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CHEMNITZ: DER ZWERG

20.11.2015 | Oper

Chemnitz: „DER ZWERG“ – 18. 11.2015

 Wieder einmal blieb Intendant Christoph Dittrich seinem hochlöblichen Vorhaben treu, in Chemnitz vernachlässigten Werken neues Bühnenleben einzuhauchen, treu und verhalf nunmehr Alexander von Zemlinskys „Zwerg“ zu einer alles andere als durchschnittlichen Wiedergabe. In Walter Sutcliffe fand er dabei einen fantasievollen, sich bedingungslos in den Dienst dieser Oper stellenden Regisseur, und Frank Beermann, musikalischer Chef des Hauses, hat sich schon in den von ihm geleiteten Konzerten vehement für Zemlinsky eingesetzt und darüber hinaus Komponisten aus dessen Umkreis (Schreker, Korngold) nicht nur auf der hiesigen Opernbühne gebührend berücksichtigt. Mithin verschrieb sich die von ihm geleitete Robert-Schumann-Philharmonie ohne Abstriche einem Meister, dem erst seit den achtziger Jahren erneute Beachtung zuteil wird. Beermann kostete den spätromantischen Gestus der Partitur bis ins ins letzte Detail aus, spornte alle Instrumentengruppen mit Verve dazu an, förmlich ihr Letztes zu geben, beleuchtete aber auch jene Passagen, bei denen Zermlinsky gewohntes Terrain verlässt, zu Neuem vorstößt, ohne sich freilich

auf die Bahnen seines Schülers und Schwagers Arnold Schönberg zu begeben. Allein dieses orchestrale Engagement, das nicht immer der Gefahr entging, gegenüber den Solisten das Primat zu behaupten, war den Besuch des Abends wert. Vielleicht verführte diese erwähnte Gefahr die von ihrem neuen Chef Stefan Bilz und Nikolaus Müller einstudierten Damen des Chores, anfänglich etwas zuviel des Guten zu geben.

 In seinem achtbaren Bemühen, die Geschichte eines unglücklichen, von seiner Umwelt tödlich verletzten Menschenkindes ohne modischen Aufputz zu erzählen, standen Walter Sutcliffe zwei treffliche Mitstreiter zur Seite: Okarina Peter und Timo Dentler, die gemeinsam für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich zeichneten. Und weil es sich um den Geburtstag einer Infantin handelt, dominieren Geschenkpakete überdimensionalen Ausmaßes die Szene. Das Innere dieser Pakete nutzen die Ausstatter, sich geschickt der Möglichkeiten der Drehscheibe bedienend, um unterschiedliche Handlungsorte anzudeuten. Derlei versieht die Aufführung mit Leben, wirkt keinesfalls aufgesetzt. Sehr durchdacht nimmt sich der Einfall aus, einen dieser Orte mit einem Spiegel zu versehen, den der Zwerg, völlig vom ritterlichen Dienst an seiner Dame eingenommen, partout übersieht. Erst nach dem Tanz mit der oberflächlichen Clara, sich vor einem dieser glitzernden Pakete, einer Art ihn von der Gesellschaft isolierenden Trennwand, wiederfindend, nimmt er sein bedauernswertes Äußere (ein verunstalteter Kopf) wahr und begreift voller Schmerz, einer Welt ausgesetzt zu sein, in der der Schein das Sein bestimmt. Diesen argen Weg der Erkenntnis verstärkt ein das Geschehen grell erhellender, in das Publikum gerichteter Scheinwerfer, der bis zum Ende des brutal Getäuschten seinen erbarmungslosen Dienst versieht.

 Dan Karlström, nicht nur angesichts seiner Körpergröße für diese Aufgabe prädestiniert, lotet den Titelhelden bis in die kleinste Nuance darstellerisch überragend aus. Wunderbar die Naivität, die ihn glauben lässt, der Hofstaat lache mit ihm – statt über ihn. Zutiefst berührend sein aufrichtiges Werben um die ihn als Spielzeug betrachtende und missachtende Infantin und herzergreifend schließlich der kreatürliche Schmerz während und nach der Begegnung mit seinem eigentlichen, von der Verehrten mit Hohn übergossenen Ich. Vokal waren seinem im Buffo- und lyrischen Fach beheimateten Tenor freilich bei diesen Ausbrüchen einige Grenzen gesetzt. Andere Bühnen vertrauen den Part ohnehin heldischeren Stimmen an. Mit derartigen Problemen hatte die Clara Maraike Schröters kaum zu kämpfen, deren lyrisch-jugendlicher Sopran sich auch gegenüber auftrumpfenden Orchesterwogen ohne Einbuße behauptete, dafür nahm ich der Sängerin das kapriziös Oberflächliche ihrer „Prinzessin Eisherz“ weniger ab. Mit einer weit über die ihr bislang anvertrauten Aufgaben im Soubrettenbereich herausragenden Leistung wartete Franziska Krötenheerdt als Ghita auf. Wie sie auf knappem Raum die Entwicklung von einem seiner Herrin gedankenlos folgenden Gänschen zu einer warmherzig mitfühlenden Frau gestaltete, zählte zu den absoluten Höhepunkten dieser Aufführung. Nach einer gewissen Aufwärmphase fand sich Kouta Räsänen humorvoll in die weniger dankbare Partie des Don Estoban. „Wie der Herre, so’s Gescherre“ – dieses geflügelte Wort dürfte über den Auftritten der drei Zofen stehen, an denen sich Jana Büchner, Guibee Yang und Tiina Penttinen voller ungebremster Spielfreude weideten.

 Und wenngleich zur dritten Vorstellung in Bezug auf die Auslastung nicht alle Blütenträume reiften,wurde die Inszenierung von den Anwesenden dankbar und überaus herzlich anerkannt.

  Joachim Weise

 

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