hat, die Kraft aufbringt, dem Pogner das „Meisterreis“ zur Weiterreichung an Stolzing zu überreichen, ist eine Großtat, und er gratuliert sogar am Ende dem glücklichen Paar. Und wie oben pauschal angedeutet, sind auch die einzelnen Meister nicht immer sofort einer Meinung über das Gehörte. Das Chemnitzer Nürnberg  beherbergt also eine Menge interessanter Persönlichkeiten. Sie können dennoch einmal, in der Johannesnacht, komplett ausrasten. Wie da binnen Minuten plötzlich jeder auf jeden einschlägt, das wurde auch sehr gut gebracht, nämlich so, dass kein Mensch genau sagen konnte, wie es eigentlich dazu gekommen ist. Hier gilt es, ein großes Pauschallob an den Chor (Stefan Bilz) auszusprechen, der in dieser Wirrnis ebenso gut sang wie er auf der Festwiese seine unterschiedlichen Kommentare abgab.

Eine wahre, auch stimmliche Glanzleistung bot Jacek Strauch (zwei Tage zuvor der Amfortas) als Hans Sachs. Sein angenehmer, voll und weich klingender Bariton, steigerungsfähig an Kraft und Ausdruck bis zum finalen Lob der „heil’gen deutschen Kunst“ war geradezu verblüffend. Ohne sich groß aufzuspielen, machte er doch alle Gefühle des Schusterpoeten sicht- und hörbar und wurde natürlich zum Sympathieträger Nummer eins. Aber auch dem Stolzing-Sänger gelang dies. Wolfgang Schwaninger sah nicht nur wie ein junger Ritter aus, sondern spielte ihn auch gewandt und erfreute mit seiner tenoralen Strahlkraft. Eine optisch glaubwürdige Tochter des reichen Goldschmieds Veit Pogner stellte Maraike Schröter mit viel fraulicher Würde und klangvollem Sopran auf die Bühne, trefflich flankiert von der Magdalene Tiina Penttinen. Köstlich deren Freund David, den André Riemer humorvoll und mit markanter Diktion gestaltet. Die Reihe der Meister führt neben Sachs natürlich der Beckmesser in Gestalt von Martin Kronthaler an. Er muss keinen edlen Bariton haben, aber er muss damit „agieren“ können. Und das konnte dieser spielbegabte Tiroler, der uns mit unzähligen „Gesichtern“ unterhielt, oder auch verstörte, und seine Verärgerung über den Liebes- und Sangesrivalen zu einer großen Komödie werden ließ. Aber er tat einem dann auch leid, umso mehr, als er seine Dummheit einsah. Eine nicht alltägliche Rollenauffassung. Pogner und Kothner, Magnus Piontek und Matthias Winter,  hatten keine auffallenden Stimmen, aber gute, würdevolle Bühnenpräsenz.

Sehr erfreulich war auch die gute Beleuchtung, die es uns den ganzen Abend hindurch ermöglichte, in den Gesichtern der Sängerdarsteller zu lesen und eine situationsgemäße Stimmung aufkommen zu lassen. Wie anfangs gesagt: großartiges Theater!

Sieglinde Pfabigan

 

 

 

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