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CESENA/ Teatro Bonci: IL VIAGGIO DI G.MASTORNA di Matteo d’Amico

10.11.2021 | Oper international

CESENA/ Teatro Bonci: IL VIAGGIO DI G. MASTORNA di Matteo d’Amico am 4.11.2021

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Foto: Teatro Bonci

„Il viaggio di G.Mastorna“ (Die Reise des G.Mastorna) ist das berühmteste nicht verfilmte Drehbuch der Welt. Federico Fellini selbst hatte es gemeinsam mit Dino Buzzati, Bernardino Zapponi und Brunello Rondi in den 60er Jahren nach dem grossen Erfolg von 8 1/2 verfasst .Und es war schon alles für die Dreharbeiten vorbereitet: der Produzent Dino de Laurentiis hatte auf der grünen Wiese eine riesige Kopie des Kölner Doms errichten lassen, eine riesige Attrappe eines Passagierflugzeugs etc.etc.

Dann passierten allerdings während der Vorbereitungen eine Reihe von merkwürdigen Dingen, die Fellini dazu brachten, das schon extrem weit gediehene Projekt zu stoppen. Von De Laurentiis verständlicherweise mit Klagen bedroht, liess er sich breitschlagen, es wieder aufzunehmen. Nach einer weiteren Serie von bedrohlichen Ereignissen (der Meister selbst erkrankte auf mysteriöse Art und Weise) gab er den Film aber endgültig und unwiderruflich auf. Nicht zuletzt deshalb – wie man sich erzählt – weil er eines Tages in seiner Jackentasche plötzlich ein Billett seines Haus-und Hofmagiers Gustavo Rol vorfand mit der Aufschrift: NON FARE QUESTO FILM! (Mach diesen Film nicht!).

Seither geistert MASTORNA wie ein Zombie, wie eine durch und durch negative Legende durch die Filmgeschichte. Ganz ganz Abergläubische sprechen (wie beim „schottischen Stück“) nicht einmal seinen Namen aus, denn er soll ja „sfiga“ „iella“ (Unglück) bringen. Ich habe selbst erlebt, dass bei der Eröffnung des neuen Fellini-Museums in Rimini einer der hervorragenden Kuratoren sich strikt weigerte, mir irgend etwas Näheres über „M.“ zu erzählen und sich stattdessen sofort beherzt an seine Familienjuwelen griff (wie es italienische Männer immer tun, wenn „iella“ im Raum steht). „Soviele Familienjuwelen gibt es gar nicht, an die ich mich greifen könnte, um den Fluch abzuwehren, wenn ich mit Ihnen darüber reden würde ! “ sagte er, und bat mich, von weiteren Fragen Abstand zu nehmen. Na gut, man will ja jemanden in sein Unglück stürzen, und schon gar nicht sich selbst…

Sie können sich also meine Verwunderung, meine Verblüffung, ja mein Entsetzen vorstellen, als ich las, dass der italienische Komponist Matteo d’Amico gemeinsam mit dem Regisseur Valter Malosti eine neue Oper verfasst hatte…ja, Sie haben es erraten…nach dem berühmten Drehbuch über die abgebrochene Reise jenes Herrn, den man nicht näher benennen soll.

Fassungslos schlug ich die Hände über dem Kopf zusammen: um Himmels Willen! Wer will denn da das Schicksal unnötigerweise herausfordern ? Was ist denn da für eine Selbstmörderclique am Werk ??

Nachdem die Weltpremiere in Fellinis Heimatstadt Rimini nicht nur ohne besondere negativen Vorkommnisse (Hals- und Beinbrüche, Todesfälle im Ensemble, Überschwemmungen, Brandkastrophen im Theater etc.) über die Bühne gegangen war, sondern auch die ersten Kritiken von vertrauenswürdigen Kollegen äusserst enthusiastisch ausfielen, wichen meine anfänglichen Befürchtungen einer unbändigen und unbremsbaren Neugier, dieses legendenumwobene, geheimnisumwitterte und allem Anschein nach äusserst lebensgefährliche Phantom der Filmgeschichte endlich einmal selbst zu Gesicht zu bekommen. Und also beschloss ich – etwaige Risken bewusst in Kauf nehmend – der Oper bei ihrer nächsten Station in Cesena einen höchstpersönlichen Besuch abzustatten.

Cesena ist eine mittelgrosse Kleinstadt in der Emilia-Romagna, ca. 40 km von Rimini entfernt. Ein klassisches Provinznest, in das sich kaum je ein Tourist verirrt – obwohl der Ort durchaus seine Reize hat (die Biblioteca Malatestiana!) und sich auch rühmen darf, gleich d r e i Päpste hervorgebracht zu haben (darunter jenen Pius VI.,von dessen Besuch in Wien Am Hof noch heute eine Gedenktafel zeugt). Die allergrösste Attraktion Cesenas ist jedoch ohne Zweifel das für diesen Ort total überdimensionierte (von aussen fast an die Scala erinnernde) Teatro Bonci (benannt nach dem von hier stammenden Tenor Alessandro Bonci – einst ein grosser Rivale Enrico Caruso).

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Foto: Teatro Bonci

In seinem prächtigen, mit farbenfrohen Deckenmalereien verziertem Inneren warteten wir also mit Spannung, Ungeduld und absolutem Nervenkitzel, bis sich der Vorhang hob, um den Blick auf dieses sagenhafte Monster der Filmgeschichte freizugeben. Und um es gleich vorwegzunehmen: ich wurde Zeuge einer der besten, rundum gelungensten, intelligentesten und schönsten Musiktheaterproduktionen, die ich seit 10, 15 oder von mir aus auch 20 Jahren gesehen habe.

„Das ist die Geschichte eines Toten, der nicht weiss, dass er tot ist“ hebt Valter Malosti in der Rolle des fellinesken „Erzählers“ zu sprechen an. Und besser und knapper kann man die Handlung der darauffolgenden zwei Stunden (das vollendet vorliegende Originaldrehbuch böte Stoff für 6 Stunden) nicht auf den Punkt bringen:

Ein Flugzeug mit dem Violoncellisten G(iuseppe) Mastorna an Bord. Eine Stewardess vermeldet Turbulenzen und Absturzgefahr. Wenig später gibt sie Entwarnung, man landet vorgeblich „planmässig“ – vor dem Kölner Dom. Mastorna irrt herum durch die gespenstischen Strassen und findet schliesslich ein Hotel – in dem allerdings Blackout herrscht. Am nächsten Tag geht er zum Bahnhof, kann aber die Anzeigetafeln nicht entziffern. Aus einer kaputten Telephonzelle mit einer unleserlichen Wählscheibe versucht er zuhause anzurufen – dort meldet sich jedoch zu seinem nicht geringen Entsetzen: ein gewisser G.Mastorna. Und so geht es in locker aufeinanderfolgenden Szenen munter weiter. Sie sehen schon: die ganze Geschichte folgt einer uns eigentlich allen vertrauten Alptraumlogik, wenn man im Schlaf in einen obskur-abstrusen Zusammenhang verwickelt wird und (wohl wissend, dass es sich um einen Alptraum handelt) trotzdem keinen Weg „hinaus findet“….

Eigentlich ist jede dieser kaleidoskopartig aneinandergereihten Szenen wunderbar und spannend und sowohl gedanklich als auch sprachlich brillant…am faszinierendsten vielleicht zwei davon: erstens die, in der sich unser Violoncellist plötzlich in jener Absteige wiederfindet, in der er sich früher mit seiner Geliebten immer heimlich “ getroffen und die ihm jetzt – lasziverweise auf einem roten Sofa in Netzstrümpfen verführisch daliegend – eröffnet, dass sie sich aus alter Loyalität entschlossen hat, zu seinem  Begräbnis zu erscheinen, obwohl seine rechtmässige Gattin damit gedroht hat, ihr in diesem Fall die Augen auszukratzen…

und zweitens die, in der „unser Held“ unverhoffterweise auf seine Stammfamilie trifft, die ihn nicht nur hochnotpeinlich befragt, welches ihrer Mitglieder er am meisten „liebt“, sondern auch kollektiv zu mobben versucht, sein „lächerliches Cello “ aufzugeben und endlich was „ordentlich“ zu lernen…

Alptraumlogik hin oder her…das kennen wir doch alle irgendwie, oder ?

Toll auch der Moment, in dem M. auf einen Bewohner der Geisterstadt trifft, der ihm die Vorteile des Jenseits beizubringen versucht: da er nämlich schon tot sei, könne er sich jetzt – ohne weitere Gesundheitsschäden zu erleiden – einfach ununterbrochen umbringen. Und es ihm sogleich auch vor machst, in dem er sich mehrere Male aus dem Fenster stürzt – ohne sich auch nur ein Haar zu krümmen. Tiefsinn trifft Slapstick…Grossartig !

Sie sehen schon, ich komme ausnahmsweise aus dem Schwärmen nicht heraus. Es ist aber auch schwer, an einer Produktion etwas zum Mäkeln zu finden, an der einfach alles stimmt.

Valter Malostis Regie (nicht von ungefähr ist er Ronconi-Schüler) ist haarscharf durchdacht und bis in letzte Detail präzise realisiert, Matteo d’Amicos Musik ist immer inspiriert und wortdeutlich (und vermeidet dabei alle Klischees von zeitgenössischen Kompositionen), die Projektionen von Sergio Metalli sind unglaublich gut gemacht, die Kostüme von Davide Amadei sind atemberaubend schön, und das Licht vom Grossmeister seiner Zunft, Cesare Accetta, sowieso wie immer genial.

Der Cast ist lückenlos top, von Luca Grassi (als Mastorna) über Yulia Tkachenko (als Stewardess) bis zu Vittoria Magnarello, Eleonora Lué, Aslan Halil Ufuk, Ken Watanabe, Marco Manchisi und Matteo Baiardi (in den verschiedensten Rollen) – alle miteinander (von Valter Malosti eng geführt) unheimlich diszipliniert und ohne den geringsten (in Italien doch sehr weitverbreiteten) Hang zur Übertreibung und zum Rampensauentum.

Es klingt jetzt schon fast kitschig: aber auch das Orchestra Corelli unter Jacopo Rivani realisiert die anspruchsvolle Partitur einfach vorbildlich.

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Foto: Teatro Bonci

Gar keine, wirklich gar keine Einwände ? Nun ja, wenn man mich zwingt: ich persönlich hätte gerne die vollständige Vertonung des Original-Scripts (sechs Stunden, wir sind doch alle , götterdämmerungsgestählt) erlebt, denn durch diese letztlich sehr brutale Zwei-Drittel-Amputation verliert die ganze Geschichte (vor allem im letzten Drittel) doch sehr an Dynamik, Energie, Logik und Aussagekraft.

Aber sonst ? Aber sonst würde ich mir wünschen, dass dieses derzeit in der Provinz versteckte Meisterwerk seinen Siegeszug auch durch andere italienische und europäische Operntheater antreten möge und danach auch als DVD und CD verfügbar wäre…

Robert Quitta, Cesena

 

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