CD WOLFGANG AMADEUS MOZART: THE MERCY OF TITUS – BBC Studioaufnahme 1956; Erstveröffentlichung aus der Itter Broadcast Collection – NIMBUS Records
Sammler und Liebhaber historischer Opernaufnahmen haben allen Grund zu jubeln: Die erste Studioggesamtaufnahme mit Joan Sutherland (in der Rolle der Vitellia) ist in erstklassiger technischer Qualität endlich erhältlich. Wie dies Youtuber behaupten, soll auf dieser Publikation der tiefste von Sutherland auf Tonträgern je gesungene Ton zu finden sein, nämlich das tiefe G in der Arie „Non più di fiori“. Sutherland konnte über ihre ganze Karriere hinweg eine üppige Mittellage und eine solide Tiefe ihr Eigen nennen. Über ihren wie Honig in den höchsten Stratosphären des Belcanto schwebenden Sopran wurde zu Recht alles Lob gesungen.
Wie Sutherland aber schon 1956 – drei Jahre vor ihrem internationalen Durchbruch 1959 mit der Lucia di Lammermoor in Covent Garden – alle Tugenden der später als „Stupenda“ in die Operngeschichte eingegangenen Diva vorführt, übertrifft dennoch alle Erwartungen. Legatophrasen blühen ebenso selbstverständlich wie die geläufige Gurgel mit höchster Präzision Verzierungen gurrt, aber auch die dramatische Koloratur funktioniert wie am Schnürl. Natürlich gab es Interpretinnen dieser aus auswegloser Liebe bzw. Eifersucht zur politischen Intrigantin mutierten Rächerin Vitellia, die ihren Hass stimmlich metallischer herausschleudern können als das der Sutherland gegeben war. Schöner und luxuriöser timbriert dürfte diese schwere Partie, die wegen der Tessitura auch von dramatischen Mezzos verkörpert wird, aber kaum jemand gesungen haben. Sutherlands Vitellia ist keine Furie, sondern eine verletzte Seele, die sich der eigenen Fesseln nur durch Mord entledigen zu können glaubt. Ein faszinierendes Porträt in einer insgesamt großartigen Produktion.
Es handelt sich um eine in englischer Sprache gesungene Gesamtaufnahme von Mozarts „La Clemenza di Tito“, die in den BBC Studios aufgenommen und am 11. März 1956 gesendet wurde. Die Besetzung darf als crème de la crème des damaligen anglophonen Mozart-Operngesangs gelten.
Neben der Sutherland gibt Richard Lewis einen noblen Titus. Der vor allem als Oratoriensänger erfolgreiche Lewis gestaltet die vertrackten seria-Arien ganz vortrefflich. Sein heller, lyrischer Tenor mit dramatischer Expansionsfähigkeit bietet alle stimmlichen Nuancen für ein exquisites stimmliches Porträt des grübelnden, final aufgeklärt verzeihenden Herrschers auf. Die so anspruchsvolle mit Koloraturen gespickte große Arie im zweiten Akt ist eine Offenbarung.
Der in seiner hörigen Liebe zu Vitellia alle Grenzen überschreitende Sextus wird von Monica Sinclair mit markant kernigem Mezzo in balsamische Farben getaucht. Ihr unvergessliches Timbre erinnert mich an die Stimme von Giulietta Simionato. Sinclair war eine kongeniale Partnerin von Joan Sutherland auch in Bellinis „I Puritani“ oder Händels „Alcina“. Was für ein Vergnügen, der großen Bravourarie „Parto, parto“ im ersten Akt zu lauschen. Aber auch ihre Kunst, Rezitative mit erzählerischer Intelligenz und dramaturgischer Treffsicherheit zu gestalten, wird jedes für Mozart schlagende Melomanenherz entzücken.
Eine Klasse für sich ist Jennifer Vyvyan als Servilia. Diese mit nur 49 Jahren am Höhepunkt ihrer Karriere verstorbene lyrische Sopranistin ist heute nur noch Spezialisten bekannt. Ihr bei der australischen DECCA Eloquence erhältliches Album mit dramatischen Szenen und Arien von Mozart und Haydn aus den Jahren 1956 bis 58 gehört zu den wohlgehütetsten Schätzen meiner Plattensammlung. Diese auf Tonträgern so wenig präsente Sängerin verfügt über eine klang- und obertonreiche, spezifisch timbrierte Stimme mit hohem Wiedererkennungswert. Berührend in ihrer Liebe zu Annius (Anna Pollak), ist Ihre glockenreiner, lichter Sopran Symbol der conditio humana auf der Opernbühne.
Bleibt als letztes monstre sacré vergangenen Operngesangs der Kavaliersbariton Thomas Hemsley in der Rolle des Publius zu vermelden. Legendär ist seine Mitwirkung in der Aufnahme von Purcells „Dido und Aeneas“ mit Kirsten Flagstad. Er veredelte die Ensembles der Oper in Aachen, der Deutschen Oper am Rhein und der Züricher Oper, zudem war Hemsley ein großer Interpret des Beckmesser in Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ in Bayreuth.
Dass es schon in den fünfziger Jahren Dirigenten verstanden, Mozart so lebendig, vorwärtsdrängend, energiegeladen und spannend zu dirigieren, wie das heute Kritiker Teodor Currentzis vorzubehalten scheinen, beweist hier John Pritchard mit seinen konzis, lust- und kraftvoll aufspielenden London Mozart Players. Das Schlusssextett samt Chor ist ein Muster an innerer Dramatik, theatralischer Pracht und klanglicher Extase.
Fazit: Eine historische Aufnahme in ausgezeichneter Rundfunkqualität mit einem Sängerensemble, das die Herzen vieler Opernfreunde höher schlagen lassen wird. Grandios!
Link zur großen Arie der von Sutherland 1956 gesungenen Vitellia, die aber mit der exzellenten Tonqualität, die auf der CD geboten wird, in keiner Weise mithalten kann. https://www.youtube.com/watch?v=SmeL-iLi-as
Dr. Ingobert Waltenberger
Wie der Redaktion berichtet wird, hat in beiden Broadcast-Aufführungen am 11. und 12. März 1956 wegen Krankheit nicht Jennifer Vyvyan, sondern April Cantelo gesungen. An der Einschätzung des Rezensenten ändert dies final nichts