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CHEMNITZ: CHESS. Musical von ABBA/ Tim Rice

17.10.2015 | Operette/Musical

Chemnitz: „CHESS“ – 16. 10. 2015

 Trotz der Tatsache, dass Tim Rice von seiner Königin zum Ritter geschlagen wurde, will ich die bereits an anderer Stelle geäußerten Zweifel an der Qualität der Texte dieses Mannes hier nicht nochmals in allen Details heraufbeschwören. Immerhin durfte Lloyd Webbers qualitativ anspruchsvollstes Musical „Cats“ (wie übrigens später auch „Das Phantom der Oper“) der Mitarbeit dieses Autors entbehren. „Chess“ (Schach) – im Teamwork mit den ABBA-Barden Benny Andersson und Björn Ulvaeus entstanden – bekräftigt die oben erwähnten Einwände. Rice verfährt wiederum nach einem freilich für ihn bewährten Rezept. Man nehme zwei oder drei sich als Hits entpuppende Titel (bei „Evita“ reichte einer aus) und garniere diese mit einer mehr oder weniger dazu passenden, mitunter arg zusammengeschusterten Handlung. Im speziellen Fall muss dafür eine in Zeiten des Kalten Krieges stattfindende Schach-Weltmeisterschaft herhalten, bei der sich die Vertreter der beiden gegnerischen Großmächte gegenüberstehen. Dergleichen könnte, eingedenk historischer Parallelen, durchaus eine gewisse Delikatesse besitzen. Leider bedient sich Rice lieber arg abgenutzter Klischees (die Frau zwischen zwei Männern usf.) und scheut dabei keinesfalls die Niederungen der Kolportage. Immerhin legten die ABBA-Leute im Gegensatz zu ihrem britischen Kompagnon ab und an Brauchbares vor, das nicht nur von einigen echten „Treffern“ zehrte.

 Die Chemnitzer Erstaufführung zehrte gleichfalls – und zwar von einem uneingeschränkt begeisternden Engagement sämtlicher Beteiligten, das dieser Spielplanposition mit allen zur Verfügung stehenden Kräften zum Erfolg verhelfen wollte. So war Thomas Winter ein Regisseur, der seine reichen Erfahrungen innerhalb dieses Genres erfolgreich für eine szenische Umsetzung nutzte, die es sich temporeich angelegen sein ließ, diverse Mängel  des Originals virtuos zu überspielen. Für dieses Anliegen stand ein geeigneter Bühnenbildner bereit – Ulv Jakobsen, dessen Entwürfe das angestrebte Tempo ermöglichten und mittels eines durchdachten Einsatzes der Hydraulik gar manch optischen Effekt bewirkten. Dem Künstler waren außerdem die den jeweiligen Charakteren genau angepassten Kostüme zu verdanken, die (Ausnahme – die Figur der Swetlana) Peinliches aller Art vermieden. Auch Choreograph Danny Costello darf nicht vergessen werden. Unter seiner Leitung begeisterte das Ballett Chemnitz einerseits furios dahinwirbelnd, andererseits das Schachspiel der beiden Kontrahenten präzis simultan verdeutlichend.

 In Tom Bitterlich und der Robert-Schumann-Philharmonie besaß die gelegentlich sinfonische Gefilde avisierende Partitur mit Elan in allen Sätteln beheimatete Sachwalter. Hier war Freude am Detail ebenso angesagt wie ein lustvolles Musizieren, das manche Schwäche der Vorlage in den Hintergrund verwies, jedoch ab und an über das Ziel hinausschoss und mithin in puncto Lautstärke die Verständlichkeit der Solisten (trotz Mikroport) unzulässig beeinträchtigte. Aber vielleicht erwies sich das angesichts der von Kevin Schroeder übersetzten Texte nicht einmal als Nachteil. Auch den keineswegs sparsam geforderten Damen und Herren des Chores (Einstudierung: Tom Bitterlich und Nikolaus Müller) sei an dieser Stelle ein Lob ausgesprochen.

 Nimmermüde Spielfreude zeichnete den Trumper Patrick Stankes aus, eines Darstellers, der den dankbaren Part ohne Abstriche auskostete und diesen widersprüchlichen Charakter in zahlreichen Facetten vorführte. Dem stellte Sascha Mang (Schiedsrichter) ein in prächtigen Farben schillerndes Schlitzohr gegenüber. Als in ihren Gefühlen hin- und hergerissene Florence bewährte sich die bereits mit der Rolle vertraute Roberta Valentini, nur anfangs vokal zu grell auftrumpfend. Dem von Rice ziemlich eintönig angelegten Sergievsky verhalf Matthias Otte mittels bewusst vornehmer Zurückhaltung, nach der Pause stimmlich aus dem Vollen schöpfend, zu überaus ansprechender Wirkung. Der Sergievsky beigeordnete Apparatschik hört auf den Namen Molokow. 

Das ruft bei des Russischen kundigen Zeitgenossen Assoziationen in Richtung „Milchmann“oder eines Menschen, der die Milch der frommen Denkungsart eingesogen hat, hervor. Eventuell war sich Rice dieses Umstandes nicht bewusst. Matthias Winter, einst ein des Erinnerns werter Tewje,  hingegen gewiss. Auf karikierende Bloßstellung verzichtend, bemühte er sich dezent um die undankbare Rolle. Stefanie Köhm (Sergievskys in Russland verbliebene Frau Swetlana) musste leider gegen die ungünstigen Lösungen von Kostüm und Maske ankämpfen. Dem sich aus Elisabeth Markstein, Claudia Müller-Kretschmer, Michael Beck und Robert Schmelcher rekrutierenden Pop-Chor waren die eingangs erwähnten Unverständlichkeiten der Textwiedergabe am meisten anzulasten.

 Dieser zweiten Vorstellung (rund drei Viertel Auslastung) blieben einige Besucher nach der Pause fern. Das mag u.U. an der Zusammensetzung des Anrechtes liegen. Die Mitwirkenden haben dergleichen weniger verdient als das Werk.

 

 Joachim Weise

 

 

 

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