Yevgeny Svetlanov: Ein Dirigent der Extraklasse – Wertvolle Aufnahmen auf ICA Classics
Die vorliegende Veröffentlichung von ICA Classics widmet sich einem der größten, besten Dirigenten des 20. Jahrhunderts, Yevgeny Svetlanov. Die CD versammelt seltene Live-Aufnahmen, die sein außergewöhnliches musikalisches Genie und seine enorme stilistische Bandbreite dokumentieren. Von Tschaikowskys dramatischer Ouvertüre bis zu Debussys impressionistischen Klangbildern, von Rachmaninows intensiven Études-tableaux bis zu Prokofjews folkloristisch gefärbter Ouvertüre über hebräische Themen – Svetlanov erweist sich in jedem Werk als präziser Architekt und gleichermaßen als poetischer Erzähler.
Besonders faszinierend ist die Vielfalt der Klangkörper, die Svetlanov dirigiert: das Philharmonia Orchestra, das BBC Symphony Orchestra und das London Symphony Orchestra. Jedes Ensemble erstrahlt in einer individuellen Klangsprache, stets geprägt von Svetlanovs unverkennbarem künstlerischen Fingerabdruck.
Yevgeny Svetlanov (1928–2002) war eine zentrale Figur der sowjetischen Musikszene und darüber hinaus ein weltweit geschätzter Künstler. Seine Karriere begann in Moskau, wo er als Chefdirigent des Staatlichen Akademischen Sinfonieorchesters der UdSSR maßgeblich das musikalische Leben prägte. Während seiner gesamten Laufbahn bewies Svetlanov ein besonderes Gespür für russische Musik, die er durch seine herausragenden Aufnahmen für das Label Melodiya international bekannt machte. Doch Svetlanov war weit mehr als ein Spezialist für russisches Repertoire. Seine Interpretationen französischer und westlicher Musik zeugen von einer tiefen Kenntnis und einem intuitiven Verständnis der jeweiligen stilistischen Anforderungen. Seine Fähigkeit, komplexe Orchesterwerke mit Klarheit und emotionaler Dichte zu gestalten, machte ihn zu einem der vielseitigsten Dirigenten seiner Zeit. Er ist immer noch Rekordhalter mit den meisten Aufnahmen, die ein russischer Dirigent hinterlassen hat. Im Schatten stand dabei sein durchaus erfolgreiches Wirken als Komponist. Wie muss sich der große Dirigent gefühlt haben, der sich stets mehr als Schöpfer denn als Interpret sah? Ein Schicksal, was auch Wilhelm Furtwängler teilte. Die Musikwelt kann dankbar sein, dass Svetlanovs Erbe so reichhaltig ist. Darüber hinaus sei jedem Musikfreund empfohlen, sich auch einmal im Filmdokument, YouTube bietet dazu viel Auswahl, den Dirigenten Svetlanov anzuschauen. Die Klarheit seiner Körpersprache und die Unbedingtheit seines Musizierens sind spannend wie ein Krimi zu beobachten.
Die dramatische Ouvertüre aus Tschaikowskys Oper „Pique Dame“ markiert einen eindrucksvollen Auftakt der CD. Svetlanov gestaltet die Ouvertüre mit einem untrüglichen Gespür für Spannung und Dramatik. Der düstere Beginn entfaltet sich mit gravitätischen Bläserklängen, die wie Vorboten eines unausweichlichen Schicksals wirken. Das Philharmonia Orchestra überzeugt mit scharfen Akzenten in den Streichern und einem opulenten, opernhaften Klang. Die Energie, mit der Svetlanov die dynamischen Kontraste hervorhebt, erinnert an eine szenische Inszenierung, die die Hörer in die Welt der Oper eintauchen lässt.
Claude Debussys impressionistisches Meisterwerk „Prélude à l’après-midi d’un faune“ erklingt in Svetlanovs Händen mit einer selten gehörten Klarheit und Sinnlichkeit. Der eröffnende Flötenruf schwebt in der Luft wie eine Ahnung von etwas Geheimnisvollem. Svetlanov wählt vergleichsweise langsame Tempi, die der Musik Raum geben, sich in aller Ruhe zu entfalten. Besonders bemerkenswert ist der geradezu vokale Charakter, den Svetlanov den Streicherlinien verleiht. Die Wärme und Präzision des Philharmonia Orchestra unterstreichen die Farbigkeit der Klanglandschaften, während der dynamische Spannungsbogen von der zarten Ruhe bis hin zum kraftvollen Höhepunkt fesselnd gestaltet ist.
Svetlanovs Deutung von „La Mer“ ist der Höhepunkt dieser CD! Die drei Sätze schildern auf eindrucksvolle Weise das Meer in all seinen Facetten, von der friedlichen Morgendämmerung bis zu den wilden Stürmen. Im ersten Teil zeigt Svetlanov seine Fähigkeit, aus orchestraler Transparenz eine ungeheure Kraft zu entwickeln. Die Streicher fließen in sanften Wellenbewegungen, während die Bläser den Glanz der aufgehenden Sonne illustrieren und in eine gewaltige Steigerung führen. „Im Spiel der Wellen“ entfalten die Musiker eine spielerische Leichtigkeit, die das Tanzen der Wellen akustisch spürbar macht. Die Holzbläser agieren mit großer Präzision, während Svetlanov die rhythmischen Schattierungen pointiert herausarbeitet. Wunderbar sind die feinen Schlagzeugeffekte als musikalische Farbtupfer herausgearbeitet. Das Finale des Werkes steigert sich unter Svetlanovs Leitung zu einer dramatischen Klimax. Die kräftigen Blechbläser und das druckvolle Schlagwerk lassen die unbändige Energie eines Sturms lebendig werden, ohne dabei die orchestrale Balance zu verlieren. Der das Werk beschließende Hymnus gelingt Svetlanov und dem hingebungsvoll musizierenden Philharmonia Orchestra atemberaubend!
Die orchestrierten Études-tableaux von Sergej Rachmaninow offenbaren Svetlanovs Liebe zum Detail und sein einzigartiges Gespür für orchestrale Farben. Die A-Moll-Etüde (Op. 39 Nr. 2) wird zu einer düsteren, bedrohlichen Klanglandschaft. Die dichten Streicherakkorde und der dramatische Einsatz der Blechbläser zeugen von einer großen emotionalen Tiefe. Im Gegensatz dazu wirkt die E-Dur-Etüde (Op. 33 Nr. 6) federleicht und tänzerisch. Die filigrane Holzbläserarbeit und das perlende Spiel der Streicher des BBC Symphony Orchestras verleihen dem Werk eine schwebende Eleganz.
Diese seltene Aufnahme von Prokofjews orchestrierter Version seiner „Ouvertüre über hebräische Themen“ besticht durch ihre Lebendigkeit und rhythmische Präzision. Die folkloristischen Themen werden mit einer Leichtigkeit und Freude präsentiert, die das Werk in seiner ganzen Vielschichtigkeit erstrahlen lassen. Svetlanov versteht es meisterlich, die Balance zwischen den intimen kammermusikalischen Momenten und den opulenten Orchesterklängen zu wahren. Das London Symphony Orchestra zeigt sich hier als hochflexibler Klangkörper, der Svetlanovs Vision mit Energie und Virtuosität umsetzt.
Diese CD ist eine Hommage an die Vielseitigkeit und künstlerische Tiefe von Yevgeny Svetlanov. Er war und bleibt ein Großmeister in der Orchesterleitung. Die seltenen Live-Aufnahmen lassen die Intensität und den Zauber seiner Dirigate aufleben. Die Kombination aus sorgfältiger Werkdramaturgie und technischer Brillanz der Orchester unter Svetlanovs Leitung macht diese Sammlung zu einem unverzichtbaren Schatz für Musikliebhaber. Besonders hervorzuheben ist die interpretatorische Bandbreite – von russischer Dramatik bis hin zu impressionistischer Eleganz. ICA Classics hat hiermit ein bedeutendes Kapitel Musikgeschichte in herausragender Qualität dokumentiert. Ein absolutes Muss!
Dirk Schauß, im Januar 2025
Yevgeny Svetlanov dirigiert französische und russische Orchesterwerke
ICA Classics, ICAC5181