CD: Wooden Resonance – Three Centuries on Marimba. Nazhi Zhang, Marimba. Janus Classics, JACL-6
Zwischen Klangfarben und Klangphilosophie – Naizhi Zhangs Marimba-Transfigurationen
Dass ein einziges Instrument ein ganzes Repertoire und eine musikalische Denkweise verwandeln kann, erlebt man selten so eindrücklich wie auf dieser CD, die beim innovativen Label Janus Classics erschienen ist. Der junge Virtuose Naizhi Zhang entführt den Hörer auf eine Reise durch Jahrhunderte – ausschließlich mit den schwebenden, perlenden und tief atmenden Tönen eines fünfoktavigen Marimbaphons. Es ist eine Art musikalischer Meditation, eine Klangstudie zwischen Ost und West, zwischen Philosophie und barocker Struktur. Und sie stellt – nicht weniger – als eine Neuvermessung des klassischen Repertoires dar. Fast möchte man sagen: Diese Aufnahme ist ein leiser Aufstand gegen die Hörgewohnheiten unserer Zeit.
Die moderne Marimba, in ihrer heutigen Form mit fünf Oktaven, wurde erst im 20. Jahrhundert entwickelt – zu spät für die großen Komponisten des Barock und der Klassik. Und doch scheint sie hier ein Echo aufzufangen, das weit in die Vergangenheit reicht. Der warme, körperhafte Klang der resonierenden Holzplatten, getragen von Luftsäulen und Nachhall, besitzt eine spirituelle Tiefe, die man im klassischen Konzertsaal selten erlebt. Zhangs Anschlag ist nie hart, nie vordergründig virtuos. Stattdessen wirkt sein Spiel wie eine Übung in Kontrolle, in Langsamkeit, in der Kunst des Zurückhaltens. Jeder Ton wird zum Ereignis – nicht durch Lautstärke, sondern durch Präsenz.
Naizhi Zhang ist nicht nur ein Musiker, sondern ein Klangpoet. Seine Transkriptionen sind geprägt von Demut gegenüber dem Original und zugleich von einer tiefen inneren Freiheit. Er sucht nicht die bloße Übertragung der Noten, sondern das, was zwischen ihnen steht: die Essenz, die Stimmung, den Atem. Sein Spiel atmet die Idee des Tao, die Philosophie des „Nicht-Handelns“, wie sie in den Lehren von Laozi und Zhuangzi anklingt. Musik als Weg, nicht als Ziel – als Raum der Resonanz, nicht des Effekts. Dass er dabei Werke von Bach, Biber und Cage einander gegenüberstellt, ist mehr als ein geschickter Programmkniff: Es ist eine klare Aussage für eine universale Musiksprache, jenseits aller Epochenschranken.
Die beiden Bachsuiten, e-Moll BWV 996 und c-Moll BWV 997, stehen für zwei Pole im Œuvre des Komponisten: die tänzerisch durchpulste Ordnung der französischen Suite einerseits und die tiefgründige kontrapunktische Kunst andererseits. Zhangs Interpretation betont nicht die Taktstrenge, sondern das Atemhafte, das Persönliche dieser Werke. Besonders die Fuge der c-Moll-Suite ist ein kleines Wunder: jede Stimme bleibt erkennbar, aber nichts wird ausgestellt – wie in einem Gespräch, das sich ganz organisch entfaltet.
John Cages „In a Landscape“ bildet das atmosphärische Zentrum der CD. Es ist Musik ohne Entwicklung, ohne Ziel – eine Art schwebender Zustand. In Zhangs Händen wird diese scheinbare Ereignislosigkeit zum Ereignis selbst. Die Marimba verwandelt den Raum in eine vibrierende Fläche, ein schimmerndes Gewebe aus Tönen, das sich ganz der Langsamkeit verschreibt. Hier zeigt sich Zhang als Medium einer Klangwelt, die mehr mit Tuschmalerei als mit westlicher Formdenke zu tun hat.
Heinrich Ignaz Franz Bibers Passacaglia aus den Rosenkranzsonaten schließlich ist die vielleicht erstaunlichste Station dieser Reise. Ursprünglich ein meditatives, fast ekstatisches Werk für Solo-Violine, erfährt es durch die Marimba eine Verwandlung ins Transzendente. Die strenge Basslinie wird zum Boden eines spirituellen Gangs, über dem sich eine Vielzahl von klanglichen Gesten erhebt – weich, tastend, fast schwebend. In dieser Interpretation klingt Biber, als sei er ein Zeitgenosse von Arvo Pärt.
Die Entscheidung, in einer hallenden Kirche aufzunehmen, erweist sich als Glücksgriff. Die Akustik wird nicht zum Effekt, sondern zum Mitspieler. Der Nachhall trägt die Töne, verlängert sie, löst sie auf – ganz im Sinne von Zhangs klangphilosophischem Ansatz. Der Raum atmet mit, wird selbst zum Instrument. Die exzellente Technik von Janus Classics sorgt dafür, dass kein Detail verloren geht – ohne jedoch das Klangbild künstlich zu glätten. Es bleibt natürlich, atmend, sinnlich.
Diese CD ist ein gelungenes Debüt eines außergewöhnlichen Künstlers. Sie ist eine Einladung zur Langsamkeit, zur Hingabe, zur radikalen Öffnung des Ohrs. Zhang gelingt es, alte Werke neu hörbar zu machen – nicht durch Effekte, sondern durch Reduktion. Sein Zugang zur Musik ist leise, nachdenklich, unpathetisch – und gerade deshalb berührend. Besonders in einer Zeit, in der Virtuosität oft mit Geschwindigkeit verwechselt wird, ist diese Aufnahme ein wohltuender Gegenentwurf.
Die Auswahl der Werke, das poetische Spiel, die durchdachte Dramaturgie – all das macht diese CD zu einer Entdeckung. Sie verlangt Konzentration, aber sie schenkt – wenn man sich ihr wirklich öffnet – eine tiefe musikalische Erfahrung. Ein besonders hörenswerte Veröffentlichung der letzten Jahre. Und ein Versprechen: von einem Künstler, von dem wir noch viel hören werden.
Dirk Schauß, im April 2025
Wooden Resonance
Three Centuries on Marimba
Nazhi Zhang, Marimba
Janus Classics, JACL-6