CÉSAR FRANCK – CD-Empfehlungen im Jahr des 200. Geburtstages des Komponisten
Bis zum Dezember ist es zwar noch ein paar Monate hin, aber schon jetzt sind zwei Neuerscheinungen am Markt, die die volle Aufmerksamkeit des Publikums verdienen.
Das PRAZAK QUARTET spielt das Klavierquintett von César Franck in f-Moll und das Streichquartett Nr. 14 in As-Dur von Antonín Dvořák; Praga Digitals
César Franck: Symphonische Dichtungen „Les Éolides“, „les Djinns“, „Rédemption“, „Variations Symphoniques“, „Le Chasseur maudit“ – Francisco Varela dirigiert das Lviv National Philharmonic Orchestra of Ukraine; Guild Music
Das legendäre Prazak Quartet hat sich 2020 neu formiert: Zum Bratschisten und Gründungsmitglied Josef Klusoň und der ersten Violine Jana Vonášková (die 2015 den wohl dominantesten Primgeiger aller Zeiten Václav Remeš ersetzte) kommt seither als zweite Geigerin Marie Fuxová und der Cellist Jonáš Krejčí. Die Balance der Stimmen hat sich im Laufe der Zeit etwas in die Mitte verschoben. Das Ergebnis der neuen Einspielung des Klavierquintetts von César Franck mit dem französischen Pianisten François Dumont ist spektakulär gut gelungen.
César Franck, als Sohn einer deutschstämmigen Mutter in Lüttich geboren, hielt als Komponist, obwohl in Paris lebend, die deutschen musikalischen Traditionen um Bach, Beethoven, Schubert und Liszt hoch. Der Klaviervirtuose, Organist und Professor als „Gelegenheitskomponist“ stand der Chromatik Richard Wagners wohl am nächsten, obwohl er einen ganz eigenen hochromantischen Stil gekennzeichnet durch dramatischen Überdruck und komplexeste kompositorische Dichte entwickelte. 1778 hat Franck im Hinblick auf die Teilnahme am Wettbewerb der Société des compositeurs de Musique – mit dem Ziel einer Professur am Konservatorium – mit dem Schreiben des Klavierquintetts begonnen. Den Abgabetermin hat Franck allerdings verpasst. Den Klavierpart hat Franck seinem Freund Camille Saint-Saëns gewidmet, der auch, angeblich wenig begeistert, die Uraufführung spielte.
Das 1880 uraufgeführte Klavierquintett markiert eine besonders reichhaltige Klangsprache: Markante Chromatik, ein großzügig angelegtes architektonisches Konzept; die zyklische Ausformung durch Einsatz des gleichen Themenmaterials in den drei Sätzen, kühne Modulationen sowie polyphone Linienverflechtungen. Auf motivischer Ebene erstaunt die ‚unbarmherzige‘ Konzentration des Materials sowie dessen Auflösung in linearen Variationen. Die Melodie der 1. Violine in der langsamen Einleitung zum Kopfsatz wird zur Keimzelle der Thematik in allen drei Sätzen.
Das Prazak Quartet geht den ersten Satz in saftig symphonisch wirkender Fülle an, das Klavier überstrahlt in lyrisch-träumerisch freischwebenden Kontrasten den dschungelgleich gewebten Streichquartettsound. Was heute genauso begeistert wie damals die jungen französischen Musiker D’Indy, Chausson und Duparc, ist die fein strukturierte Formalbehandlung der Themen und dennoch eine unzähmbar raue Atmosphäre im Gesamteindruck. Die Franck’sche Erzählung birst vor Dramatik und Mitteilungsdrang. Was die fünf Kammermusiker sich an multiplen Dialogen und brüsk ineinandergreifenden Wortgefechten liefern, ist trotz der konfliktgeladenen Grundstimmung voller Werben, kraftvoll, viril, drängend. Im Gegensatz dazu scheinen sich erste Violine und Klavier im Lento con molto sentimento einander in unerfüllbarer Sehnsucht befangen zu belauern. Emotionen verrinnen so rasch wie sie kommen und mäandern ohne eindeutige Konkretisierung in einem fantastisch gestalteten, jedoch unerreichbaren Raum. Im Allegro steigert sich der Wahnsinn des ersten Satzes bis hin zu einem feurig gewürzten Finale.
Die symphonischen Dichtungen – ausgenommen „Le chasseur maudit“ fristen auf dem Tonträgermarkt ein Schattendasein. Die Aufnahmen mit dem Orchestre de Paris unter Daniel Barenboim entstanden in den späten 60-er Jahren. Auch Armin Jordans Einspielung ist nicht mehr taufrisch. Umso wichtiger ist die Neuerscheinung mit dem Lviv National Philharmonic Orchestra, die im November 2021 mit dem argentinischen Dirigenten Francisco Varela und dem ebenfalls aus Argentinien stammenden Pianisten Fabio Banegas entstand. Es handelt sich um die letzte Aufnahme eines ukrainischen Orchesters für ein internationales Label vor Kriegsausbruch, diesfalls da britischen Traditionsverlag Guild Music.
Auf dem Programm stehen neben der relativ viel gespielten symphonischen Dichtung „Le chasseur maudit“ noch „Les Eolides“, „Les Djinns“ (Klavier und Orchester), „Rédemption“ sowie die „Variations Symphoniques“ für Klavier und Orchester. Also César Francks wichtigsten Orchesterwerke außer der bekannten Symphonie in d-Moll.
Also lassen wir uns in aufbrausenden Wohlklängen von den Töchtern des Äolus, griechischer Gott der Winde, an die sanft bis übermächtig wehenden Erscheinungen der Atmosphäre erinnern. Sir Francis Beaufort hätte seine Freude gehabt an dieser nicht nach Windstärkeskalen von 0-12 gemessenen Wirkungskraft dieses meteorologischen Phänomens, sondern an der überausaus poetisch-romantisch grundierten Instrumentalstudie mit dem so eingängigen Hauptthema.
Bei „Redemption“ wiederum handelt es sich um ein größeres Werk mit Orchester, Chor, Solistin und Sprecher nach einem religiösen Text von Edouard Blau, von dem vor allem das ‘Morceau symphonique’ überlebte. Besonders interessant und hochdramatisch sind die beiden einsätzigen Kompositionen für Klavier und Orchester: Die symphonische Dichtung „Les Djinns“ nach dem gleichnamigen Gedichts von Victor Hugo aus der Sammlung „Les Orientales“ ist zugleich virtuoses Schlachtross für jeden Meisterpianisten und sich düster lautmalend zuspitzende Studie zum nächtlichen Treiben der übernatürlichen Wesen, genannt Dschinninen, aus der arabischen Mythologie. Nach dem Prinzip von crescendo und decrescendo surren und stürmen diese Geister bedrohlich ums Haus. Schließlich entfernen sie sich mit abnehmendem Getöse und der Lärm und damit die Angst ebben ab. Der Pianist der Uraufführung von „Les Djinns“, Louis Diémer, muss so stupend gespielt haben, dass Franck die Idee für ein weiteres Stück für Klavier und Orchester gerne aufnahm. Diese „Variations symphoniques“ unter Verwendung von folkloristischen Themen Walloniens, darunter des Cramignon-Tanzes, ist eine faszinierende und innovativ konzertierende Fantasie, die sich in drei freie Variationengruppen gliedert. Hinter dem, was sich so formal trocken anhört, verbirgt sich ein wunderbar sich in gleißenden Harmonien ergehendes Stück, das dem Klavierpart zauberische Feenklänge anvertraut. Das Album endet mit Francks Reißer „Le Chasseur maudit“. „Der verfluchte Jäger“ nach der Ballade von Gottfried August Bürger erzählt von der Strafe für einen Adeligen, der trotz Sonntagsruhe unbedingt seiner Leidenschaft für die Jagd frönen will. „Fleuch, Unhold, fleuch, und werde jetzt, von nun an bis in Ewigkeit, von Höll und Teufel selbst gehetzt.“ Wer wissen will, wie emotional und zornig César Franck das gruselige Sujet à la „Symphonie Fantastique“ von Hector Berlioz vertont hat, der höre sich die vorliegende CD an.
Orchester, Dirigent und Solist bieten unvergleichlich packende Wiedergaben, voller Kontraste, von romantisch klangschön bis markant-drastisch die Erzählungsinhalte ausreizend. Varela arbeitet insbesondere die Finessen der Instrumentierung im Detail heraus, ohne je die großen Aufschwünge und architektonischen Spannungsbögen aus dem Auge zu verlieren. Zum Entdecken oder Wiederhören. Großartig!
Dr. Ingobert Waltenberger