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CDs Unvollendete VOKALMUSIK von WOLFGANG AMADEUS MOZART: REQUIEM, MESSE in c-MOLL; Coviello; Pentatone

Wo sind die Mozart-Stimmen?

10.08.2020 | cd

CDs Unvollendete VOKALMUSIK von WOLFGANG AMADEUS MOZART: REQUIEM, MESSE in c-MOLL; Coviello; Pentatone

 

Wo sind die Mozart-Stimmen?

 

Beide Neuaufnahmen sind in erster Linie wegen der jeweiligen musikalischen Fassung von Interesse. 

 

Das Requiem wird in einer von Michael Ostrzyga komplettierten Version vom Dirigenten Florian Helgath mit dem Concerto Köln und dem Chorwerk Ruhr vorgestellt. Neben der dramatisch opernhaften Interpretation ist es vor allem der professionelle Kammerchor (jede Stimmgruppe ist achtmal besetzt), der aufhorchen lässt. Was für eine traumwandlerische Intonationspräzision, rund-volle Stimmen (ganz ohne steifes Fiepsen und Piepsen noch Vibratoorgien) und geschmeidige Musikalität. Jede Verzierung, die Läufe, die Fugen sitzen. Alles? Fast alles: Wären da nicht die Konsonanten, denen Prägnanz und Kraft abgeht. 

 

Ergänzt wird das Requiem durch das „Libera Me“ von Ignaz Ritter von Seyfried. Das war der Dirigent der Uraufführung von Beethovens „Fidelio“. Seyfried hat auch eine für das Alltagseben des Komponisten aufschlussreiche ‚Biographische Skizze‘ erstellt. Das „Libera me“ gehörte zum Ritus am Grab, nicht mehr zur Totenmesse in der Kirche. Im Konkreten ging es um das Begräbnis Ludwig van Beethovens am 29.3.1827. Für die Einsegnung der Leiche am Grab hat Seyfried das „Libera me“ mit Abschnitten aus dem Requiem für Männerchor verfasst. Die vorliegende Einspielung greift auf diese ursprüngliche Version zurück. Später fertigte Seyfried auch eine Fassung für gemischten Chor und Orchester an. 

 

Wir alle kennen die Legende, dass Mozart an einer Vergiftung gestorben ist inmitten der Komposition der Totenmesse, die von einem Unbekannten in Auftrag gegeben worden sei. Auf jeden Fall wird das Requiem seither gleichzeitig „als Erfolg, was Mozarts Aufbruch und als Fehlschlag, was Süßmayrs Beendigung angeht“, wahrgenommen. Wie Michael Ostrzyga im äußerst lesenswerten Beitrag „Legenden und Wahrheiten“ räsoniert, schwankt die Rezeption bis heute zwischen dem Bestreben nach Aufklärung gegenüber dem Bedürfnis nach Verklärung, zum anderen das Verlangen nach letzter bewundernswerter Musik Mozarts gegenüber erzwungener Hinnahme der Musik Süßmayrs.

 

Bezüglich des neuen Ergänzungsversuchs ist anzumerken, dass alle relevanten Quellen neu ausgewertet wurden. Ostrzyga kommt zum Schluss, dass das Zusammenspiel der Einflüsse Händels und Bachs im Requiem so groß ist wie sicher nie zuvor. Darüber hinaus lässt sich nicht ausschließen, dass Süßmayr wie auch Eybler auf Materialien Mozarts zurückgreifen konnten und konkrete Instruktionen erhielten. Daher wurden ihre Zutaten berücksichtigt. Ostrzyga interessiert bei Beiträgen anderer Autoren vor allem, was Mozarts Stil von 1791 entsprach. “Mozart und die Geschichte haben uns nicht nur die Spielräume für Spekulationen und Diskussionen, sondern auch zum Weiterkomponieren vermacht”, notiert Ostrzyga: Die hier eingespielte Ergänzung war weitestgehend rekonstruierend ausgerichtet mit dem Ziel, die für November/Dezember 1791 wahrscheinlichsten kompositorischen Lösungen zu finden.

 

Die endgültige Neufassung wurde beim Rheingau Musikfestival im Sommer 2019 im Kloster Eberbach aus der Taufe gehoben. Im Anschluss entstand die vorliegende Aufnahme in Köln.

 

Grosso modo darf der Musikfreund mit der neuen Fassung, dem Orchester und dem Chor zufrieden sein. Die solistischen Leistungen (Gabriela Scherer Sopran, Anke Vondung Alt, Tilman Lichdi Tenor, Tobias Berndt Bass) kommen über ein laues Mittelmaß nicht hinaus. 

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Mozarts Große c-Moll Messe wurde in Frankreich mit den Kräften “Les Musiciens du Louvre” unter Marc Minkowski live im Dezember 2018 im MC2 Grenoble mitgeschnitten. Der Aufführung lag eine von Helmut Eder 1987 rekonstruierte und vervollständigte Version zugrunde.  Wie das Requiem entstand die c-Moll Messe in Wien, wo Mozart kaum noch Aufträge für geistliche Musik erhielt. 1782/83 geschrieben, wurde die Messe in der Kirche St. Peter in Salzburg mit Constanze Mozart als Solistin uraufgeführt. Das Manuskript der Messe aus der Nationalbibliothek Berlin, Preußischer Kulturbesitz, besteht aus dem Kyrie und Gloria. Vom Credo sind nur die ersten zwei Teile skizziert, das Ende fehlt komplett. Das Sanctus und das Benedictus existieren als Autograph mit den Bläserstimmen und Pauken, der Rest der Instrumentierung existiert nicht. Und das Agnus Dei gab es offenbar nie. Wenn sie vollendet gewesen wäre, hätte diese c-Moll Messe zweifelsohne mit Bachs h-Moll Messe oder der Missa Solemnis von Beethoven mithalten können.

 

Marc Minkowskis Verdienste liegen primär in der Entdeckung vieler Meisterwerke des frz. Barock (Lully, Rameau, Charpentier, Mehul etc.) und nicht zuletzt in spritzigen, frech frivolen Wiedergaben von Operetten aus der Feder von Jacques Offenbach. An Mozart geht Minkowski trotz nur kammermusikalischer Orchesterbesetzung (23 Streicher, 13 Bläser, Pauke, Orgel) ebenso mit theatralischer Pranke heran. Mir fehlen jedoch die feinmotorische Sensibilität, das jähe Innehalten und das spirituelle Leuchten in dieser Wiedergabe. Auch der mit nur 9 Stimmen besetzte Ripieno-Chor vermag nur bedingt den Anforderungen von Diktion und Präzision in den kleinen Noten gerecht zu werden. Als Solisten fungieren Ana Maria Labin (Sopran I), Ambrosia Bré (Sopran II), Stanislas de Barbeyrac (Tenor) und Norman Patzke (Bass). Sie alle sind für sich genommen gute Interpreten mit individuellen Stimmen von Format. Zu einem harmonischen Ganzen fügen sie sich nicht. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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