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CD: WITCHES, QUEENS & HEROINES – Margriet Buchberger, Il Giratempo, Zsuzsanna Czentnár

Händels starke Frauen

16.01.2021 | cd

CD: WITCHES, QUEENS & HEROINES – Margriet Buchberger, Il Giratempo, Zsuzsanna Czentnár

Händels starke Frauen

Händels mythische Frauen - Opera Lounge

Verwegene Kämpferinnen, durchtriebene Biester,

unbeugsame Königinnen und böse Hexen:

 

Die „wilden“ Frauen in den Opern Georg Friedrich Händels

sind Herrin ihres Schicksals. Sie herrschen über Weltreiche,

kämpfen in blutigen Schlachten, sind mutige Jägerinnen

und leidenschaftliche Liebhaberinnen.

Ihre Abenteuer sind Juwelen, die sich in den Libretti

in einem Meer von konventionelleren Frauenschicksalen verbergen.

 

Die zahlreichen „braven Mädchen“ der Barockoper

kommen vielleicht in den Himmel, doch im Libretto sind sie

entweder Opfer oder Trophäe: Zu eigener Größe finden sie allenfalls,

wenn sie sich tugendhaft selbst opfern oder bühnenwirksam zum Spielball

des Schicksals und/oder der sie umgebenden Männer werden.

 

Wir haben nach selbstbestimmten, starken Frauen gesucht –

und faszinierende, „moderne“ Charaktere gefunden,

zum Leben erweckt durch wunderbare Musik.

 

Aus dem Booklet der CD «WITCHES, QUEENS & HEROINES»

Die Sopranistin Margriet Buchberger und Vanessa Heinisch, Dramaturgin des Ensembles Il Giratempo, haben ein höchst interessantes Album konzipiert, dass sich, so der Titel des Aufsatzes von Silke Leopold im Booklet, mit Händels starken Frauen befasst. Die beim Label Perfect Noise erschienene Aufnahme wurde vom 19. bis 22. Juli 2019 in der Immanuelskirche in Wuppertal eingespielt.

Mit «Moriró, ma vendicata» (Arie der Medea aus «Teseo» HWV 9, 5.Akt, Szene 1) verabschiedet sich Medea aus der Handlung von Händels «Teseo». Sie ahnt wohl schon, dass ihr Mordanschlag scheitern wird und sie fliehen muss. Händel zeigt, nicht der Konvention entsprechend, zwei Affekte, Klage und Wut, in einer Arie. Die Arie beginnt mit einer pochenden, hämmernden Streicherbegleitung, die das Stück sehr modern erscheinen lässt, und der Oboe als Echo auf das Wort «moriró». Auf die Phrase «ma vendicata» folgt dann ein Wechsel, der abrupter kaum möglich ist: halsbrecherische Koloraturen in rasendem Tempo beschreiben ihr Sehnen nach Rache.

Die Arie «Ombre pallide» (Arie der Alcina aus «Alcina» HWV 34, 2. Akt, Szene 13) ist eine Verzweiflungsarie: Alcina ruft die Zaubergeister zur Rache zusammen und muss nun erkennen, dass ihre Macht gebrochen ist, sie den Geistern keine Befehle mehr erteilen kann

Die Gleichnis-Arie «Scherza in mar la navicella» (Arie der Adelaide aus «Lotario» HWV 26, 1. Akt, Szene 10) beeindruckt mit den enormen Anforderungen an die Sängerin. Berengario, Herzog von Spoleto, hat Adelaide, Witwe Lothars II. gefangen genommen und sie seine Frau Matilde in Obhut gegeben. Diese malt ihr die Schrecken der Gefangenschaft in den grässlichsten Farben aus, worauf Adelaide mit der Gleichnisarie antwortet. Anders als das Schifflein im Sturm wird sie sich nicht dem Schicksal geschlagen geben und triumphieren. Dieser Stolz und Siegesgewissheit klingen aus jedem einzelnen Ton.

«Or mi perdo di speranza» (Arie der Laodice aus «Siroe, re di Persia» HWV 24, 1. Akt, Szene 13) ist die Arie einer Seconda Donna mit dem Schwierigkeitsgrad einer Arie für die Prima Donna: Auch für diese Uraufführung standen Händel die legendären Sopranistinnen Fausta Bordoni und Francesca Cuzzoni zu Verfügung, die gleichberechtigt mit Arien versorgt werden mussten.

Mit «Al varco, oh pastori» (Arie der Atalanta aus «Atalanta» HWV 35, 1. Akt, Szene 7) ruft Atalanta ihre Gefährtinnen zur Jagd zusammen. Die Vorfreude ist in jeder Silbe nachzuspüren.

«Ah, spietato!» (Arie der Melissa aus «Amadigi di Gaula» HWV 11, 1. Akt, Szene 4) ist wieder, wie in «Teseo» die Kombination zweier Affekte: zuerst beklagt Melissa schwermütig die Zurückweisung durch Amadigi bevor sich die Wut in Koloraturen Bahn bricht.

«Da Tempeste il legno infrato» (Arie der Cleopatra aus «Giulio Cesare in Egitto» HWV 17, 3. Akt, Szene 7) ist Cleopatras letzte Arie der Oper und wieder eine Gleichnisarie. Die mit allen erdenklichen Schwierigkeiten gespickte Arie ist Francesca Cuzzoni in die Kehle komponiert. Ihr Giulio Cesare der Uraufführung war Francesco Bernardi, genannt «Senesino».

«Credete al mio dolore» (Arie der Morgana aus «Alcina» HWV 34, Act 3, Scene 1) zeigt nochmals den elegischen Händel. Alcinas Schwester Morgana versucht Oronte, der vorgibt sie nicht mehr zu lieben, für sich zu gewinnen.

«Ah, mio cor» (Arie der Alcina aus «Alcina» HWV 34, 2. Akt, Szene 1) beschreibt Alcinas Verzweiflung, die erkennen muss, dass Ruggiero, der erste Mann, den sie wirklich liebt, sie verlassen will. Die Verzweiflung drückt sich aber nicht, wie erwartet werden könnte, in rasenden Koloraturen, sondern in intensivem Wehmut aus. Die eindrückliche Streicherbegleitung verleiht der Arie einen bemerkenswert modernen Klang.

Margriet Buchberger interpretiert die von ihr ausgewählten Arien mit glockenreinem Sopran und unglaublicher Virtuosität. Die unterschiedlichen Situationen und Stimmungen der Figuren bringt sie jeweils perfekt zur Geltung.

Mit der gleichen spürbaren Leidenschaft ist das Ensemble Il Giratempo unter Zsuzsanna Czentnár am Werk. Sie bringen einen unheimlich lebendigen und farbenfrohen Händel zu Gehör.

Das «Eines Tages müsste man mal …», über das man Orchestermusiker sonst nur sehnsüchtig beim Kaffee spricht, hat man hier vorbildlich umgesetzt.

 

15.01.2021, Jan Krobot/Zürich

 

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